Transparente Zähne
Das Durchsichtigmachen von tierischem Gewebe im Allgemeinen geht zurück auf die Anatomen R. Krause und Werner Spalteholtz mit Veröffentlichungen im Jahr 1909 und in den Folgejahren. Schon Spalteholz verwendete als Medium zum Transparentmachen das Öl der Wintergrünpflanze, weil dessen Lichtbrechungsindex (1,538) mit dem von tierischem Gewebe (1,538 bis 1,577) gut übereinstimmt. Heute wird Methylsalicylat, der Hauptbestandteil des Wintergrünöls, synthetisch durch Veresterung von Salicylsäure mit Methanol hergestellt.
Paul Adloff, Zahnarzt und Anthropologe, war der Erste, der einzelne Zähne mit unterschiedlichen Füllmaterialien der Pulpahohlräume als transparente Präparate untersuchte (1913). Später wurde mit der Methode des Transparentmachens die Wurzelkanaltopografie der einzelnen Zahngruppen erkundet, danach auch die Blutgefäßversorgung der Pulpa. Außerdem gab es Bestrebungen, Wurzelkanalbehandlungen an transparenten Zahnpräparaten zu Ausbildungszwecken durchzuführen und im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen kam die Methode bei Leakagestudien zum Einsatz.
Die eigentliche Stärke des Transparentmachens von Zähnen ist die dreidimensionale Erfassung der komplexen Hohlraumsysteme, verbunden mit einer hohen Auflösung. Diese Vorteile ließen sich früher jedoch nur eingeschränkt nutzen, weil die Präparate für die Auswertung in der Flüssigkeit liegen müssen, mit der die Durchsichtigkeit erreicht wird. Dazu legte man die Präparate in eine Petrischale mit Methylsalicylat und fotografierte von oben. Die Positionierung der Präparate ist hierbei aber nur eingeschränkt möglich.
Transparente Präparate selbst herstellen
Eine einfache Anleitung zum Transparentmachen von Zähnen stellt der Autor auf seiner Webseite zur Verfügung:
Eine deutliche Verbesserung der fotografischen Auswertung ist seit einigen Jahren durch die Entwicklung einer neuen Aufnahmetechnik möglich. Dabei wird das Präparat an eine Drehachse montiert, die durch den Deckel eines gläsernen Gefäßes geführt wird. Das Achsenende mit dem daran befestigten Zahn befindet sich in dem mit Methylsalicylat gefüllten Gefäß. Die Achse lässt sich am anderen Ende von außen anfassen und drehen, wodurch das Untersuchungsobjekt präzise in die gewünschte Stellung rotiert und von allen Seiten fotografiert werden kann. Die Fotografie findet dabei nicht mehr von oben statt, sondern horizontal, so dass die Kamera in Standard-Position auf einem Stativ montiert ist. Die Präparate können nach Wunsch von schräg vorne beleuchtet oder von hinten durchleuchtet werden und es lässt sich ein beliebiger Hintergrund wählen. Die Entwicklung von Kameras, Objektiven, digitaler Bildbearbeitung und Comuterprogrammen zur Vergrößerung des Schärfebereichs (Fotostacking) hat die Auswertung transparenter Zahnpräparate zusätzlich stark verbessert. Die Bilder sind sehr detailreich, informativ und ästhetisch.
Trotz aller Brillanz der Bilder und einer Beleuchtungstechnik, die durch Licht und Schatten die räumliche Anordnung der Strukturen hervorhebt, bleiben Fotos immer ein zweidimensionales Abbild. Das führt dazu, dass manche topografischen Ausprägungen entweder nicht zu verstehen sind oder fehlinterpretiert werden. Eine noch bessere räumliche Differenzierung ist dagegen mit bewegten Bildern der Zahnpräparate möglich, zum Beispiel Videos in Rotation. Diese können ebenfalls mit der oben beschriebenen Fototechnik aufgenommen werden, indem die Drehachse mit einem Motor gekoppelt wird.
Einsatzbereiche
Untersuchung der Pulpatopografie
Die Konfiguration der Wurzelkanäle von einzelnen Zahngruppen ist aus Lehrbüchern und aus einer 2018 erschienenen Artikelserie in den zm von M. Arnold und F. Paqué bekannt [zm, 2018]. Bei genauer Betrachtung transparenter Präparate zeigt sich jedoch, dass die Variationsbreite groß und jeder Zahn ein biologisch einzigartiges Gebilde ist. Und selbst Endodontologen staunen über Details, die mit verbesserter Fototechnik herausgearbeitet und in aussagekräftigen Bildern festgehalten werden können. Viele Auspräägungen stellen sich offensichtlich doch anders dar als erwartet. Dabei handelt es sich um verschiedene Querschnittsausdehnungen, um Krümmungen, um Seitenkanäle unterschiedlicher Größe und Lokalisation, Aufzweigungen und Konfluenzen, um Kalzifikationen und vieles andere mehr. Zu Recht spricht man besser nicht von Wurzelkanälen, sondern von Wurzelkanalsystemen (Abbildungen 2 und 3).
Will man der komplexen Topografie von Wurzelkanalsystemen gerecht werden, bedeutet das eine umfangreiche Ausstattung der Praxis und eine überdurchschnittliche Expertise des Behandlers. Die damit verbundenen höheren Aufwände und Behandlungskosten müssen Patienten vorab verständlich gemacht werden. In vergrößerten Fotos von transparenten Präparaten sind die komplexen Strukturen von Wurzelkanalsystemen in beeindruckender und zugleich sehr ästhetischer Weise deutlich sichtbar. Deshalb sind solche Bilder für die Patientenberatung im Vorfeld endodontischer Behandlungen ideal. Der hohe Aufwand von Wurzelkanalbehandlungen kann damit schnell und nachvollziehbar vermittelt werden (Abbildung 3).
Lehrmaterial in der Ausbildung
Für erfolgreiche Wurzelkanalbehandlungen muss in der Ausbildung ein gutes räumliches Verständnis der Pulpahohlräume von der Zahnkrone bis zum apikalen Terminus vermittelt werden. Dazu gehört die genaue Kenntnis der charakteristischen Merkmale in den einzelnen Zahngruppen ebenso wie das Wissen um typische Varianten.
So geht es bei der Durchführung von Wurzelkanalbehandlungen zunächst darum, die Ausdehnung der Pulpakammer zu erkunden, danach um den Übergangsbereich zu den Wurzelkanälen mit seinen charakteristischen Dentinüberhängen, die für einen geradlinigen Zugang in die Wurzelkanäle abgetragen werden müssen (Abbildung 4). Das kann an Abbildungen transparenter Zahnpräparate oder Mikro-CT-Rekonstruktionen sehr gut veranschaulicht werden.
Eine weitere Schlüsselregion, die räumlich verstanden und vermittelt werden muss, stellt das apikale Wurzeldrittel dar. Leider wird in der endodontischen Lehre gerade dieser Bereich mit der apikalen Endstrecke oft an Schemazeichnungen erklärt, die immer wieder neu oder umgezeichnet werden. Die Zeichnungen weichen in wesentlichen Punkten von natürlichen Ausprägungen ab und haben deshalb auch kaum Bedeutung für die Durchführung von Behandlungen. In Studien zum Verständnis der apikalen Wurzelkanalsysteme wurde in der Regel versucht, die Topografie mit Untersuchungstechniken zu ergründen, in denen nur einzelne Schichten oder begrenzte Ansichten zu sehen sind, die aus dem räumlichen Zusammenhang gerissen sind (histologischer Schnitt, Bruchpräparat, Untersuchung der Foramina von der äußeren Wurzeloberfläche). Auf diese Weise kann die räumliche Gesamtstruktur von Wurzelkanalsystemen nicht erfasst und verstanden werden. Welche topografischen Merkmale und Ausprägungen behandlungsrelevant sind, lässt sich so nicht herausarbeiten. Wie die Natur wirklich aussieht und welche Herausforderungen sich daraus ergeben, kann dagegen in transparenten Präparaten oder Mikro-CT-Scans klar abgelesen werden. Es wäre also wünschenswert, transparente Zahnpräparate für Ausbildungszwecke intensiver zu nutzen und Schemazeichnungen nur noch in Ausnahmefällen zu verwenden.
Eine weitergehende Nutzung für endodontische Ausbildungszwecke eröffnet sich dadurch, dass In-vitro-Behandlungen an bestimmten Schlüsselmomenten abgebrochen und sozusagen eingefroren werden. Der betreffende Zahn wird in dem gerade erreichten Zustand in ein transparentes Präparat überführt, in dem dann ein spezieller Aspekt genauer betrachtet werden kann.
Interessant sind zum Beispiel folgende Situationen:
die Fraktur einer Feile, deren Ursache festgestellt werden soll (Abbildung 5a),
eine Blockade bei der Erschließung, die zunächst nicht nachvollziehbar ist, aber im durchsichtigen Präparat eine Erklärung findet,
im Wurzelkanalverlauf liegende endodontische Aufbereitungsinstrumente oder eine EDDY-Spitze (Abbildungen 5b bis 5d),
unterschiedlich präparierte apikale Widerstandsformen (Abbildungen 5e bis 5g), die in einer bestimmten Dimension präpariert worden sind und auf ihre Eignung geprüft werden sollen.
Obwohl das Transparentmachen ein zerstörungsbehaftetes Verfahren ist, eignet es sich als Alternative zu Mikro-CT-Scans auch für wissenschaftliche Untersuchungen.
Nachuntersuchung von in vivo durchgeführten Wurzelkanalbehandlungen
Die postoperative Beurteilung von Wurzelkanalbehandlungen beschränkt sich auf Angaben der Patienten, auf die klinische Untersuchung und auf klinische Röntgenbilder, als Zahnfilm und in letzter Zeit auch als DVT. Erst nach ihrer Extraktion ist eine genaue Untersuchung von klinisch wurzelkanalbehandelten Zähnen möglich.
Der Aufwand kann sich durchaus lohnen: Eine genaue Untersuchung der entfernten Zähne zeigt auf, welche technischen Behandlungsmaßnahmen nützlich, irrelevant oder gar schädlich waren. Außerdem können Veränderungen an der Zahnhartsubstanz und dem anhaftenden Weichgewebe erkannt werden, die entweder mit Heilung oder entzündlichen Abläufen verbunden sind. Eine allseitige Inspektion des frisch extrahierten Zahnes, eine erneute Inspektion des von Weichgewebe befreiten Zahnes und Röntgenaufnahmen in mesiodistaler Richtung sind dabei die ersten Untersuchungsmaßnahmen.
Bereits mit diesen einfachen Mitteln können interessante Befunde zur Qualität der früher durchgeführten Wurzelkanalbehandlung erhoben werden, eventuell auch zur Ursache eines endodontischen Misserfolgs.
Das Überführen der Zähne in transparente Präparate mit fotografischer Auswertung ist neben Histologie, REM und Mikro-CT eine Alternative zu anderen weiterführenden Untersuchungstechniken. Der Vorteil ist, dass der Aufwand auch in einer zahnärztlichen Praxis umgesetzt werden kann und bei entsprechender fotografischer Technik detaillierte Bilder liefert, mit denen die komplexen topografischen Strukturen räumlich ähnlich gut erfasst werden können wie mit Mikro-CT-Scans. Beispiele für die Untersuchung klinischer Fälle zeigen die Abbildungen 6 und 7.
Die Technik, Zähne transparent zu machen, ist schon über 100 Jahre alt. Durch eine verbesserte fotografische Auswertung ergeben sich neue Anwendungsbereiche: Neben Untersuchungen der Pulpatopografie, sind es die Beratung von Patienten, die endodontische Ausbildung im studentischen und im postgradualen Bereich sowie die Untersuchung von in vivo wurzelkanalbehandelten Zähnen.