Jung, gut aussehend, Problempatientin
Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körperbild ist in Industriegesellschaften weit verbreitet, Body Dysmorphic Disorder (BDD) ist eine extreme Ausprägung. Sie wird als psychiatrische Erkrankung definiert, die durch eine übermäßige Beschäftigung mit einem – eingebildeten – Defekt des eigenen Erscheinungsbildes gekennzeichnet ist.
Betroffene können ihre negativen Gedanken oft nicht kontrollieren und leiden unter starkem emotionalem Stress, der sie daran hindert, normale alltägliche und soziale Aktivitäten zu verwirklichen. Sie verstricken sich häufig in langwierige Rituale der Verheimlichung und Tarnung. Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die begrenzte Einsicht in die Erkrankung, weshalb Betroffene kosmetische Eingriffe durchführen lassen statt psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Zu den Begleiterkrankungen zählen Depressionen, Angstzustände, Substanzabusus, soziale Phobien und sogar Suizidgedanken. Wenn die Sorge um das körperliche Erscheinungsbild belastend ist, aber keine Beeinträchtigung oder Behinderung verursacht und auf einem subklinischen Niveau bleibt, spricht man von „normativer Unzufriedenheit“ oder „dysmorpher Sorge“.
Wie kann man gefährdete Personen erkennen?
Obwohl ihre Ätiologie noch unbekannt ist, ist die körperdysmorphe Störung vermutlich multifaktoriell bedingt und umfasst neurobiologische, psychologische und soziokulturelle Faktoren. Sie beginnt typischerweise in der Adoleszenz und verläuft meist chronisch, wobei im Verlauf der Erkrankung meist mehr als ein Körperteil in den Fokus gerät.
Die Prävalenz hängt von der untersuchten Bevölkerung ab. Im Jahr 2019 lieferte ein Team um Pérez Rodríguez einen ersten Anhaltspunkt: In der Studie wurden 213 Patienten von zwei reinen Prothetikpraxen und drei allgemeinen Zahnarztpraxen rekrutiert. Die Teilnehmenden erhielten einen Fragebogen zu dysmorphen Sorgen, der in ein Anamneseformular integriert war. Die Zahnmediziner bewerteten zudem den Grund für die Vorstellung der Patienten .
Ergebnis: Die Prävalenz von BDD betrug (je nach angenommenem Grenzwert) 4 bis 7 Prozent. Die Art des Eingriffs stand hingegen in keinem Zusammenhang mit den Werten. Der Fragebogen erscheint den Autoren aufgrund seiner Kürze, Einfachheit und guten Sensitivität ein geeignetes Instrument für Zahnärzte im Rahmen der Anamnese und Patientenuntersuchung zu sein. Die Autoren betonen: „Die körperdysmorphe Störung ist alles andere als selten, doch Ärzte erkennen diese gefährdeten Personen oft nicht. Medizinisches Fachpersonal sollte sich vor einer irreversiblen Behandlung im Umgang mit Personen mit wahrscheinlicher Körperdysmorphie weiterbilden.“
Dysmorphophobie-Test als Teil der Anamnese
Es gibt verschiedene standardisierte Tests, die auch in Studien als Indiz zur Feststellung von BDD genutzt werden. Die Arbeiten erfassen dann Screening-Positive. Dabei handelt es sich nicht immer um voll diagnostizierte Fälle nach DSM/ICD. Hierfür ist eine vollständige Diagnose mit klinischer Abklärung nach den offiziellen Kriterien der DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5th Edition) beziehungsweise der ICD-11 (International Classification of Diseases, 11th Revision) nötig. Die gängigsten Tests sind:
BDDQ – Body Dysmorphic Disorder Questionnaire
Kurzfragebogen zur Selbstbeurteilung mit wenigen Items
geeignet als Screening-Instrument in klinischen Settings (Zahnmedizin, Dermatologie, plastische Chirurgie)
fragt nach Sorgen über das Aussehen, Beeinträchtigungen und klinisch relevantem Distress
Sensitivität und Spezifität in Studien sehr hoch (> 90 Prozent)
DCQ – Dysmorphic Concern Questionnaire
Kurzfragebogen mit sieben Items
erfasst „dysmorphische Besorgnis“ auf einem Kontinuum
wird häufig in epidemiologischen und klinischen Studien eingesetzt
eignet sich für schnelles Screening bei großen Stichproben
BDD-YBOCS – Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale modified for BDD
Goldstandard in Forschung und Diagnostik
halbstrukturiertes Interview mit zwölf Items
misst Schweregrad von BDD-Symptomen
wird vor allem in der Fachpsychiatrie und in Forschungssettings verwendet, weniger im Praxis-Screening
COPS/COPS-D – Cosmetic Procedure Screening for BDD
speziell für Patient:innen, die ästhetische Behandlungen suchen (Zahnästhetik oder plastische Chirurgie)
fragt nach der Unzufriedenheit mit dem Aussehen, sozialer Beeinträchtigung, Vermeidung
nützlich in ästhetischen Fachrichtungen zur Entscheidung, ob eine Behandlung ethisch/psychologisch vertretbar ist
Für das kieferorthopädisch Setting ergab eine erste Studie 2020 eine Prävalenz von 5,2 Prozent [Sathyanarayana et al., 2020], eine später durchgeführte Metaanalyse kam zu dem Ergebnis, dass die Prävalenz in der spezifischen Population zwischen 5,2 Prozent und 13 Prozent variiert.
In der Literatur zeige sich ein Trend zu einer höheren BDD-Prävalenz bei jüngeren, weiblichen und alleinstehenden Patienten, schreiben die Autoren und empfehlen Zahnärzten und Kieferorthopäden, während der Anamnese auch nach anderen psychiatrischen Störungen zu fragen, da eine lebenslange Komorbidität zu Persönlichkeitsstörungen und schweren depressiven Störungen häufig ist [Dons et al., 2022].
Es sei entscheidend, die Störung so frühzeitig wie möglich zu erkennen, um die Patienten bestmöglich betreuen zu können. Denn aufgrund ihrer Erkrankung sei nicht davon auszugehen, dass sie mit dem Behandlungsergebnis am Ende zufrieden sind. Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie es doch sind, bestehe die Gefahr, dass sie ihren Fokus im Anschluss an die Behandlung auf ein anderes Körperteil verlagern.
Stieg mit der Pandemie die Prävalenz?
Neuere Untersuchungen widmeten sich der Frage, ob die Corona-Pandemie zu einem Anstieg der Prävalenz geführt hat. Eine Metastudie analysierte dazu gezielt Querschnitts- und Längsschnittstudien aus den Jahren 2019 bis 2023. Ergebnis: Die Prävalenz lag mit 20,8 Prozent deutlich höher als in der bisherigen Literatur beschrieben. Durch die Pandemie-bedingten Einschränkungen, die Schließung von Schönheitssalons und die vermehrte Nutzung sozialer Netzwerke und Videoanrufe habe sich das Angst- und Stressniveau bei Patienten mit diagnostizierter BDD sowie bei Menschen mit BDD-bezogenen Symptomen erhöht [Martínez-Líbano et al., 2025].
Doch längst nicht alle Studien kommen zu dem Schluss, dass die Pandemie das Phänomen verstärkt hat. 2021 untersuchte etwa eine Längsschnittstudie die Folgen der Quarantänen auf krankhaftes Bewegungsverhalten, Essverhalten und Körperbild unter Fitnessstudio-Mitgliedern (Durchschnittsalter 36,7 Jahre, 84 Prozent Frauen). Sie füllten vor und nach dem Lockdown im Abstand von 14 Monaten Fragebögen aus. Ergebnis: Die Werte für Bewegungssucht waren nach dem Lockdown signifikant niedriger; die Werte für Essstörungssymptomatik signifikant höher und bei der körperdysmorphen Störung gab es keine Änderungen. Auffällig dabei: Die Studienpopulation wies zu beiden Beobachtungszeitpunkten eine BDD-Prävalenz von mehr als 30 Prozent auf.
Mögliche Warnzeichen für BDD
Übermäßige Sorge um kosmetische Details: Patientinnen und Patienten sind übermäßig besorgt über kleine oder nicht vorhandene Makel im Mundbereich
Wiederholte kosmetische Eingriffe: häufige Anfragen nach kosmetischen Behandlungen wie Veneers, Zahnaufhellung oder Zahnkorrekturen, oft ohne objektive Notwendigkeit
Zu hohe Erwartungen an Behandlungsergebnisse: Erwartungen an kosmetische Eingriffe, die übermäßig hoch oder unerreichbar sind, was zu wiederholten Behandlungen führt
Unzufriedenheit trotz erfolgreicher Behandlungen: anhaltende Unzufriedenheit mit kosmetischen Ergebnissen, selbst wenn diese objektiv erfolgreich waren
Begleitende psychische Symptome: Anzeichen von Depression, Angststörungen oder sozialer Isolation, die mit der Besorgnis über das Aussehen in Zusammenhang stehen.
Für den zahnmedizinischen Kontext weisen neuere Untersuchungen ähnlich hohe Werte aus: Die Prävalenz in der Patientenschaft lag bei 34,1 Prozent [Alharbi et al., 2023], unter Zahnmedizinstudierenden bei 27,3 Prozent [Faruq et al., 2025].
Welche Rolle spielt Social Media?
Dass die Social-Media-Nutzung in einem kausalen Zusammenhang mit der Erkrankung steht, ist (noch) nicht belegt, aber die Hinweise verdichten sich. Querschnittsstudien verweisen auf eine Korrelation zwischen BDD und erhöhter Social-Media-Nutzung [Bonfanti et al., 2024] und zeigen, dass vor allem eine häufige, bildbasierte Social-Media-Nutzung prädiktiv für stärkere dysmorphische Symptome ist [Gupta et al., 2024]. Personen, die täglich vier bis sieben Stunden auf Instagram und Snapchat verweilten, zeigten eine signifikant höhere Prävalenz (29 Prozent) als die Vergleichsgruppe, die weniger als eine Stunde pro Tag auf diesen Plattformen verbrachte (19 Prozent). Personen mit BDD hatten ein signifikant höheres Risiko, sich einer Schönheitsoperation zu unterziehen als Personen ohne BDD [Ateq et al., 2024].
Gerade machte der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) auf die psychischen Belastungen junger Mädchen aufmerksam. Insbesondere die Propagierung unrealistischer Schönheitsideale in den sozialen Medien und der Perfektionsdruck in der Pubertät stellen demnach eine große Herausforderung dar. Viele Mädchen fühlten sich „nicht normal“, verglichen sich mit bearbeiteten Bildern im Netz und gerieten dadurch in ein gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper. 2021 gaben laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 44 Prozent der befragten Mädchen und jungen Frauen zwischen 14 und 25 Jahren an, dass sie sich in ihrem Körper nicht wohlfühlen [Scharmanski et Hessling, 2021].
Literaturliste
Alharbi A, Alkhathami A, Farooqi FA, Al-Khalifa KS, Shahin S, Nassar E, Gaffar B. The Prevalence of Body Dysmorphic Disorder and Its Associated Risk Factors Among Dental Patients: Why Are My Patients Not Satisfied? Cureus. 2023 Nov 30;15(11):e49739. doi: 10.7759/cureus.49739. PMID: 38161948; PMCID: PMC10757588.
Ateq K, Alhajji M, Alhusseini N, The association between use of social media and the development of body dysmorphic disorder and attitudes toward cosmetic surgeries: a national survey, Front. Public Health, 08 March 2024, Sec. Public Mental Health, Volume 12 – 2024, doi.org/10.3389/fpubh.2024.1324092
Bonfanti RC, Melchiori F, Teti A, Albano G, Raffard S, Rodgers R, Lo Coco G. The association between social comparison in social media, body image concerns and eating disorder symptoms: A systematic review and meta-analysis. Body Image. 2025 Mar;52:101841. doi: 10.1016/j.bodyim.2024.101841. Epub 2024 Dec 24. PMID: 39721448.
Dons F, Mulier D, Maleux O, Shaheen E, Politis C. Body dysmorphic disorder (BDD) in the orthodontic and orthognathic setting: A systematic review. J Stomatol Oral Maxillofac Surg. 2022 Sep;123(4):e145-e152. doi: 10.1016/j.jormas.2021.10.015. Epub 2021 Oct 30. PMID: 34728407.
Faruq, M.F.I., Dalal, K., Das, R. et al. Prevalence of body dysmorphic disorder and its association with mental health status among medical and dental students in Bangladesh. Discov Public Health 22, 561 (2025). doi.org/10.1186/s12982-025-00965-0
Gupta M, Jassi A, Krebs G, The association between social media use and body dysmorphic symptoms in young people, Front. Psychol., 17 August 2023, Sec. Pediatric Psychology, Volume 14 - 2023, doi.org/10.3389/fpsyg.2023.1231801
Martínez-Líbano J, Reyes JMA, Passalacqua AS et al., Prevalence and post-pandemic consequences of body dysmorphic disorder: a systematic review with meta-analysis. Health Psychol Rep. 2025 May 29;13(3):215-225. doi: 10.5114/hpr/202321. PMID: 40959656; PMCID: PMC12435562.
Pérez Rodríguez C, Judge RB, Castle D, Phillipou A. Body dysmorphia in dentistry and prosthodontics: A practice based study. J Dent. 2019 Feb;81:33-38. doi: 10.1016/j.jdent.2018.12.003. Epub 2018 Dec 21. PMID: 30579858.
Sathyanarayana, H.P., Padmanabhan, S., Balakrishnan, R. et al. Prevalence of Body Dysmorphic Disorder among patients seeking orthodontic treatment. Prog Orthod. 21, 20 (2020). doi.org/10.1186/s40510-020-00322-8
Scharmanski, S. & Hessling, A. (2021). Im Fokus: Körperbild. Jugendsexualität 9. Welle. BZgA-Faktenblatt. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Trott M, Johnstone J, Pardhan S et al., Changes in body dysmorphic disorder, eating disorder, and exercise addiction symptomology during the COVID-19 pandemic: A longitudinal study of 319 health club users, Psychiatry Research, Volume 298, 2021, 113831, ISSN 0165-1781, doi.org/10.1016/j.psychres.2021.113831





