Die Politik wacht auf – langsam
Demografie heißt übersetzt Bevölkerungswissenschaft. Anhand von Faktoren wie Geburten, Sterbefälle, Migration und Alterung versucht sie vorherzusagen, wie sich Bevölkerungen verändern und welche Auswirkungen diese Veränderungen haben. Sie ist ein Blick in die Zukunft – allerdings ohne Glaskugel, sondern auf wissenschaftlicher Basis und statistischen Daten. Sie bildet in der Regel mittel- und langfristige Trends ab. Und diese Langfristigkeit ist auf politischer Ebene wiederum ihr Problem. Denn es müssen heute politische Entscheidungen für Ereignisse und sich abzeichnende Probleme, die in fernerer Zukunft liegen, getroffen werden. Und es liegt in der Natur der Sache, dass Politikerinnen und Politiker eher in vier- oder fünfjährigen Legislaturperioden denken. Somit bleiben die erforderlichen Maßnahmen, die in der Gegenwart Geld kosten und möglicherweise aufwendig oder gar unpopulär sind, häufig aus. Das geht so lange gut, bis die ferne Zukunft plötzlich gar nicht mehr so fern ist. Dass die deutsche Bevölkerung immer älter wird, lange bekannt. Dass sich die ländlichen Räume eher ausdünnen, ebenso. Und dass in sehr naher Zukunft sowohl in der Ärzteschaft als auch in der Zahnärzteschaft eine erhebliche Zahl in den Ruhestand geht – darauf weisen die Standesorganisationen gebetsmühlenartig hin. Doch es ist kein leichtes Unterfangen, junge (Zahn-)Medizinnerinnen und -Mediziner aufs Land zu locken – trotz eines beständigen Patientenaufkommens und guter Verdienstmöglichkeiten.
In Sachsen-Anhalt, wo der demografische Wandel bereits in vollem Gange ist, wurde kürzlich ein Landzahnarztgesetz verabschiedet. Es sieht neben der Einführung einer Landzahnarztquote für das Zahnmedizinstudium an der Uni Halle die finanzielle Unterstützung von Auslandsstipendien vor. Es wurden drei Studienplätze geschaffen, bei denen nicht der NC zur Anwendung kommt, sondern praktische Erfahrungen, fachspezifische Kompetenzen und die persönliche Motivation. Im Gegenzug verpflichten sich die Studierenden zu einer zahnärztlichen Tätigkeit von mindestens zehn Jahren in einer Region mit besonderem Versorgungsbedarf. Gleiches gilt für ein Stipendienprogramm der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt in Kooperation mit der Universität Pécs in Ungarn. Das Land übernimmt mittels des Landzahnarztgesetzes bis zu zehn weitere Stipendien zu den bereits bestehenden zwölf der KZV. Die Zahl der Studienplätze, die diesen Bedingungen unterliegen, macht deutlich, dass sich damit die künftigen Nachwuchsprobleme nicht vollends werden lösen lassen. Immerhin ist ein Drittel der rund 1.400 Vertragszahnärztinnen und -zahnärzte im Land über 60 Jahre. Hinzu kommt, dass einige Jahre ins Land gehen werden, bis sie zum Tragen kommen. Aber es ist ein Anfang, setzt Anreize und zeigt, dass die Politik langsam, aber sicher den Ernst der Lage erkannt hat. Zumal wenn die politische Ebene wie beim Beispiel Sachsen-Anhalt mit den Standesorganisationen zusammenarbeitet. Versorgungsprobleme werden nur regional gelöst werden können. Aber gleichzeitig muss die Politik auf Bundes- und Landesebene attraktive Rahmenbedingungen für den Berufsstand, aber auch für die Lebens- und Arbeitssituation schaffen. Mehr dazu lesen Sie in dieser Ausgabe.
In unserer Titelgeschichte geht es um die neue europäische S3-Leitlinie zur Therapie von Patientinnen und Patienten mit Parodontitis im Stadium IV. Sie wurde im Verbund mit zahlreichen Fachgesellschaften und Organisationen an die deutschen Verhältnisse angepasst und wird derzeit publiziert. In insgesamt fünf Beiträgen stellen wir die Leitlinie in dieser und in der nächsten Ausgabe vor. Der erste Beitrag stellt das komplexe Krankheitsbild vor und gibt einen Überblick über die therapeutischen Optionen, von denen es inzwischen einige gibt.
Viel Spaß bei der Lektüre
Sascha Rudat
Chefredakteur