Konzentration am Alignermarkt

Die Causa Straumann

Die Straumann Group übernimmt nach DrSmile auch PlusDental – für knapp 131 Millionen Euro. Beide Aligner-Anbieter stehen wegen ihrer Geschäftsmodelle massiv in der Kritik – unter anderem von Verbraucherschützern. [Anm. d. Red.: Diesen Satz haben wir geändert, weil zunächst von Anweisung zur Selbstbehandlung die Rede war. Dies trifft nicht auf beide Unternehmen zu.] Und Straumann? Lobt den „medizinischen Qualitätsanspruch“ und den „technologie- und datengetriebenen Ansatz“ seines neuen Tochterunternehmens.

Nachdem die Straumann-Gruppe im Sommer 2020 bereits das Dental-Start-up DrSmile übernommen hat, kauft sie jetzt also auch den direkten Konkurrenten PlusDental – ehemals Sunshine Smile GmbH. Damit gehören dem Unternehmen bald zwei Aligner-Anbieter, die wegen ihrer Geschäftspraktiken heftig kritisiert werden.

„Der Hersteller trägt auch fachlich Verantwortung“

Nach eigenen Angaben behandeln DrSmile und PlusDental zusammen mehrere Zehntausend Patienten pro Jahr in ganz Europa. Mit der aktuellen Übernahme befinde sich der Markt der Direct-to-Consumer-Alignerbehandlungen somit weitgehend in der Hand der Straumann Group, konstatiert der BDK in einer Stellungnahme. „Damit trägt der Hersteller von Dental-Produkten nun auch die fachliche Verantwortung für die Behandlung von mehreren Tausend Patienten in Deutschland in ganz Europa. Dieser Verantwortung muss Straumann gerecht werden und die Behandlung in die Hände der Zahnärzte legen.“

Darum steht das Modell in der Kritik

Denn sowohl DrSmile als auch PlusDental sind laut BDK „erheblicher Kritik“ ausgesetzt, da in vielen Fällen die Anforderungen an die notwendige Diagnostik und die Behandlungskontrollen nicht erfüllt würden.

Im November 2021 hatten zahnärztliche und kieferorthopädische Organisationen aus 25 europäischen Ländern in einer gemeinsamen Erklärung Behandlungskonzepte wie die der neuen Straumann-Töchter verurteilt. In zahlreichen Medienberichten seien jüngst zudem geschädigte Patienten zu Wort gekommen, berichtet der BDK. Dabei habe in vielen dieser Fälle nicht einmal ein zahnärztlicher Kontakt stattgefunden.

„Straumann haftet für Behandlungsfehler“

Der BDK-Vorsitzende Dr. Hans-Jürgen Köning betont, Straumanns Expertise in der Herstellung von Medizinprodukten sei unbestritten, „Straumann muss jetzt aber auch die Gewähr dafür übernehmen, dass diese Medizinprodukte bei der Behandlung der Kunden von PlusDental und DrSmile ordnungsgemäß verwendet werden”. Straumann werde sich überlegen müssen, „ob der Versuch, weiterhin Zahnärzte möglichst weitgehend aus der Behandlung der Patienten herauszuhalten, der richtige Weg ist“.

„Eine zahnmedizinische Behandlung ist immer mit erheblichem Kontrollaufwand verbunden, sodass sie der echten Selbstbehandlung entzogen ist. Gerade bei der kieferorthopädischen Bewegung von Zähnen oder Zahngruppen wirken bisweilen starke Kräfte dauerhaft auf die Zähne und den Zahnhalteapparat ein, die einer kontinuierlichen Kontrolle seitens eines Zahnarztes bedürfen.“Bundeszahnärztekammer

BDK-Geschäftsführer Stephan Gierthmühlen ergänzt: „Nach unserer Einschätzung werden die Behandlungsverträge zwischen den Patienten und den Anbietern geschlossen. Die Anbieter setzen die Partnerzahnärzte in unterschiedlichem Umfang nur als Erfüllungsgehilfen ein. Natürlich haften die Partnerzahnärzte aus unerlaubter Handlung, wenn ein Schaden eintritt.” Daneben sei aber auch Straumann selbst als Vertragspartner verantwortlich und hafte für Behandlungsfehler, sagt der Fachanwalt für Medizinrecht  (siehe Interview weiter unten). 

„Möchtegern-Einhorn blamiert sich“

Auch in der Start-up-Community ist die Übernahme Thema: Unter dem Titel „Möchtegern-Einhorn: Plusdental blamiert sich mit 131-Millionen-Exit” mokiert sich Businessinsider darüber, dass die Tech-Firma statt der kolportierten Milliardenbewertung nur für einen Bruchteil der Summe verkauft wurde. Noch vor einem Jahr habe PlusDental-Chefin Eva-Maria Meijnen angekündigt, man werde bei der nächsten Finanzierungsrunde mit einer Milliarde Euro bewertet, schreibt das Portal. Damals lag der Wert eigenen Angaben zufolge bei mehr als 100 Millionen Euro. Woran es lag, dass sich das Geschäft nicht wie erwartet entwickelte, dazu wollte sich PlusDental Businessinsider uns gegenüber nicht äußern.

Europas Kieferorthopäden wehren sich

Die EFOSA vertritt die Interessen von mehr als 11.000 Kieferorthopäden aus 29 Ländern.

In einer Unternehmensmitteilung mit Straumann sagte Meijnen, der Kauf sei „eine großartige Gelegenheit, da beide Unternehmen die Vision einer qualitativ hochwertigen Zahnmedizin, bei der die Patientinnen und Patienten an erster Stelle stehen, teilen“. Gemeinsam werde man „in Zukunft vielen Menschen Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung ermöglichen“. Guillaume Daniellot, Chef der Straumann Group, kommentierte den Kauf in selbiger Mitteilung: „Die Lösung des Unternehmens [PlusDental] ergänzt unser bestehendes Angebot an Konsumentinnen und Konsumenten von kieferorthopädischen Behandlungen unter ärztlicher Betreuung perfekt und wird uns helfen, schneller zu expandieren.“

Mit seinem medizinischen Qualitätsanspruch und einem technologie- und datengetriebenen Ansatz helfe PlusDental Straumann, „medizinisches Fachwissen in diesem Bereich weiter auszubauen“. Erklärtes Ziel sei, eine „qualitativ hochwertige Patientenversorgung“ sicherzustellen. „Außerdem eröffnet dies Zahnärztinnen und Zahnärzten zusätzliche Möglichkeiten, ihren Patientinnen und Patienten bequeme, klinisch fundierte und qualitativ hochwertige Behandlungen anzubieten, und so das Wachstum ihrer Praxen zu unterstützen.“ Bis es soweit ist, müsse die Transaktion noch von den Aufsichtsbehörden genehmigt werden, was in den kommenden Wochen abgeschlossen sein soll, teilte Straumann mit.

Wie Straumann als Premium-Dentalunternehmen der Kritik an den Geschäftsmodellen seiner Tochterunternehmen begegnen will und welche Pläne es für den europäischen Aligner-Direktmarkt gibt, ließ das Unternehmen bis zu unserem Redaktionsschluss dieser Ausgabe unbeantwortet. [Anm. d. Red.: Hierbei handelt es sich um die ursprüngliche Formulierung des Printartikels, siehe Hinweis zum Statement Straumanns]. 

Interview mit Stephan Gierthmühlen zum Kauf von PlusDental 

„Straumann steht vor der Entscheidung, sich auch in der Kieferorthopädie als Anbieter hochwertiger Dentalprodukte zu positionieren – oder als Zahnkosmetiker ohne medizinischen Anspruch“, sagt Stephan Gierthmühlen, Geschäftsführer des Berufsverbands der Deutschen Kieferorthopäden (BDK). Dann müsse sich das Unternehmen aber von seinem Premiumanspruch verabschieden.Herr Gierthmühlen, der BDK will Straumann nach dessen jüngstem Zukauf in die Pflicht nehmen, Verantwortung für die Patienten zu übernehmen. Wie müsste der Konzern das Geschäftsmodell seiner Start-ups umbauen, damit das sichergestellt ist?

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Die Übernahme einer Mehrheitsbeteiligung von DrSmile im Sommer 2020 hatte ja keinen Effekt auf das Geschäftsgebaren des Aligner-Anbieters. Es gibt unverändert kritische Medienberichte und Gerichtsurteile zu dessen Ungunsten. Warum denken Sie, dass das jetzt anders läuft?

Womöglich bekommt Straumann bei einer konsequenten Einbindung von Zahnärzten und Kieferorthopäden in den Behandlungsprozess ein Problem mit der Marge. Zuletzt hieß es, DrSmile hätte Marketingausgaben von 500 bis 700 Euro pro Vertragsabschluss. Ist das das Ende der niedrigen Preise für Verbraucher?

Womit rechnen Sie als Nächstes auf dem Direct-to-Consumer-Alignermarkt?

Was den reinen Kaufpreis betrifft, war die Übernahme des US-Aligner-Anbieters Byte durch Dentsply Sirona Ende 2020 ja eine deutlich größere Sache – der Dentalriese bezahlte fast achtmal so viel für ein vergleichbares Start-up und hält sich auch eine Expansion nach Europa offen. Was könnte es für die Behandlungsqualität bedeuten, falls demnächst nicht mehr Start-ups, sondern Dentalriesen den Verbrauchern Direktangebote machen?

Zuletzt hatten Sie uns Mitte Februar über das laufende Klageverfahren berichtet. Gibt es hier etwas Neues?

Das Gespräch führte Marius Gießmann.

Statement der DGKFO

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Prof. Dr. Dr. Peter Proff ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie.

| Thomas Ecke, Berlin

Prof. Dr. Dr. Peter Proff, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) 

Laut der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen wird der Behandlungsstandard von PlusDental womöglich dem von DrSmile angeglichen. Der Kauf könnte Kunden aber auch eine Ausstiegschance bieten.

Position der Verbraucherzentrale

Herr Weinberg, wie viele Beschwerden sind bei der Verbraucherzentrale NRW zu den Aligner- Start-ups DrSmile und PlusDental bislang insgesamt eingegangen?

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Arne Weinberg arbeitet im Projekt „Verbraucherschutz im Markt der digitalen Gesundheitsinformationen und Individuellen Gesundheitsleistungen“ der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. |

Verbraucherzentrale NRW

Wie bewertet die Verbraucherzentrale NRW den Kauf von PlusDental durch Straumann? Rechnen Sie mit einer Anpassung des Geschäftsmodells?

Ändert sich durch den Eigentümerwechsel etwas für die Verbraucher, die eine Behandlung bei PlusDental begonnen haben?

Haben Sie Rückmeldungen von Verbrauchern, wie der SmileDirectClub – der keine Neukunden in Deutschland mehr annimmt – begonnene Behandlungen zu Ende führt?

Das Gespräch führte Marius Gießmann.

Stellungnahme von DrSmile zum zm-Artikel „Die Causa Straumann“ vom 15. Juni:

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