Aus der Wissenschaft

Der digitale Workflow im zahnlosen Kiefer ist genau genug

Florian Beuer
Die digitale intraorale Erfassung hat sich für die meisten festsitzenden prothetischen Restaurationen als neuer Goldstandard etabliert. Eine der Indikationen, in der die analoge Abformung in puncto Genauigkeit bislang noch überlegen war, ist die verblockte implantatgetragene Versorgung im zahnlosen Kiefer. Eine US-amerikanische Studie konnte jetzt jedoch zeigen, dass auch hier – zumindest in vitro – im komplett digitalen Workflow eine ausreichende Genauigkeit erreichbar ist.

Die Frage, ob eine implantatgetragene festsitzende Gesamtkieferversorgung komplett im digitalen Workflow hergestellt werden kann oder ob immer noch eine analoge Abformung notwendig ist, beschäftigt Arbeitsgruppen auf allen Kontinenten. Die Herausforderung könnte größer nicht sein, denn es wird zumindest theoretisch ein passiver Sitz der Restauration erwartet. Gleichzeitig ist die klinische Beurteilung, ob eine implantatgetragene Restauration passgenau ist oder nicht, doch sehr subjektiv. Der Sheffield-Test oder etwaige Röntgenkontrollbilder sind keine zuverlässigen Instrumente für die Kontrolle und dienen meist nur dazu, sehr schlecht passende Versorgungen auszusortieren.

Untersuchungsaufbau (Material und Methode)

Die Arbeitsgruppe um Konstantinos Chochlidakis aus Rochester, USA, versuchte, diese Fragestellung gemeinsam mit der Tufts Universität aus Boston im Rahmen einer kliniknahen Laboruntersuchung zu beantworten. Dafür erstellten sie ein Gipsmodell des Oberkiefers mit insgesamt vier Implantaten, jeweils in der Position der lateralen Schneidezähne und der zweiten Prämolaren. Auf diesem Modell wurde eine verschraubbare Zirkonoxidbrücke auf Abutmentniveau angefertigt. Diese Restauration diente als Pendant zum klinischen Langzeitprovisorium, dessen Außenform im Doppelscanverfahren auf die definitive Versorgung übertragen wird. Es wurden also zwei Scans mit einem Intraoralscanner (Trios, 3shape A7S, Kopenhagen, Dänemark) angefertigt: einmal die Implantate (beziehungsweise Analoge) mit den Scanpfosten des Systems und einmal das Langzeitprovisorium, montiert auf dem Modell.

Zu Erhöhung der Genauigkeit wurden fünf sphärische, selbstklebende Referenzmarker im Bereich des harten Gaumens montiert. Die so erhaltenen STL-Daten (STL – Standard Tessellation Language) wurden in ein CAD-Programm (Exocad DentalCAD, exocad GmbH, Darmstadt) importiert und mit der Außenkontur fusioniert – daraus wurde ein finales Design-STL erstellt. Auf drei verschiedenen 3-D-Druckern wurden jeweils 30 Prototyprestaurationen streng nach Herstellerangaben angefertigt. Anschließend wurden die notwendigen Titaninserts in den Prototypen adhäsiv befestigt.

Die Überprüfung der Passgenauigkeit erfolgte auf dem Gipsmodell (entsprach dem Patienten) von zwei unabhängigen, vorher kalibrierten Untersuchern. Sie teilten die Prototypen nach einem speziellen Protokoll in passgenau (= einsetzbar) und ungenau (= nicht einsetzbar) ein. Anschließend wurden alle Prototypen auf dem Gipsmodell mit dem vorgeschriebenen Drehmoment (15 Ncm) befestigt und die Passgenauigkeit mittels Zahnfilmröntgen überprüft.

Ergebnisse

Es konnten Daten von insgesamt 90 Prototypen ausgewertet werden. Die Übereinstimmung der Beurteilung durch die zwei Untersucher lag bei 100 Prozent. Insgesamt waren 86 Prototypen passgenau und hätten so im klinischen Alltag eingesetzt werden können. Die vier nicht einsetzbaren Gerüste kamen alle aus einem Drucker (DLP), damit hatte die Drucktechnologie einen signifikanten Einfluss auf die Passung der Prototypen.

Diskussion

Die Untersuchung konnte zeigen, dass in einem relativ kliniknahen Versuchsaufbau inzwischen verschraubte Brücken – in diesem Fall Kunststoffprototypen – im komplett digitalen Workflow herstellbar sind. Einschränkend muss allerdings angemerkt werden, dass ein Gipsmodell verwendet wurde, dessen Oberfläche für Intraoralscanner deutlich leichter scanbar ist als die orale Mukosa. Weiterhin ist die doch sehr grobe Einteilung in „einsetzbar“ und „nicht einsetzbar“ zwar sehr praxisnah, erlaubt allerdings kaum weitere Auswertungen. Die Auswertungen der Röntgenkontrollen werden im Ergebnisteil des Manuskripts nicht beschrieben. Trotzdem hat die Studie, vor allem durch die hohe Anzahl an Prüfkörpern, einen beachtlichen wissenschaftlichen Wert, da hier erstmals ein funktionierender komplett digitaler Workflow im zahnlosen Kiefer für implantatgetragene verschraubte Brücken vorgestellt wird.

Was bedeuten die Ergebnisse für die tägliche Praxis?

Folgende Schlussfolgerungen lassen sich für die klinische Praxis treffen:

  • Gedruckte implantatgetragene Prototypen für den zahnlosen Kiefer lassen sich (zumindest in vitro) komplett digital herstellen.

  • Die DLP-Technologie scheint der SLA und der CLIP-Technologie im Punkt Genauigkeit unterlegen zu sein.

Originalpublikation:
Papaspyridakos P, AlFulaij F, Bokhary A, Sallustio A, Chochlidakis K: Complete Digital Workflow for Prosthesis Prototype Fabrication with Double Digital Scanning: Accuracy of Fit Assessment. J Prosthodont. 2023 Jan;32(1):49-53.

Univ.-Prof. Florian Beuer

Abteilung für Zahnärztliche Prothetik, Funktionslehre und Alterszahnmedizin, Centrum für Zahn-, Mund- und
Kieferheilkunde, Charité –
Universitätsmedizin Berlin
Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin

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