„Planen Sie ausreichend Kennenlernzeit ein!“
Frau Lugert-Jose, wie gelingt die Integration von Fachkräften aus dem Ausland?
Grace Lugert-Jose: Es ist vor allen Dingen wichtig, Integration nicht als Prozess zu denken, für den vor allem die zugewanderte Person verantwortlich ist. Auch das aufnehmende Team muss das Projekt unterstützen, damit die Internationals sich wie erhofft entwickeln.
Welche Rolle spielen Chefinnen und Chefs?
Sie müssen die Stammbelegschaft richtig vorbereiten. Dazu gehört die klare Ansage, dass durch die Internationals erst einmal Arbeit auf sie zukommt – Zusatzarbeit. Das wird oft nicht transparent gemacht. Stattdessen heißt es: „Der oder die Neue kann sofort starten. Wir werden entlastet.“ Tatsächlich muss man in den meisten Fällen anfangs erst einmal viel Energie und Geduld investieren. Die Internationals müssen sich erst mit den fachlichen und bürokratischen Standards in Deutschland vertraut machen. Manche mehr, manche weniger.
Was sind Ihre Tipps für die Anfangsphase?
Planen Sie ausreichend Kennenlernzeit ein! Zwei Tage reichen nicht aus. Häufig werden Fachkräfte aus dem Ausland eingestellt, weil das Team unterbesetzt ist. Das Stresslevel ist also bereits hoch. Das kann dazu führen, dass man der neuen Person zu schnell zu viel zumutet, was zu Fehlern und Frust führen kann.
Wie sollte man stattdessen vorgehen?
Besser ist es, zu akzeptieren, dass durch kürzlich zugewanderte Kolleginnen und Kollegen ein großer Veränderungsprozess im Team eingeleitet wird. Meine Erfahrung ist, dass dadurch erst einmal alles in eine Schieflage gerät. Der Alltag wird nicht so laufen wie vorher. In dieser heißen Phase müssen Chefinnen und Chefs das Team mitnehmen. Sie müssen darüber auf dem Laufenden sein, was gut läuft und wo nachjustiert werden muss. Sie sollten engmaschig mit allen Beteiligten in Kontakt bleiben. Es muss konstruktiv über Fehler gesprochen werden können. Sie sollten auch immer wieder das Ziel in Erinnerung rufen: Wenn die Einarbeitung gut läuft, werden wir langfristig entlastet.
Welche Rolle spielen Sprachkenntnisse?
Eine entscheidende. Sprachbarrieren führen bei vielen Internationals dazu, dass sie sich erst einmal in eine Beobachterrolle zurückziehen. Das kann so missinterpretiert werden, dass die Person wenig Selbstinitiative zeigt oder nicht kompetent ist. Ich empfehle,ein Umfeld zu schaffen, in dem man nicht so schnell in die Bewertung geht und versucht, die Kompetenzen im Zweiergespräch auszuloten oder Raum für Fragen einzuräumen. Dieses Angebot sollten Internationals dann nutzen.
Wie können zugewanderte Fachkräfte den Prozess selbst unterstützen?
Wer neu ins Team kommt, kann immer selbst etwas zum Gelingen beitragen – vorausgesetzt, das aufnehmende Team ist bereit zuzuhören, zu begleiten und gemeinsam zu lernen. Aus meiner Erfahrung gibt es einige Dinge, die Internationals tun können, um gut zu starten. Dazu gehört, zu akzeptieren, dass für sie – auch bei großer beruflicher Erfahrung – in Deutschland vieles neu beginnt. Sie brauchen Zeit und Geduld, sich mit Strukturen, Sprache und Abläufen vertraut zu machen. Ein weiterer Punkt ist, dass sie Fach- und Alltagssprache in informellen Gesprächen im Team oft besser als im Sprachkurs lernen können. Hier sollten sie also nicht scheu sein und das Team sollte sie ermutigen. Darüber hinaus ist es wichtig, bei Bedarf früh um Unterstützung zu bitten. Das fällt leichter, wenn es eine feste Bezugsperson im Team gibt. Nicht zurückschrecken sollten Internationals vor mehrfachen Rückfragen. Je mehr gefragt wird, desto schneller stellt sich Klarheit ein. Als letzten Punkt lege ich immer allen ans Herz, Fehler als Lernchance zu sehen: Perfektion ist nicht der Maßstab – sondern der Wille, dazuzulernen und dranzubleiben.
Das Gespräch führte Susanne Theisen.