Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung

„Ein absolut unverdaulicher, toxischer Politcocktail“

Die Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) hat sich Ende November in München deutlich gegen die Politik der Bundesregierung positioniert. In mehreren Anträgen forderte sie eine Abkehr vom 
aktuellen Kurs des Bundesgesundheitsministeriums.

Auf der letzten Vertreterversammlung der auslaufenden sechsjährigen Amtsperiode des KZBV-Vorstands zog der Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer eine ver­nichtende Bilanz der Gesundheitspolitik der amtierenden Bundesregierung. Das kürzlich durch die Ampel verabschiedete GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) bezeichnete er im Hinblick auf die zahnärztliche Versorgung als „einen absolut unverdaulichen, toxischen Politcocktail“.

Er nahm damit Bezug auf eine Video-Botschaft, die Bundesgesundheits­minister Karl Lauterbach (SPD) der Vertreterversammlung geschickt hatte. Eßer prognostizierte, dass „die fatalen Folgen dieses Spargesetzes“ den Patienten und der zahnärztlichen Versorgung über Jahre schaden werden: „Im Zielkonflikt zwischen Versorgung und Finanzstabilisierung der GKV hat die Politik sich im Wissen um diese Folgen auf die Seite der Kostendämpfung geschlagen und damit gegen die Versicherten und deren Versorgungs­ansprüche gestellt.“

Wo das Geld fehlt, gibt es 
keine Komplettversorgung

Vor dem Hintergrund von Inflation und exorbitant steigenden Energie- und Materialkosten gefährdeten die zusätzlichen Beschränkungen des Honorarzuwachses in Kombination mit der wieder eingeführten strikten Budgetierung die flächendeckende Sicherstellung der Versorgung. Dies gelte vor allem für die gerade erst neu eingeführte Parodontitistherapie, die noch im Rollout befindlich von Lauterbach blockiert werde. Eßer: „Es fehlen nachweislich in den beiden nächsten Jahren einige hundert Millionen Euro in diesem präventionsorientierten Versorgungsbereich, die den Versicherten erst vor nicht mehr als einem Jahr versprochen wurden.“

Eßer rief die gesamte Zahnärzteschaft dazu auf, unmissverständlich ihren Protest gegen eine fehlgeleitete Politik deutlich zu machen. „Wir werden trotz alledem alles dafür tun, um die Parodontitis-Versorgung über die Zeit zu retten und die Patientinnen und Patienten, die auf diese Behandlung dringend angewiesen sind, nicht im Stich zu lassen. Aber dort, wo das Geld fehlt, können wir nicht gewährleisten, dass die Versorgung vollumfänglich sichergestellt wird. Für begrenztes Geld kann es auch nur begrenzte Leistungen geben“, sagte Eßer.

So geht es mit der Parodontitis-Therapie weiter

Der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Martin Hendges erklärte in seinem Bericht, dass das Elektronische Beantragungs- und Genehmigungsverfahren (EBZ) in der Versorgung angekommen sei. Das Verfahren vom Antrag über die Genehmigung bis zum Beginn der Behandlung werde damit erheblich beschleunigt und vereinfacht.

„Bisher wurden bereits etwa 500.000 Anträge elektronisch versendet und von den Kassen beschieden. Dies belegt den erfolgreichen Start dieses zahnärztlichen Leuchtturmprojekts. Das EBZ ist damit das Zugpferd der digitalen Anwendungen und eine Blaupause für eine wirklich sinnstiftende Digitalisierung des Gesundheitswesens“, betonte Hendges. Das EBZ sei aus dem Berufsstand und für die Versorgung entstanden und nicht als Anwendung der Telematikinfrastruktur (TI) entwickelt worden, die vielfach in der Kritik stehe: „Das EBZ ist sehr praxisnah und genau das ist mitentscheidend für diesen Erfolg.“

Wie der KZBV-Vize weiter berichtete, hätten auf Ebene der Bundesmantelvertragspartner in den vergangenen Monaten weitere Folgeregelungen für die neue Parodontitis-Therapie getroffen werden können. „Ab Herbst 2022 wird erstmals die Verlängerungsoption im Rahmen der Unterstützenden Parodontitis-Therapie praktisch relevant“, erläuterte Hendges. „Die Verlängerung ist gemäß G-BA-Richtlinie genehmigungspflichtig. Für den Antrag an die Kasse haben die Vertragspartner ein schlankes Formular entwickelt, das sich auf die erforderlichen Angaben beschränkt und für die weitere Behandlung Rechtssicherheit gibt. Bis alle Praxisverwaltungssysteme mit der digitalen Version ausgestattet sind, wird für die Befüllung ein beschreibbares PDF-Format zur Verfügung gestellt.“

Im Hinblick darauf, dass angesichts der Dauer einer Parodontitis-Therapie das Thema Kassenwechsel während der laufenden Behandlung an Relevanz gewinnen werde, gebe es Bestimmungen zu einem entsprechenden Vorgehen und insbesondere zur Abrechnung. „Auch hier war für beiden Seiten maßgeblich, eine möglichst bürokratie­arme, aber zugleich rechtssichere Lösung zu finden.“

Beim E-Rezept und bei der ePA ruckelt es noch gewaltig

Der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Karl-Georg Pochhammer informierte über den aktuellen Stand der Digitalisierung in der Vertragszahnärzte­schaft. Die Bereitschaft, sich daran zu beteiligen, sei in der Zahnärzteschaft sehr hoch. Gleichzeitig kritisierte er, dass die Möglichkeiten zur Beteiligung seitens der Politik eingeschränkt seien. Dies müsse sich dringend ändern.

Dabei dürfe nicht übersehen werden, „dass wir bereits Anwendungen ins Feld geführt haben, die das Potenzial haben, uns bei der digitalen Transformation einen gewaltigen Schritt nach vorne zu bringen. Ich spreche hier von KIM, aber in erster Linie vom E-Rezept und der elektronischen Patientenakte. Denn hier ruckelt es noch gewaltig. Und deshalb muss die Digitalisierungsstrategie diese beiden Anwendungen in den Fokus nehmen. Hier muss nachgesteuert werden, bevor neue Technologien und Ideen in die Versorgung kommen“, hob Pochhammer hervor.

Bei der ePA brauche man eine aktivere Politik. Bisher überzeuge die Versicherten das Angebot nicht. „Die Zahl der aktiven Aktensysteme stagniert seit Monaten bei etwas mehr als einer halben Million. Vor diesem Hintergrund ist es unerklärlich, warum der Gesetzgeber weiter an der Sanktionsregelung für Praxen festhält. Das macht in der jetzigen Situation keinen Sinn und deshalb haben wir einen Antrag vorbereitet, in dem wir fordern, diesen Unsinn zu beenden.“

Zurzeit werde die ePA zusätzlich durch das Verbot des Video-Ident-Verfahrens gebremst. Wer eine ePA eröffnen 
möchte, muss sich vor Ort entweder in einer Filiale seiner Krankenkasse oder via Post-Ident-Verfahren identifizieren. „Das ist mit Blick auf die Akzeptanz und die Nutzbarkeit natürlich eine Katastrophe“, erklärte Pochhammer.

Die Delegierten verabschiedeten in 
der Folge in München eine Reihe von Anträgen, die die aktuelle Gesundheitspolitik ins Visier nehmen. In einer Resolution wurde der Gesetzgeber 
aufgefordert, „die betreffenden Regelungen des GKV-FinStG umgehend in einer sachangemessenen Weise zu reformieren, insbesondere indem die neuen Parodontitis-Leistungen gemäß der Forderung des Bundesrates gesetzlich extrabudgetär gestellt werden und damit die Bereitstellung der hierfür erforderlichen Mittel gewährleistet wird“.

Die Rückkehr zur strikten Budgetierung der Gesamtvergütungen sei für die Vertragszahnärzteschaft nicht hinnehmbar. „Sie erschweren die vollständige Erbringbarkeit des vertragszahnärzt­lichen Leistungsspektrums, insbesondere der neuen Parodontitis-Therapie. Dadurch gefährden diese Regelungen in erheblichem Maße die vollständige, flächendeckende Sicherstellung der vertragszahnärztlichen Versorgung“, heißt es in der Resolution weiter. Andernfalls könne die Versorgung bei der Parodontitis-Therapie nicht voll­umfänglich flächendeckend sichergestellt und gewährleistet werden.

Härtefallregelungen auch für Zahnarztpraxen!

In einem weiteren Beschluss fanden die Delegierten klare Worte: „In Zeiten galoppierender Inflation und explodierender Energie- und Materialkosten überzieht der Gesetzgeber die Zahnarztpraxen zusätzlich mit Honorarkürzungen und der Wiedereinführung der strikten Budgetierung. Das bringt das Fass zum Überlaufen.“  Der Gesetzgeber lege damit die Axt an eine funktionierende zahnärztliche Versorgung, die Deutschland auf diesem Gebiet zu einem Vorbild in Sachen Prävention und Mundgesundheit gemacht habe.

Die Delegierten forderten den Gesetzgeber deshalb auf, „den ambulanten und stationären Sektor endlich gleich zu behandeln und die für Krankenhäuser beschlossenen Härtefallregelungen in ihrer Geltung auf Vertragszahnarztpraxen zu erweitern“. Die Praxen seien in besonderem Maße von der Inflation und den hohen Energiekosten betroffen. „Die Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte können durch die starre Vergütungssystematik diese Teuerungen allerdings nicht wie Unternehmen unterjährig über höhere Preise weitergeben“, heißt es in einem weiteren Beschluss.

„Vergewerblichung der Zahnheilkunde endlich stoppen – Gesundheit ist keine Handelsware!“ lautet der Titel eines Beschlusses, der sich deutlich gegen die Aktivitäten von versorgungsfremden Investoren in der zahnmedizinischen Versorgung ausspricht. Die Vertreterversammlung fordert damit das BMG auf, endlich dem mehrfachen Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) Folge zu leisten und dieses Problem zeitnah zu lösen. 

„Jeder weitere Tag des Abwartens ermöglicht den Investoren die Errichtung weiterer iMVZ, die die Versorgungslandschaft dauerhaft verändern. Eine solche Entwicklung gilt es dringend zu verhindern“, erklärten die Delegierten. „Voraussetzung für die Berechtigung zur Gründung von zahnärzt­lichen MVZ durch ein Krankenhaus soll sein, dass das Krankenhaus über einen zahnmedizinischen Fachbezug verfügt und ein MVZ nur innerhalb seines Planungsbereichs gründen darf“, also ein räumlich-fachlicher Bezug besteht.

Die Politik soll die „unsinnigen Saktionen“ beenden

Daneben verabschiedeten die Delegierten eine Reihe von Beschlüssen, die sich mit den Problemen der Telematik­infrastruktur (TI) befassen. So wurde der Gesetzgeber aufgefordert, die „unsinnigen Sanktionen“ bei der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) umgehend aufzuheben. „Sanktionen sind nicht geeignet, Akzeptanz bei den Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzten zu erlangen, erst recht nicht, wenn die TI-Anwendungen nicht ausreichend erprobt sind“, hieß es.

Außerdem wurde verlangt, die Neu­entwicklung von weiteren digitalen Anwendungen auszusetzen, solange die aktuell verfügbaren TI-Anwendungen nicht evaluiert und praxisreif seien. Darüber hinaus forderten die Delegierten, den weiteren Roll-out des E-Rezepts zu stoppen, „bis eine sichere und massentaugliche digitale Umsetzung für Patienten und Praxen ohne Medienbrüche verfügbar ist“.

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