Investoren-getragene Medizinische Versorgungszentren

Immer noch keine Regulierung in Sicht

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Vor über einem Jahr hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigt, Medizinische Versorgungszentren, die von versorgungsfremden Investoren betrieben werden (iMVZ), streng regulieren zu wollen. Jedoch: Auch im aktuellen Arbeitsentwurf des dafür zentralen Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) sucht man weiterhin vergeblich nach dem Stichwort iMVZ. In einer gemeinsamen Stellungnahme fordern Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und Bundeszahnärztekammer (BZÄK) den Minister auf, seinen Worten endlich Taten folgen zu lassen.

In Deutschland nimmt die Zahl der zahnärztlichen MVZ, die von versorgungsfremden Investoren betrieben werden, kontinuierlich zu: Während es Ende 2015 noch elf iMVZ gab, erhöhte sich ihre Zahl bis zum Ende des Jahres 2022 auf 427, im dritten Quartal 2023 waren es bereits 464 iMVZ in der zahnmedizinischen Versorgung, was einem Anteil von 30,4 Prozent an allen zahnärztlichen MVZ entspricht. Die Zahlen verdeutlichen, mit welcher starken Dynamik die Zunahme von hauptsächlich renditeorientierten iMVZ in der vertragszahnärztlichen Versorgung voranschreitet. Seit Jahren dringen Private-Equity-Gesellschaften und andere große Finanzinvestoren in die vertragszahnärztliche Versorgung vor, indem sie häufig kleine und nicht selten marode Krankenhäuser, die zudem über keinen zahnmedizinischen Fachbezug verfügen, aufkaufen, um diese dann als gesetzlich notwendiges Vehikel zur Gründung von iMVZ und großer iMVZ-Ketten zu nutzen.

KZBV und BZÄK haben diese Entwicklung sehr frühzeitig kritisch in den Blick genommen und vor den Gefahren für die Versorgungsqualität, das Patientenwohl und die Sicherstellung der Versorgung lautstark gewarnt. Auch die ärztlichen Berufsverbände mahnen diese Entwicklung in ihren Versorgungsbereichen an. Folglich wird der Referentenentwurf für das GVSG mit Spannung erwartet, bislang sind nur zwei inoffizielle Arbeitsentwürfe aus dem BMG bekannt.

Zum Hintergrund: Beim GVSG handelt es sich um das erste von zwei Sammelgesetzen, die auch als Versorgungsgesetz I und II bezeichnet werden. Das BMG hatte angekündigt, das Thema iMVZ im Zuge der beiden Gesetzesvorhaben anzugehen. Mit Blick auf die schleppende Gesetzgebung der Ampel verdichteten sich zuletzt die Anzeichen aus dem BMG dahingehend, dass die iMVZ-Regulierung bereits in das Versorgungsgesetz I, also das GVSG, vorgezogen werden könnte. Mitte Januar 2024 wurde der jüngste inoffizielle Arbeitsentwurf für das GVSG bekannt. Er entspricht in weiten Teilen dem Text des ersten Arbeitsentwurfs, der bereits seit Juni 2023 kursiert. Die in Aussicht gestellten Regelungen zu iMVZ sind auch in dieser Entwurfsfassung nicht enthalten.

Vergewerblichung stoppen

Das Unverständnis in der Zahnärzteschaft, dass Lauterbachs Versprechen zur schnellen Lösung der Investoren-Problematik bis heute keine Taten gefolgt sind, ist groß. Schon die Statistik belege die Dringlichkeit des gesetzlichen Handlungsbedarfs und bestätige einmal mehr, dass die angekündigten Regulierungsmaßnahmen demnach bereits in das erste Versorgungsgesetz gehörten. „Die Analyse der Abrechnungsdaten zeigt eine Tendenz zu Über- und Fehlversorgungen in iMVZ gegenüber den bewährten Praxisformen“, erklärt Martin Hendges, Vorsitzender des Vorstands der KZBV. „Daher fordern wir Minister Lauterbach noch einmal auf, entsprechende Regelungen aufzunehmen und die fortschreitende Vergewerblichung des Gesundheitswesens endlich wirksam zu stoppen.“ Dafür spricht aus Sicht des KZBV-Vorsitzenden auch, dass zahnärztliche iMVZ kaum etwas zur Versorgung auf dem Land beitrügen und sich deutlich seltener an der Versorgung vulnerabler Gruppen beteiligten als niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte. Diese Gefahren von iMVZ für die Patientenversorgung sind vielfach belegt, im zahnärztlichen Versorgungsbereich insbesondere durch ein IGES-Gutachten im Auftrag der KZBV (2020) sowie regelmäßige statistische Auswertungen der KZBV (https://www.kzbv.de/z-mvz). Zugleich steigt durch größere Kettenbildungen die Gefahr von regionalen Versorgungslücken im Fall von Insolvenzen, mit erheblichen Folgen für Patientinnen und Patienten.

Ein weiteres Problem ist die fehlende Transparenz: Die hinter iMVZ stehenden Eigentümer- und Beteiligungsstrukturen sind häufig sehr verschachtelt und können durch die bestehenden Register nicht ausreichend nachvollzogen werden. Hendges erinnert daran, dass die Vorschläge der Zahnärzteschaft für eine iMVZ-Regulierung schon lange vorliegen. Sie basieren in Ergänzung des zuvor genannten IGES-Gutachtens auf einem umfangreichen Rechtsgutachten von Prof. Helge Sodan von der Freien Universität Berlin und Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht. Die zentrale Forderung lautet, dass im zahnärztlichen Bereich ein räumlicher und fachlicher Bezug des Trägerkrankenhauses zur Gründungsvoraussetzung für ein iMVZ gemacht wird. Konkret heißt das zum einen, dass ein Krankenhaus für die Gründung eines zahnärztlichen MVZ über eine zahnmedizinische Fachabteilung beziehungsweise einen zahnmedizinischen Versorgungsauftrag verfügen muss. Zum anderen muss eine räumliche Nähe zwischen Krankenhaus und MVZ bestehen. „Ergänzend hierzu ist es notwendiger, dass iMVZ-Register geschaffen und iMVZ-Betreiber verpflichtet werden, auf Praxisschildern und Websites Angaben über Träger- und Inhaberstrukturen zu machen. Nur so kann die notwendige Transparenz hergestellt werden“, fügt der KZBV-Vorsitzende hinzu.

Was bisher geschah

Die Forderung nach einer Regulierung investorengetragener Medizinischer Versorgungszentren in Deutschland hat bereits eine lange Vorgeschichte. Hier ein Rückblick auf einige der Stationen:

Juni 2022

Die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder fassen einen einstimmigen Beschluss zur Regulierung von iMVZ. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) wird gebeten, Regelungen zu treffen, die sicherstellen, Fremdinvestoren mit ausschließlichen Kapitalinteressen von der Gründung und dem Betrieb zahnärztlicher MVZ auszuschließen. KZBV und BZÄK begrüßen und unterstützen diesen Beschluss.

Dezember 2022

In der „Bild am Sonntag“ kündigt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) an: „Ich schiebe einen Riegel davor, dass Investoren mit absoluter Profitgier Arztpraxen aufkaufen.“ Entsprechende gesetzliche Regelungen sollen im Laufe des Jahres 2023 folgen.

Januar 2023

Die Bundesärztekammer (BÄK) betont in einem Positionspapier, dass sie seit mehreren Jahren eine zunehmende Kommerzialisierung des Gesundheitswesens feststellt und insbesondere die Thematik der iMVZ kritisch beobachtet. Die ärztliche Standesorganisation fordert daher, dass die gesetzlichen Regelungen zu Gründung, Zulassung, Betrieb und Transparenz von MVZ – vor allem im Bereich iMVZ – weiterentwickelt werden sollen.

April 2023

Das BMG ändert den Zeitplan für die Versorgungsgesetze. Die Entwürfe sollen nun nicht, wie angekündigt, im ersten Quartal vorliegen, sondern im Mai 2023 (Versorgungsgesetz I) und im Herbst 2023 (Versorgungsgesetz II).

Juni 2023

Am 15. Juni wird eine erste inoffizielle Fassung für ein Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz – GVSG) bekannt. Es handelt sich um den Entwurf für das erste der beiden umfassenden Sammelgesetze (Versorgungsgesetz I). Vorschläge zur Regulierung von iMVZ sind nicht enthalten.

Einen Tag später, am 16. Juni, nimmt der Bundesrat den von den Ländern Bayern, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Hamburg eingebrachten Entschließungsantrag „Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes“ an, der einen Maßnahmenkatalog zur Eindämmung von iMVZ enthält. Mit ihrem Vorstoß fordert die Länderkammer die Bundesregierung unter anderem auf, die Gründungsbefugnis für MVZ räumlich zu beschränken und darüber hinaus eine MVZ-Schilderpflicht sowie ein MVZ-Register einzuführen.

Januar 2024

Am 16. Januar wird ein nicht offizieller Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz – GVSG) öffentlich, der auf den 19. Dezember 2023 datiert ist. Auch in diesem Entwurf wird die Regulierung von iMVZ nicht aufgegriffen.

Qualität sichern

„Die Zahnmedizin in Deutschland braucht keine fachfremden Investoren, die sich in ohnehin meist gut versorgten kaufkraftstarken Regionen niederlassen, um dort ihre Renditeversprechen zu erfüllen“, betont Prof. Dr. Christoph Benz im gemeinsamen Statement der Standesorganisationen. Er wies auch auf die Folgen für die in iMVZ beschäftigten Zahnärztinnen und Zahnärzte hin: „Da die Behandler in iMVZ oft unter einem enormen Umsatzdruck stehen, finden die dort angestellten Kolleginnen und Kollegen meist eine schlechte Work-Life-Balance vor, die sich auch auf die Behandlungsqualität auswirken kann.“ Dieses Problem betreffe nicht nur Deutschland und auch nicht nur den ambulanten Bereich. Benz verwies auf eine wissenschaftliche Untersuchung aus den USA, die sich kürzlich mit den Auswirkungen der Private-Equity-Akquisitionen von US-Krankenhäusern auf die klinische Qualität der stationären Versorgung beschäftigt habe und zu alarmierenden Ergebnissen gelangt sei. Die Schlussfolgerung daraus liegt für den BZÄK-Präsidenten klar auf der Hand: „Um den erheblichen Gefahren für die Patientenversorgung nachhaltig entgegenzutreten, braucht es jetzt eine standhafte Politik, die im Ergebnis klare gesetzliche Vorgaben gegen die ungebremste Ausbreitung von iMVZ auf den Weg bringt.“

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