Integration ist Teamsache
An den drei Standorten der Praxis in der 11.000-Einwohner-Stadt arbeiten rund 60 Angestellte. In den vergangenen zehn Jahren sei es sehr viel schwieriger geworden, Fachkräfte zu finden, sagt Praxisinhaber Dr. Dominik Dortmann. „Beim Recruiting haben wir unseren Radius deshalb immer stärker erweitert und angefangen, auch Bewerberinnen und Bewerber aus anderen EU- sowie Drittstaaten in die Auswahl zu nehmen“, berichtet der 56-Jährige. Aktuell arbeiten in der Praxis zwei Zahntechniker aus Italien sowie jeweils ein Zahnarzt aus Libyen und dem Iran. Insgesamt sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus zehn verschiedenen Nationen beschäftigt.
Für Praxischef Dortmann steht und fällt eine erfolgreiche Einarbeitung damit: „Die Stammbelegschaft muss mitziehen. Damit sich neue Kolleginnen und Kollegen positiv entwickeln können, müssen alle im Team bereit sein, ihr Wissen proaktiv zu teilen. Das gilt auch für mich als Chef.“ Neben dem persönlichen Austausch in regelmäßigen Besprechungen nutzen die Mitarbeitenden zu diesem Zweck eine praxisinterne App, die als Kommunikationsplattform, aber auch als Qualitätsmanagement-Handbuch dient. Jeder kann Beiträge erstellen, optimieren und aktualisieren.
Dortmanns libyscher Mitarbeiter Mohamad Hmedat, der seit 2021 in Deutschland lebt und im Juni 2024 bei Zahn|Mund|Kiefer angefangen hat, gibt seinem Chef gutes Feedback. „Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass ich Dr. Dortmann einmal bei einer Teleskopbrücke assistiert habe. Das war noch vor meiner Kenntnisprüfung. Während der Behandlung hat er mir verschiedene fachliche Fragen gestellt. Unter anderem wollte er wissen, welche Farben es bei Bohrern gibt, welcher Bohrer für welche Behandlungen genutzt wird und warum – genau diese Fragen kamen später auch in meiner Prüfung vor“, erzählt der 35-Jährige. „In solchen Situationen und auch in den Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen habe ich viel gelernt. Der Austausch war eine große Hilfe, um Sicherheit und Selbstbewusstsein zu gewinnen.“
Die Neuen sollten mitlaufen
Dass eine offene und zugewandte Atmosphäre bei der Einarbeitung hilft, bestätigt Dr. Ursula Süßbier, Zahnärztin und Praxisinhaberin aus Berlin. Sie ist fachliche Leiterin der Personalvermittlung „Dentoglobal“, die auf das „Recruiting und Onboarding von zahnmedizinischem Fachpersonal mit Auslandsbezug“ spezialisiert ist. „Alle neuen Mitarbeitenden – das gilt für Kolleginnen und Kollegen aus der EU und Drittstaaten in besonderem Maße – brauchen das Gefühl, dass sie betreut werden, auch in den Pausen. Das heißt: Man sollte viel miteinander sprechen und Interesse füreinander zeigen.“
Für die erste Woche der Einarbeitung empfiehlt Süßbier, dass die Neuen erst einmal nur mitlaufen. Dabei ist wichtig: „Es sollte einen Paten oder eine Patin geben, der oder die ständig ansprechbar ist und sie begleitet.“ Nach ein bis zwei Wochen könne man dann nach und nach mit der Integration in die Praxisabläufe beginnen. Geeignete Aufgaben für den Anfang seien beispielsweise das Umsetzen der hygienischen Standards und das Vorbereiten der Instrumente.
Ist es ein Match für die Praxis?
Süßbier rät Praxen, beim Onboarding von Fachkräften aus dem Ausland mit Checklisten zu arbeiten: „Die gibt es zu allen Themen: von der Bedienung des Steris bis hin zur Vorbereitung des Behandlungsraums. Es schadet nicht, relevante Checklisten in die Muttersprache der neuen Kolleginnen und Kollegen zu übersetzen.“ Bei Zahn|Mund|Kiefer sind diese Informationen in der praxisinternen App hinterlegt.
Den bürokratischen Aufwand, Mitarbeitende aus dem Ausland einzustellen, stuft die Personalbeauftragte bei Zahn|Mund|Kiefer, Jennifer Hürter, inzwischen als überschaubar ein. „Vieles müssen die Fachkräfte selbst organisieren, bevor sie überhaupt nach Deutschland einreisen und sich bewerben dürfen. Das gilt vor allen Dingen für Einreisen aus Drittstaaten“, sagt sie. Als Praxis gewinne man sehr schnell Routine bei den Verwaltungsaspekten und kenne bald die relevanten Ansprechpartner in Kammer und Verwaltung. Kolleginnen und Kollegen ermutigt sie, Bewerbungen aus anderen EU-Ländern und darüber hinaus zu berücksichtigen. Hilfreich könne es sein, den Austausch mit Praxen aus der Region zu suchen, die schon Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt haben.
Außerdem hat sie diesen Tipp: Besonders aufmerksam sollten Praxen prüfen, ob der Bewerber oder die Bewerberin ein Match für das Team ist. „Uns hilft es, die Person bei uns hospitieren zu lassen. Das würde ich immer empfehlen, wenn es auf lange Sicht funktionieren soll“, sagt Hürter.
Dazu rät auch Liane Adler. Sie leitet bei Dentoglobal den Bereich Recruiting und Support. Arbeitgeber sollten immer danach fragen, wie Bewerberinnen und Bewerber sich ihr Leben in Deutschland vorstellen. „Diesen Faktor beziehen wir beim Recruiting mit ein. Wir fragen zum Beispiel, was den Fachkräften an ihrem Wohnort wichtig ist. Wenn diese Vorstellungen nicht zum Standort der suchenden Praxis passen, bringen wir die beiden Parteien gar nicht erst in Kontakt miteinander, denn womöglich würde die Fachkraft gar nicht lange dortbleiben.“
Ein weiterer Faktor, den man beachten sollte: Für eine gute Zusammenarbeit ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, wo die Person vorher beruflich stand. Der Start in Deutschland bedeutet nämlich für viele Fachkräfte einen Schritt zurück in ihrer Laufbahn. Das gilt vor allen Dingen für Zahnärztinnen und Zahnärzte. Arian Moshreffar, der im Februar 2024 aus dem Iran nach Deutschland gekommen ist, führte in seiner Heimat neun Jahre lang eine eigene Praxis für Implantologie und ästhetische Zahnmedizin. Bis zu seiner Kenntnisprüfung, die in diesem Jahr stattfinden soll, arbeitet der 35-Jährige jedoch zunächst alsAssistent bei Zahn|Mund|Kiefer.
Für ihn sei es nicht immer leicht, Geduld und Zuversicht zu bewahren, räumt Moshreffar ein. „Mir hilft es deshalb sehr, dass das Team sich dieser emotionalen Belastung bewusst ist. An meinem ersten Tag hat Dr. Dortmann zu mir gesagt: ‚Ich weiß, dass du Zahnarzt warst. Ich weiß, dass du bei uns in der Praxis erst einmal Arbeiten erledigen musst, die unter deinen Fähigkeiten liegen und dass das am Selbstbewusstsein kratzt.‘ Da war mir klar, dass er mich versteht, und es fiel mir leichter, mich auf die Situation einzulassen.“
Dortmann hält es für wichtig, die Diskrepanz zwischen den Kompetenzen im Heimatland und dem anfänglichen Arbeitsalltag in Deutschland direkt am Anfang der Beschäftigung zum Thema zu machen: „Man sollte die persönlich sehr herausfordernde Situation, in der sich die Fachkräfte befinden, zum einen anerkennen und ihnen außerdem zu jedem Zeitpunkt eine klare Perspektive vermitteln, wo sie aktuell stehen und was ihre nächsten Entwicklungsschritte in der Praxis sind.“
Die Jahre des Wartens hat auch Zahnarzt Hmedat, der im Dezember 2024 seine Kenntnisprüfung bestanden hat, noch gut vor Augen. Am Stuhl assistieren, absaugen, Abdrücke machen, so habe es bei Zahn|Mund|Kiefer für ihn angefangen. „Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich Schritt für Schritt aufgebaut wurde“, blickt er zurück. Auch in anderer Hinsicht empfiehlt es sich aus seiner Sicht für Chefinnen, Chefs und die Stammbelegschaft, ab und an die Perspektive der nicht aus Deutschland stammenden Teammitglieder einzunehmen. „Man kommt hier als ausgebildeter Zahnarzt an und kann eigentlich alles machen. Aber die neue Atmosphäre schüchtert einen ein, gleichzeitig möchte man sich beweisen“, beschreibt er die Herausforderung. „Weil mir hier Vertrauen entgegengebracht wurde, konnte ich mich entspannen und unbefangen lernen.“
Dienstags ist Team-Lunch
Wie alles funktioniert aus Erfahrung von Praxisinhaber Dortmann auch die Integration der Mitarbeitenden aus anderen EU- oder Drittstaaten besser, wenn die Stimmung in der Mannschaft gut ist. Auf Teambuilding legt die Praxis daher großen Wert. Regelmäßig unternimmt die Belegschaft Ausflüge. Dienstags findet immer ein Team-Lunch statt, die Pausenzeit wird den Angestellten nicht abgezogen.
Zum Selbstverständnis der Praxisbetreiber gehört auch Familienfreundlichkeit. Zeitweise gab es eine betriebseigene Kita und immer noch können die Angestellten ihre Kinder bei einem Betreuungsengpass mitbringen. Die Personalräume sind entsprechend ausgestattet – große Küche, Kicker und Spielsachen inklusive. „Ein familiäres Miteinander ist uns wichtig, weil wir sehr viel Zeit zusammen verbringen“, erklärt Dortmann. „Von der kollegialen Atmosphäre profitieren auch unsere zugewanderten Mitarbeiter.“
Für Jennifer Hürter hat die Zeit, die das Team miteinander verbringt, noch weitere Vorteile. Wenn es Gelegenheit für Gespräche gibt, lernen alle etwas über den kulturellen Hintergrund der Anderen. Gerade Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland könnten sich so mit den gesellschaftlichen Gepflogenheiten in Deutschland viel schneller vertraut machen. Andersherum sei es hilfreich, auf diese Weise mehr über das Herkunftsland der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erfahren. „Wir treiben diesen Austausch aktiv voran und nutzen unsere regelmäßigen internen Team-Sitzungen, um uns beispielsweise von den Kollegen erzählen zu lassen, was im Fastenmonat Ramadan passiert und was ihnen in dieser Zeit wichtig ist“, sagt Hürter.
So verläuft der Berufsanerkennungsprozess
Zahnärztinnen und Zahnärzte mit einer Approbation aus Drittstaaten in Deutschland zu integrieren, ist bürokratischer Aufwand. Um den Prozess zu erleichtern, hat die Landeszahnärztekammer Sachsen (LZKS) sich etwas einfallen lassen: In einem Ablaufdiagramm stellt sie Schritt für Schritt den Berufsanerkennungsprozess dar, den Fachkräfte aus dem Ausland in Sachsen durchlaufen müssen.
Die LZKS hofft, dass Niedergelassene mithilfe des neuen Ablaufdiagramms Berührungsängste im Zusammenhang mit dem Anerkennungsprozess abbauen. Auch für interessierte Zahnmedizinerinnen und -mediziner aus dem Ausland kann es als Orientierungshilfe dienen. Anne Hesse, Ressortleiterin Öffentlichkeitsarbeit/Prävention von der LZKS: „Die Grafik zeigt auf einen Blick, welche Schritte vor der Berufsanerkennung liegen – und kann Zahnärztinnen und Zahnärzten, die diesen Weg gehen, unterstützen.“
Viel Kontakt hilft Hürter zufolge zudem dabei einzuschätzen, welche individuelle Förderung die zugewanderten Mitarbeiter brauchen. Das können Sprachkurse sein oder der Wechsel des Einsatzorts. „Wenn jemand eher schüchtern ist, setze ich ihn oder sie nicht in unserer großen Praxis ein, sondern in einer der kleineren, wo man sich nicht so schnell verloren fühlt.“
Die Sorgfalt, mit der das Team von Zahn|Mund|Kiefer Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland einarbeitet, wird auch außerhalb der Praxis positiv wahrgenommen. Im Dezember 2024 belegte die Praxis bei einem Wettbewerb des Landkreises in der Kategorie der Unternehmen mit 21 bis 100 Beschäftigten den ersten Platz – unter anderem, wie es in der Begründung heißt, für die ausgezeichnete Integration ausländischer Fachkräfte.