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Länder-Vergleichsstudie zur Häufigkeit der Arztbesuche in Europa

Warum Deutsche so viel öfter zum Arzt gehen als Franzosen

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Politik
Eine Studie hat erstmals in 27 Ländern in Europa untersucht, wie oft dort Erwachsene ab 50 Jahren zum Arzt gehen. Der Vergleich zeigt auch die Nachwirkungen der Pandemie – und die Rolle der Lebenserwartung.

Wie häufig Arztpraxen pro Kopf und Jahr besucht werden, ist eine wichtige Kennzahl für die Bewertung von Gesundheitssystemen. Bei internationalen Vergleichen gilt es indes zu berücksichtigen, dass sich Länder in ihrer Altersstruktur und hinsichtlich des Gesundheitszustands unterscheiden. Gibt es mehr ältere und kranke Menschen in der Bevölkerung, ist mit einer höheren Zahl von Praxisbesuchen zu rechnen.

Eine neue Studie in der Zeitschrift Lancet Regional Health Europe mit Beteiligung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) hat nun neue Zahlen zur Entwicklung der Arztbesuche in Europa seit 2004 vorgelegt. 

Betrachtet wurde die ältere Bevölkerung ab 50 Jahre, wobei die länderspezifischen Unterschiede in der Altersstruktur und beim Gesundheitszustand Berücksichtigung fanden. Da die Pandemie die europäischen Länder sehr unterschiedlich getroffen hat, wählten die Forschenden als Enddatum 2019, um die Ergebnisse nicht zu verfremden.

Verwendet wurden die Längsschnittdaten von 147.116 Personen ab 50 Jahren aus 27 europäischen Ländern aus der Studie „Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe“ (SHARE). Die Wissenschaftler unterteilten die Daten in drei Phasen: vor der Pandemie (2004–2019), Pandemie (2021; 2020 aufgrund von Änderungen in der Datenerhebung ausgeschlossen) und nach der Pandemie (2022).

Die Deutschen gehen doppelt so oft zum Arzt wie die Finnen

Die Ergebnisse für die 27 Länder zeigen, dass Deutschland bei den Praxisbesuchen zu den Spitzenreitern in Europa gehört. Dies hat sich im untersuchten Zeitraum sogar noch verstärkt. So ist die Rate an Praxisbesuchen in Deutschland etwa doppelt so hoch wie in Finnland, dem Land mit der niedrigsten Rate.

Häufigkeit der Arztbesuche nach Ländern

Die höchsten Raten ambulanter Arztbesuche wurden 2019 in Mitteleuropa beobachtet, mit 5,60 (95%-Unsicherheitsintervall (UI): [5,20–5,97]) Besuchen für Frauen und 4,62 [4,30–4,90] Besuchen für Männer in Luxemburg, gefolgt von Belgien (Frauen: 5,10 [4,94–5,29], Männer: 4,26 [4,08–4,41]), Italien (Frauen: 4,58 [4,44–4,71], Männer: 4,00 [3,82–4,15]), Österreich (Frauen: 4,54 [4,41–4,80], Männer: 3,97 [3,80–4,20]) und Deutschland (Frauen: 4,47 [4,33–4,62], Männer: 3,98 [3,81–4,13]).

Die niedrigsten Besuchsraten wurden 2019 in Nordeuropa und auf kleinen Inseln beobachtet, mit 2,20 [2,07–2,34] Besuchen bei Frauen und 1,96 [1,84–2,12] Besuchen bei Männern in Finnland, gefolgt von Zypern (Frauen: 2,61 [2,46–2,78], Männer: 2,02 [1,87–2,23]) und Malta (Frauen: 2,52 [2,35–2,68], Männer: 2,18 [2,01–2,37]). Die niedrigsten Besuchsraten im Beobachtungszeitraum wurden 2004 in Schweden beobachtet, mit 1,52 [1,45–1,61] Besuchen bei Männern und 1,82 [1,74–1,89] Besuchen bei Frauen.

In Spanien und Frankreich fielen die Praxisbesuche um ein Viertel

Ob die Anzahl der Arztpraxisbesuche auch dem Bedarf angemessen war, lässt sich anhand der vorliegenden Daten laut BiB nicht bestimmen. Auffällig sei jedoch, dass Deutschland im europäischen Vergleich einen der höchsten Werte bei den Praxisbesuchen aufweist, aber bei der Lebenserwartung nur einen mittleren Rang belegt.

In Ländern mit einer höheren Lebenserwartung wie etwa Frankreich, der Schweiz und Spanien suchen die Menschen demzufolge deutlich seltener eine Arztpraxis auf als hierzulande. Dabei unterscheiden sich die langjährigen Trends erheblich, berichten die Forschenden: So habe sich etwa in Spanien und Frankreich die Zahl der Praxisbesuche in den letzten 20 Jahren um etwa ein Viertel reduziert.

Arztbesuche während und nach Corona

In allen Ländern kam es während der Pandemie zu einem starken Rückgang ambulanter Arztbesuche. Am wenigsten betroffen war Deutschland, wo die Rate ambulanter Arztbesuche im Verhältnis zur erwarteten Anzahl an Arztbesuchen für Männer 0,45 [95% UI: 0,41–0,49] und für Frauen 0,42 [0,39–0,45] betrug. Die am stärksten betroffenen Länder waren Italien (Frauen: 0,06 [0,05–0,06], Männer: 0,06 [0,06–0,07]), Kroatien (Frauen: 0,07 [0,06–0,07], Männer: 0,07 [0,06–0,08]), Estland (Frauen: 0,08 [0,07–0,08], Männer: 0,09 [0,08–0,10]) und Ungarn (Frauen: 0,09 [0,08–0,10], Männer: 0,10 [0,08–0,12]), wo die Arztbesuche fast zum Erliegen kamen.

2022 erreichten die Arztbesuche in den meisten Ländern wieder das Niveau vor der Pandemie, wobei die Rate der Arztbesuche im Vergleich zum Vorpandemieniveau zwischen 0,90 und 1,10 lag. In der Slowakei (Männer: 0,64 [0,56–0,71], Frauen: 0,71 [0,64–0,79]), Luxemburg (Männer: 0,81 [0,74–0,89], Frauen: 0,85 [0,78–0,94]) und Polen (Männer: 0,85 [0,80–0,91], Frauen: 0,80 [0,77–0,84]) blieb die Rate weiterhin niedrig und war im Vergleich zum Niveau vor der Pandemie in Zypern relativ hoch (Männer: 1,36 [1,18–1,59], Frauen: 1,15 [1,02–1,30]).

„Diese Länder hatten damals eine ähnlich hohe Zahl an Praxisbesuchen wie Deutschland, konnten dann aber im Kontext einer steigenden Lebenserwartung einen deutlichen Rückgang erzielen“, erklärt Studienautorin Dr. Anna Reuter vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. „Deutschland hat dagegen nur einen minimalen Rückgang verzeichnet und verharrt weiterhin bei einer hohen Rate an Praxisbesuchen pro Kopf.“

Die Forschenden stellten insgesamt für Europa fest, dass Menschen über 75 während der Pandemie ihre Arztbesuche überproportional reduzierten. Ihr Fazit: „Ein wichtiger Schwerpunkt politischer Maßnahmen zur Vorbereitung auf künftige Pandemien und ähnliche Krisen sollten daher Systeme sein, die gewährleisten, dass Hochbetagte sicher die Gesundheitsversorgung erhalten, die sie benötigen.“

Die Studie nutzt Daten des „Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe“, eine harmonisierte Längsschnittbefragung der Bevölkerung 50 Jahre und älter in Europa. Es gingen Daten für 147.000 Personen von 2004 bis 2019 in das Modell ein, berücksichtigt wurden Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen und länderspezifische Zeittrends. Auf dieser Grundlage wurden die Arztbesuche einer Referenzperson im Alter von 75 Jahren ohne chronische Beschwerden ermittelt.

Nguyen, Van Kinh; Reuter, Anna; Abd El Aziz, Mirna; Bärnighausen, Till (2025): Trends in outpatient healthcare visits among adults aged 50 years and older in 27 European countries: analysis of population-based survey data, 2004-2022. The Lancet Regional Health – Europe, https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2025.101407

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