Warum Sie auf Bewertungen reagieren sollten
Dr. Kerstin Brink erhielt neulich ihre 14. Google-Bewertung: einen Stern, begleitet von einem unangenehmen Kommentar über die Wartezeit und über den Ton der Dame am Empfang. Die Zahnärztin wurde von einem Patienten darauf aufmerksam gemacht. Reagiert hat sie auf die Bewertung jedoch nicht. „Es interessiert doch sowieso niemanden, was da steht“, meinte sie nur und fuhr mit ihrer Präparation fort.
Brink hat in diesem Moment ganz menschlich reagiert. Vielleicht auch deswegen, weil sie mit dem Thema überfordert ist. Allerdings unterschätzt sie, dass Online-Bewertungen längst zu einer Entscheidungsgrundlage geworden sind. Rund 68 Prozent der Patienten gaben laut einer Studie des SEO-Tool-Anbieters MOZ an, dass die „Bewertungen“ ihre Wahl für oder gegen eine Praxis beeinflusst haben. Sie wollen sich Zusatzinformationen einholen und „weiche Faktoren“ zur Praxis in Erfahrung bringen. Wie wirkt der Auftritt? Was sagt mein Bauchgefühl? Google-Profile liefern diese Eindrücke. Eine eindeutig negative Bewertung kann dabei schnell Zweifel säen.
Eine schlechte Bewertung kann schnell Zweifel säen
Interessant ist, dass Bewertungen mit 4,2 bis 4,5 Sternen als die optimale Google-Note gelten, so eine Studie des Spiegel Research Centers. Produkte und Dienstleistungen, die in dieser Zone liegen, verkaufen sich am besten. Glatte fünf Sterne sind also gar nicht unbedingt das Ziel? Natürlich sind sie nützlich. Die Patienten wissen aber, dass Zufriedenheit und Qualität im Dienstleistungsbereich stark subjektiv sind. Verschiedene Erwartungen werden unterschiedlich erfüllt. Wirklich problematisch ist eine dauerhaft sichtbare Google-Note von 3,0 – sie wirkt wie ein Eingeständnis durch die Praxis selbst: „Wir sind durchschnittlich“.
Die Gesamtbewertung errechnet Google aus dem Durchschnitt aller vergebenen Sterne. Hat eine Praxis zwei 5-Sterne-Bewertungen, ergibt das einen Durchschnitt von 5,0. Kommt eine 1,0-Bewertung hinzu, sinkt der Schnitt auf 3,66. Um diesen etwa wieder auf 4,4 zu bringen, sind viele weitere Top-Bewertungen nötig. Das bedeutet: Eine einzelne schlechte Bewertung kann das Gesamtbild drastisch verschlechtern. Die Glaubwürdigkeit der Google-Note wird von Nutzern ab der Anzahl von etwa 40 Bewertungen nicht mehr infrage gestellt.
Doch bedeutet das, dass Brink danach aufhören sollte, neue Bewertungen zu sammeln? Nein, denn Google löscht regelmäßig Bewertungen, etwa wenn inaktive E-Mail-Konten entfernt werden, inklusive der über sie erstellten Rezensionen. Außerdem besteht immer die Gefahr, dass neue negative Bewertungen hinzukommen.
Bewertungen sind auch ein Ranking-Faktor für die lokale Google-Suche. Wer mit seiner Praxis bei Google Maps besser sichtbar sein möchte, sollte seine Bewertungen pflegen. Google bezieht Bewertungen bei den Ergebnissen lokaler Suchanfragen ein. Auch das Verhalten der Nutzer wird berücksichtigt, zum Beispiel wie oft auf Bewertungen geklickt oder wie lange auf dem Profil verweilt wird.
Aber wie lässt sich ein Bewertungsmanagement sinnvoll strukturieren und in den Alltag integrieren? Ein praxisnaher Ansatz ist das AGIR-Prinzip – vier Schritte, die Orientierung geben und den Handlungsrahmen setzen.
A wie Aggregieren: Haben Sie alles im Blick
Brink hat – wie viele Zahnärztinnen und Zahnärzte – zahlreiche gute Bewertungen auf Portalen wie jameda, Sanego & Co. Was tun mit den guten, aber alten Patientenmeinungen? Da der Fokus heute klar auf Google liegt, ist es sinnvoll, sämtliche Bewertungen zu bündeln. Dafür gibt es professionelle Tools, die Bewertungen aus verschiedenen Portalen zusammenführen und auf der Praxis-Website als Bewertungssiegel einbinden. Das erhöht die Transparenz für potenzielle Neupatienten und macht das Durchsuchen einzelner Portale überflüssig. Zu guter Letzt behalten Praxen so ihre eigene Online-Reputation zentral im Blick.
G wie Generieren: Fördern Sie die Bewertungskultur aktiv
Wie schafft es Brink, neue Bewertungen zu generieren? Regelmäßige, authentische Patientenbewertungen sind unverzichtbar. Dabei gilt: Nur echte, ehrlich abgegebene Bewertungen vermitteln ein glaubwürdiges Bild. Um neue Bewertungen zu generieren, haben sich Bewertungsanfragen per SMS bewährt. Die Mobilnummer ist im Gegensatz zu E-Mail-Adressen in der Regel verifiziert und SMS werden mit einer Öffnungsrate von bis zu 98 Prozent deutlich häufiger gelesen als E-Mails mit circa 20 Prozent. Grundsätzlich sind 70 Prozent der Patienten bereit, eine Bewertung zu hinterlassen, insbesondere wenn sie proaktiv angesprochen werden. Fragen Sie Ihre Patientinnen und Patienten direkt nach der Behandlung freundlich, ob sie die Praxis bewerten möchten. So entsteht eine nachhaltige Bewertungskultur, ohne auf unlautere Mittel zurückzugreifen.
I wie Informieren: Bewahren Sie den Überblick
Sie werden immer bewertet, selbst wenn Sie Bewertungen nicht aktiv steuern. Diese Realität lässt sich nicht umgehen – außer Sie löschen Ihr Google-Profil und nehmen damit den Verlust der Online-Sichtbarkeit in Kauf. Daher ist es essenziell, regelmäßig über neue Bewertungen informiert zu sein. Diverse Tools benachrichtigen zuverlässig über den Eingang neuer Rezensionen. Es empfiehlt sich außerdem, eine feste Ansprechperson im Team zu benennen, die sich um die Online-Reputation kümmert. Ohne eine klare Zuständigkeit gerät das Thema schnell in Vergessenheit.
R wie Reagieren: Zeigen Sie Haltung
Auf Bewertungen zeitnah zu reagieren ist ein zentraler Bestandteil moderner Patientenkommunikation. So demonstriert man Wertschätzung, Offenheit und Verantwortungsbewusstsein. Besonders bei negativen Bewertungen ist eine sachliche, ruhige Antwort gefragt. Sie sollte weder emotional noch abwehrend formuliert sein. Vielmehr geht es darum, Verständnis zu zeigen und die eigene Sichtweise darzustellen. Beachten Sie: Dabei dürfen keine Behandlungsdetails genannt werden, um die ärztliche Schweigepflicht zu bewahren.
Die KI kann professionelle Antworten vorschlagen
Eine zeitnahe Reaktion signalisiert: Diese Praxis nimmt Rückmeldungen ernst. Schweigen hingegen kann als Desinteresse oder gar als Zustimmung zur Kritik wahrgenommen werden. Bereits eine einfache Antwort wie „Wir bedauern Ihre Erfahrung und würden das Gespräch gerne persönlich suchen“ kann Vertrauen schaffen. Manche Praxen nutzen hierfür KI-basierte Tools, die auf Basis des Bewertungstexts empathische, professionelle Antwortvorschläge generieren. So spart das Praxisteam Zeit und bleibt im richtigen Ton.
War es also richtig, die schlechte Bewertung unkommentiert zu lassen? Wohl kaum. Das wäre vergleichbar mit einer unbeantworteten Patientenanfrage und sendet das falsche Signal. Im Gegenteil: Durch eine kluge Reaktion lässt sich sogar ein Praxisvorteil betonen, etwa so: „Wir arbeiten mit einem strukturierten Terminmanagement, um Wartezeiten zu vermeiden.“ Damit verwandelt sich eine Kritik im Idealfall in ein Alleinstellungsmerkmal.
Tipps für den Praxisalltag
Halten Sie Ihr Unternehmensprofil auf Google aktuell (Sprechzeiten, Terminbuchung, Bilder und Neuigkeiten).
Reagieren Sie auf ALLE Bewertungen – besonders auf negative, aber auch auf positive.
Sorgen Sie regelmäßig für neue Bewertungen – je aktueller, desto relevanter.
Nutzen Sie Tools oder Apps, die Sie beim Eingang neuer Bewertungen sofort informieren.
Hätten sich Brink und ihr Team auch für eine Löschung entscheiden können? Theoretisch ja. Seit einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. August 2022 (Az.: VI ZR 1244/20) ist es möglich, Bewertungen löschen zu lassen – vorausgesetzt, diese verstoßen gegen die Google-Richtlinien. Im Wesentlichen besagen die Urteile, dass Google Bewertungen nur entfernen muss, wenn offensichtlich falsche Informationen nachgewiesen werden können.
Für negative Google-Bewertungen gilt, dass diese gelöscht werden können, wenn keine Patientenbeziehung zwischen dem Bewerter und der bewerteten Praxis besteht. Über das Praxisprofil kann zwar ein Löschantrag gestellt werden, der ist meist aber nicht erfolgreich. Am aussichtsreichsten ist der rechtliche Weg. Im Anschluss prüft Google tatsächlich, ob ein Behandlungskontakt stattgefunden hat. Meldet sich der Verfasser zudem nicht innerhalb einer festgelegten Frist, wird die Bewertung entfernt. Erfolgt eine Reaktion, wird konkret nach der Kontakthistorie gefragt.
Fazit
Patientenbewertungen, insbesondere auf Google, sind definitiv ernst zu nehmen. Sie beeinflussen das Image der Praxis, die Sichtbarkeit bei Google und letztlich den Zustrom neuer Patienten. Es empfiehlt sich, eine verantwortliche Person im Team zu benennen, die zeitnah auf alle Bewertungen reagiert – auf positive ebenso wie auf kritische. Ebenso sollte das Generieren neuer Bewertungen als strategisches Ziel der Praxis definiert werden, da diese ein wichtiger Ranking-Faktor sind. Denn wie wir mit öffentlicher Kritik umgehen, sagt oft mehr über uns aus als die Kritik selbst. Das nehmen übrigens auch potenzielle Bewerberinnen und Bewerber wahr, die eine ausschreibende Praxis selbstverständlich erst mal googeln.