Modellprojekt zur aufsuchenden Zahnmedizin der Zukunft

Wie Carsharing für Zahnärztinnen und Zahnärzte

Dass ältere und pflegebedürftige Menschen zahnmedizinisch schlecht versorgt sind, hat der Oralchirurg Dr. Sebastian Geiger zehn Jahre lang in seinem beruflichen Alltag immer wieder selbst erlebt. Gemeinsam mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern will er das nicht länger hinnehmen. Im Team entwickeln sie ein Projekt zur aufsuchenden zahnmedizinischen Versorgung der Zukunft.

Die Idee ist eigentlich simpel: Bus mieten, Team buchen, Route berechnen, und schon geht's los. Die konkrete Umsetzung ist dagegen doch komplizierter: Seit einem Jahr arbeiten der Oralchirurg Dr. Sebastian Geiger und der Verwaltungsmitarbeiter Tobias Lippek an dem Projekt „32bit – Zahnarztmobil“. Ihr Ziel ist, die aufsuchende zahnmedizinische Versorgung neu zu denken: „Die aufsuchende zahnmedizinische Versorgung der Zukunft, so wie wir uns diese vorstellen, basiert auf einer Verknüpfung von zukunftsweisenden Technologien, allen voran der Digitalisierung, mit den bewährten Versorgungsstrukturen und Akteuren“, erzählt Projektgründer Lippek. „Wir wollen keine Parallelstrukturen aufbauen, ganz im Gegenteil! Wir glauben, dass nur durch Stärkung der vorhandenen Strukturen der Wandel zu einer zahnmedizinischen Versorgung der Zukunft gelingen kann. Und wir betrachten die niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzte als DIE wichtigsten Akteure. Wir wollen keine Strukturen ersetzen, wir wollen vorhandene Strukturen stärken! Dabei setzen wir auf öffentlich-private Partnerschaften.“

Beispiel aufsuchende Versorgung von Pflegebedürftigen: „Mit Eintritt ins Pflegeheim werden die meisten Patienten nicht mehr zahnmedizinisch betreut“, beklagt Geiger. „In der MKG-Klinik, in der ich jahrelang tätig war, kamen die Patienten in der Regel mit einem desolaten Zahnstatus und völlig unzureichender Mundhygiene zu uns. Und wir mussten dann ernüchternd feststellen, dass das einzig sinnvolle Verfahren eine ausgedehnte Extraktionstherapie ist. In der Regel folgt darauf eine Operation in Vollnarkose, verbunden mit einem stationären Krankenhausaufenthalt. Und das hat bei mir persönlich den Eindruck hinterlassen, dass hier das System nicht gut funktioniert.“

Dass die aufsuchende Versorgung dem entgegenwirken kann, indem Zahnärztinnen und Zahnärzte per Behandlungsbus ein Pflegeheim besuchen, um die Patientinnen und Patienten vor Ort regelmäßig zu betreuen, ist nicht neu. Es gibt viele Zahnärztinnen und Zahnärzte, die sich in diesem Bereich engagieren. „Es handelt sich dabei jedoch meist um Einzelkämpfer“, weiß Lippek. „Was uns von diesen tollen, meist karitativen Projekten unterscheidet, ist, dass wir einen strukturellen Ansatz verfolgen. Unser Ziel ist, dass wir am Ende alle Menschen mit einem unzureichenden Zugang zu zahnärztlichen Leistungen bundesweit erreichen wollen – und eben nicht nur in einer bestimmten Region, durch das Engagement Einzelner."

„Wir sehen uns dabei als Dienstleister für Zahnärztinnen und Zahnärzte“, ergänzt Geiger. „Daher sollen die Behandlungsbusse angemietet werden können. Denn die Anschaffungskosten für ein Praxismobil sind enorm. Wir wollen Zahnärztinnen und Zahnärzten jedoch einen unkomplizierten Einstieg in die aufsuchende Versorgung ermöglichen.“

Wie soll die Anmietung eines Behandlungsbusses konkret ablaufen? „Wir entwickeln zurzeit eine Service-Plattform, die als 'One-Stop-Shop' konzipiert ist“, erläutert Lippek. „Das heißt, alle Hürden, die sonst mit der aufsuchenden Versorgung einhergehen, zum Beispiel Zulassung oder Versicherung des Busses, werden mit dieser Service-Plattform abgedeckt. Das reduziert den administrativen und auch den finanziellen Aufwand, der sonst mit der Anschaffung eines eigenen Praxismobils verbunden ist.“

Auch wenn es noch keinen Bus gibt, geht es voran!

Zudem beschäftigt sich das Team intensiv mit Bevölkerungs-, Raumstruktur- und Versorgungsdaten. „Wir wollen den Zahnärztinnen und Zahnärzten auch eine Standortanalyse anbieten, die zeigt, auf welchen Routen und von welchen Standorten aus eine Region sinnvoll angefahren werden könnte“, erläutert Geiger. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, der in den strukturschwachen, ländlichen Regionen am größten ist, wäre es seiner Meinung nach ebenfalls durchaus hilfreich, ein bestehendes Team direkt zum Bus mieten zu können: „Unser Ansatz ist, dass wir ZFAs anstellen, die für den Bus verantwortlich sind, sich damit auskennen, diesen vielleicht sogar fahren und die natürlich während der Behandlung assistierend zur Seite stehen können“, erläutert der 38-Jährige. „Damit wollen wir auch den ZFAs ein attraktives Berufsumfeld schaffen“, ergänzt Lippek. „Sie sollen mit den Bussen eine neue Verantwortlichkeit und Selbstbestimmtheit bekommen.“

Tobias Lippek und Sebastian Geiger kennen sich bereits seit 2010 privat. „Wir gehen seit vielen Jahren gemeinsam durchs Leben, haben zeitweise zusammen gelebt, hatten mal eine gemeinsame Band, haben fast zeitgleich geheiratet und Kinder bekommen“, berichtet Lippek. Vor allem durch die Kinder habe sich dann vieles bewegt: Beide wollten etwas verändern, für eine bessere Zukunft sorgen.

„Sebastian und ich haben uns viel darüber ausgetauscht, wie wir arbeiten wollen und wie wir die nächsten Jahre in unserem Berufsleben erleben möchten. Das haben wir dann in der Elternzeit von Sebastian, einer produktiven Auszeit, konkretisiert. Ich war zeitgleich im Master-Studium und so konnten wir uns inhaltlich sehr frei fokussieren und sind nach und nach immer tiefer in unsere Projektidee eingestiegen."

Ein entscheidender Aspekt bei der Entwicklung des Projekts liegt in der sorgfältigen Zusammenstellung eines Teams, das eine Vielzahl von Expertisen repräsentiert. Dazu kommt die Offenheit für neue Ideen und Ansätze. „Wir sind überzeugt, dass nur durch gemeinsames Engagement und Zusammenarbeit wirkliche Veränderungen in der zahnmedizinischen Versorgung erzielt werden können. Diese wiederum leben maßgeblich vom kreativen Austausch und von einer kontinuierlichen Weiterentwicklung”, erläutert Lippek. Geiger ergänzt: „Unsere Tür steht immer offen für alle, die genauso leidenschaftlich an diese Vision glauben wie wir.”

Noch steht das Projekt „32bit“ am Anfang; „Aber wir befinden uns gerade in einer ziemlich dynamischen Phase des Projekts“, berichtet Geiger. „Wir beantragen öffentliche Fördergelder, wir bauen Kooperationspartnerschaften auf, unter anderem zu Fahrzeugherstellern, zu Aufbauherstellern, zu Dentaldepots, zu Dentalgeräteherstellern, zu universitären Partnern im Bereich der Alterszahnheilkunde, zur Versorgungsforschung, zu Kommunen, zu Alten- und Pflegeheimen und und und ... Auch wenn wir bisher noch keinen Bus haben, es geht deutlich voran! Der Plan und unsere Wunschvorstellung ist, dass wir innerhalb des nächsten Jahres die ersten Busse zum Einsatz bringen können.“

Mit Unterstützung der KZV und der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern fand Ende Oktober eine erste Infoveranstaltung für die Öffentlichkeit statt. „Das war wie ein Testballon für uns“, erzählt Lippek. „Und wir sind begeistert, dass wir bereits erste positive Rückmeldungen für unser Projekt bekommen haben. Das war ein enormer Motivationsschub!“

Die nächsten Schritte liegen nun klar vor ihnen: „Jetzt geht es erstens um den Aufbau von konkreten Kooperationspartnerschaften vor Ort und natürlich um die Finanzierung. Wir müssen die Busse ja vorfinanzieren, um sie anschließend vermieten zu können“, erzählt Geiger. „Dann geht es natürlich auch darum, die Behandlungsbusse zu planen, zu konzipieren, den Ausbau in Auftrag zu geben, weiterzuentwickeln und zu implementieren. Das alleine ist schon ein langer Weg. Und natürlich muss auch die IT-Architektur für die Service-Plattform aufgebaut werden.“

Bei diesen und weiteren Aufgaben der Aufbauphase stand in den vergangenen Monaten Isabel Blank-Aschauer maßgeblich zur Seite. Sie brachte wichtige Arbeitserfahrungen und umfangreiche betriebswirtschaftliche Kenntnisse mit in das Team und setzt sich mit Fragen rund um das Geschäftsmodell von 32bit auseinander. „Unsere Vision ist ein ganzheitliches Neudenken der Zahnarztversorgung im ländlichen Raum sowie für vulnerable Patientengruppen. Insbesondere der soziale Mehrwert, den wir mit unserem Projekt nachhaltig kreieren, liegt uns am Herzen“, betont Blank-Aschauer.

Der Weg ist noch lang. Und doch legt das 32bit-Team die berufliche Zukunft darauf aus: „Wir beobachten aktuell eine zunehmende Kommerzialisierung und Vergewerblichung der Zahnmedizin und bewerten diese kritisch“, betont Lippek. „Wir glauben, der grundlegende Ansatz für die zahnmedizinische Versorgung der Zukunft muss menschenorientiert sein und wertegetrieben. Wir wollen das Verhältnis von Zahnärztinnen und Zahnärzten mit den Patientinnen und Patienten stärken –  und mit unserem Projekt einen Service anbieten, damit auch in strukturschwachen Regionen Zahnärztinnen und Zahnärzte bestmöglich den Kontakt zu ihren Patienten halten können. An dieses Ziel glauben wir fest!“

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