Gründen in Corona-Zeiten – Teil 6

„Hier will ich die nächsten 25 bis 30 Jahre bleiben!“

Endlich Eröffnung! Philipp Tavrovski steht in seiner neuen Praxis in der Hamburger Alstercity und grinst übers ganze Gesicht: „Kein leichter Weg, aber es hat sich jetzt schon gelohnt.“ Niemand wird ihm diesen Moment nehmen – Ziel erreicht. Seine Gefühle in drei Worten: „Stolz, Vorfreude und Tatendrang“.

Auf einmal sind sie wie weggeblasen, die Strapazen und das Bangen, ob am Ende doch noch alles Form annimmt. Gab es einen Moment in den vergangenen zwei Jahren, wo er überlegt hat, was er sich mit dem Traum von der eigenen Praxis eigentlich aufgehalst hat? „Ja, den gab es. Tatsächlich erst vor Kurzem. Da habe ich eine Vorstellungsrunde bei den Praxen gemacht, die meine Zuweiser werden könnten. Quasi per Kaltakquise. Zwei Chefs waren gar nicht begeistert. Die haben mir klar gesagt, dass sie kein Interesse haben und bereits anderweitig versorgt sind. Ich habe mir dann gedacht: „Oje, wenn das so weitergeht ... Zum Glück war es aber dann nicht so. Die meisten waren nett und durchaus offen für mich als zukünftige Adresse. Wie sich das mit den Kollegen entwickelt, wird sich jetzt zeigen.“

Gründen heißt: Delegieren, abgeben und outsourcen

Der Gründer hat eine große Zuweiser-Praxis für Oralchirurgie und Endodontie auf die Beine gestellt. Investitionsvolumen: 1,5 Millionen Euro. „Mundreich“ heißt das Zentrum für zahnärztliche Chirurgie und Endodontie in der Hamburger Alstercity. Für das Projekt hat er sich von Anfang an Profis mit ins Boot geholt. „Delegieren, abgeben und outsourcen – das habe ich während der Gründung gelernt. So macht jeder für den Praxisaufbau das, was er am besten kann. Das möchte ich übrigens auch auf meine Praxisführung übertragen“, erzählt Tavrovski.

Aber erstmal Tacheles: Haben ihn die immensen Kosten für die ganze Gründungsentourage nicht aufgefressen, bevor er überhaupt seinen ersten Euro verdienen konnte? „Nein, der Praxisplaner, der Marketingberater und auch der Architekt sind alle in Vorleistung gegangen.“ Diese Ausgaben schlugen somit im Vorfeld noch nicht zu Buche.

Aber solange er nicht alle Behandlungsräume besetzen kann, sind gerade die Fixkosten natürlich eine mögliche Kostenfalle. „Derzeit belaufen sich die Kosten der Praxis monatlich auf 35.000 Euro. Der Umsatz wird zunächst bei 50.000 Euro angesetzt“, rechnet Tavrovski vor. Auch deshalb habe er sich kurzfristig entschieden, einen befreundeten Endo-Spezialisten mit in die Praxis zu nehmen. Eine bessere Auslastung und weitere Angestellte sollen im Laufe des zweiten Jahres dann den Umsatz steigern und den Gewinn erhöhen. Zur Miete und zum Personal kommt das Geld für das Abrechnungsprogramm, die Versicherungen, das Depot und die Fortbildungen. Für 300 Quadratmeter zahlt er 4.300 Euro Miete pro Monat. In den ersten zehn Jahren kommen noch 2.000 Euro monatlich für die Finanzierung des Umbaus hinzu. Was bleibt ihm da selbst? „Ich plane, mir am Anfang rund 4.000 Euro Gehalt im Monat auszuzahlen“, erklärt er.

Zwischendurch arbeitslos auf der Großbaustelle

Gründen in Corona-Zeiten bedeutet Lieferengpässe, keine konkreten Zusagen für Termine, Warten auf die Genehmigungen behördlicher Anträge – im Ergebnis Verzögerung pur. Das Glück ging zu der Zeit andere Wege: Der ursprüngliche Mietvertrag platzte, Tavrovskis Anstellung lief bereits aus und so stand der Oralchirurg – und junge Vater – übergangsweise arbeitslos auf der Großbaustelle. „Das stellt man sich im Vorfeld alles einfacher vor, als es dann ist. Es hat mir deshalb geholfen, dass ich ein Team aus Profis für die Planung und Umsetzung an meiner Seite hatte.“

Dass er sich niederlassen und spezialisieren wollte, war Tavrovski schon im Studium klar. Überhaupt war ihm wichtig, seine eigenen Vorstellungen umzusetzen. „Ich habe in den Praxen, wo ich gearbeitet habe, sehr positive und inspirierende, aber auch sehr negative Beispiele gesehen, wie es nicht laufen sollte“, berichtet er. Und warum gründet er inmitten einer Großstadt? Hamburg gilt doch als überversorgt. Wieso nicht aufs Land, dort werden Mediziner schließlich gesucht? „Ich habe den Standort der Praxis nach meinem Lebensmittelpunkt ausgewählt. Das würde ich auch jedem angehenden Gründer so mitgeben. Und ich habe mich gefragt: Welchen Arbeitsweg kann ich mir langfristig vorstellen?“ Mit dem jetzigen Standort hat er seine Anfahrt von 55 auf 15 Minuten reduziert. „Ich plane hier ja so groß und umfangreich, weil ich die nächsten 25 bis 30 Jahre bleiben will!“, gibt er zu bedenken. Vor zwei jahren gab es in Hamburg 35 chirurgisch ausgerichtete Praxen, inzwischen sind es über 40. Wenn man sich neben der Konkurrenz etablieren und bestenfalls auch von ihr abheben will, muss man sich etwas einfallen lassen. 

Die Versorgung fängt beim Parkplatz an

Dafür hat sich Tavrovski im Zuge der Gründung einige der spezialisierten Praxen und deren Webauftritte näher angeguckt. Er hat mit Mitarbeitern gesprochen und dann überlegt, was er besser machen könnte. Ihm wurde klar: Der Service soll bei ihm im Mittelpunkt stehen. „Am Ende wollen wir ja alle die bestmöglichste Versorgung der Patienten – und das fängt schon beim Parkplatz an“, betont er. Aber auch mit den Zuweisern und dem eigenen Personal soll es so reibungslos wie möglich laufen. Er möchte alle bestmöglich „abholen“, eine Kommunikation auf Augenhöhe ist ihm wichtig. Außerdem will er den Überweisungsablauf unbedingt optimieren. „Dafür erhalten die Zuweiser-Praxen Zugriff auf meinen Kalender und können dort direkt einen Termin buchen. Sie laden das Röntgenbild des Patienten datenschutzkonform hoch und der Patient verlässt die Praxis dann mit dem Termin“, schildert er den Kreislauf.

Um die Prozesse in der Praxis zu vereinfachen, hat er noch eine Idee: eine Video-Sprechstunde für gängige Beratungsthemen. Ihm schwebt vor, dass sich der Patient vorab zu Hause ein Aufklärungsvideo ansieht und – über den Ablauf bereits informierter – direkt zum ersten Termin kommt. „Individuelle Fragen sind natürlich immer möglich. Aber wir verkürzen den Termin für beide Seiten.“

Gute Mitarbeiter zu finden ist das eine, sie dann zu halten das andere. Auch wenn die Personalkosten ein wirklich großer Batzen im Budget-Plan sind, hat er sich dazu entschlossen, mehr Gehalt zu zahlen als üblich – diese Entscheidung ist natürlich mit der Hoffnung verbunden, dass sich das positiv auf die Leistungsbereitschaft und den Umsatz auswirkt.

Zudem hat Tavrovski nicht nur in sein eigenes Coaching investiert, er bietet diese Unterstüzung auch seinen Angestellten an. Im Mittelpunkt des Lernprozesses: das Patientengespräch. „Ich möchte, dass wir uns als Einheit präsentieren und dass die Corporate Identity gelebt wird. Die Mitarbeiter sollen sich am Ende mit der Praxis identifizieren.“

Alle Mitarbeiter wurden einen Monat vor der Eröffnung angestellt. Sie sollten genügend Zeit haben, die Wege in der Praxis kennenzulernen, sich zu beschnuppern, die Prozesse einzustudieren, an Schulungen teilzunehmen und das Ganze von Grund auf gemeinsam zu gestalten – auch im Hinblick auf Dekoration und Einrichtung. „Zwischenzeitlich war ich mehr Organisator als Zahnarzt“, gibt er zu. Aber das gehört eben dazu.

Die Corporate Identity soll gelebt werden

Wie viel an Bürokratie anfällt, erstaunt Tavrovski indes täglich aufs Neue. „Davor hat einen echt niemand gewarnt. Aber man schafft es dann doch irgendwie alles“, so der Gründer. Zum Ende hin war er jeden Tag auf der Baustelle – oder am Telefon, um die Gewerke, das Depot, die Lieferanten und die Dienstleister zu koordinieren. Der letzte Baustein war die IT. Und während die finalen Handgriffe in der Praxis erledigt wurden, briefte er sein neues Team.

In den nächsten Wochen folgen weitere Schulungen in Sachen PVS, technische und medizinische Geräte sowie Patientenkommunikation. „Alle sollen alles einmal gesehen und gemacht haben. Das halte ich für wichtig.“

Ende Februar fanden die letzten kleineren Arbeiten in der Praxis statt, vereinzelt trudelten noch Gegenstände und Produkte ein. „Aber unsere Tätigkeit können wir jetzt ohne Umschweife aufnehmen“, sagt der Oralchirurg. Für die erste Woche stehen 25 Termine im Kalender. In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob sich die Pläne und Vorstellungen im Praxisalltag erfüllen. Jetzt beginnt der Realitätscheck.

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