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Abseits der Safari

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Eine medizinische Behandlung, geschweige denn eine Zahnfüllung, ist für viele Menschen in Kenia ein unerschwinglicher Luxus. Sara Friedrich hat die deutsche Hilfsorganisation Dentists for Africa begleitet.

Nyabondo liegt abgelegen „in the woods“, südöstlich von Kisumu, der drittgrößten Stadt Kenias. Hier dominiert der Stamm der Luo, eine von insgesamt 40 verschiedenen Volksgruppen im Land. Der Viktoriasee ist eine kenianische Autostunde entfernt. In Nyabondo engagieren sich Dentists for Africa seit dem Jahr 2000. Seitdem wurde eine Zahnstation auf dem Gelände der Diözese der "Franciscan Sisters of St. Joseph" aufgebaut.

Wie entwickelt man einen Geschäftssinn?

Zudem fördert der Verein ein Witwendorf. Die Idee: Die Frauen, deren Männer an AIDS gestorben sind, sollen durch den Verkauf von geflochtenen Körben und Strickwaren ihr eigenes Einkommen erwirtschaften. Derzeit sind etwa 540 Witwen im Programm. Einen kleinen Beitrag der Anschubfinanzierung müssen die Frauen selbst einbringen. Das geschieht in Form von Geld oder Naturalien. Auf diesem Weg sollen sie einen eigenen Geschäftssinn entwickeln. Zudem betreiben die Witwen ein eigenes kleines Restaurant – in Kenia irritierenderweise „Hotel“ genannt.

Von Dentists for Africa hat das Projekt "Witwendorf" 2010 einen Mikrokredit von 1000 € erhalten ‐ für kenianische Verhältnisse ein Vermögen. Gerade wurde er um ein weiteres Jahr verlängert. Jede Witwe bekommt zudem einmal im Jahr 300 Kenia-Schilling vom Verein geschenkt. Außerdem werden Sachspenden ausgegeben. Anfangs haben die Witwen diese willkürlich und ohne Dokumentation verwendet. Als Ergebnis verkauften Sie zum Beispiel vom Verein erhaltenes Petroleum und gaben das Geld unkontrolliert aus. Mittlerweile steht aber ein weibliches Vereinsmitglied in sehr engem Kontakt mit den Witwen. Eine Buchhaltung wurde eingerichtet, damit die Abrechnung transparent wird.

Was nichts kostet, ist nichts wert

In der Zahnstation in Nyabondo zahlen die Patienten weniger als die Hälfte des in der Umgebung üblichen Preises. Peter Dierck,  zweiter Vorsitzender von Dentists for Africa sagt, es sei wichtig, dass die Behandlung nicht völlig kostenlos ist, denn der Mentalität der Kenianer zufolge „ist nichts wert, was nichts kostet“. Zudem müssen die Nonnen die "Oral Health Officer" (OHO) selbst bezahlen. Und im Übrigen soll sich die Station auch selbst tragen – gemäß dem Ziel „Hilfe zur Selbsthilfe“.

Die OHOs behandeln die Patienten. Sie haben drei Jahre lang die Fachschule besucht und können extrahieren, Füllungen legen, endodontisch behandeln und Prothetik auf einfachem Niveau erstellen. Meist assistieren ihnen ungelernte Helferinnen – deren Wissen zu Themen wie Mundgesundheitspflege, Hygiene oder Sterilisation von Instrumenten ist meist nur dürftig bis ungenügend, die Fluktuation dafür relativ hoch.

Nach Aussage der Schwestern in Nyabondo ist zwar generell die Zusammenarbeit mit den ausländischen Einsatzleistenden sehr gut, es kommt jedoch auch vor, dass sich einige wenige nicht immer an die Spielregeln halten und sich zum Beispiel leicht bekleidet vor der Unterkunft, dem "Mzunguhaus" (Haus der Weißen) aufhalten, was den strenggläubigen Sisters missfällt.

Wanted - deutsche Pateneltern für Aids‐Waisen

Es gibt unheimlich viele Aidswaisen. In Nyabondo unterstützt der Verein ein Aids‐Waisen‐Projekt. Dafür ist die leitende Schwester der Diözese, Sister Serafine, zuständig. Im Rahmen des Projekts können über den Verein Patenschaften übernommen werden – es werden auch immer noch dringend Pateneltern gesucht.

Für uns gaben die Waisen und Schüler der Schulen aus Nyabondo ein großartiges Konzert. Einen ganzen Nachmittag lang wurde getrommelt, gesungen und getanzt. Mithilfe von Dentists for Africa und den Schwestern erhalten sie alles, was sie zum Leben brauchen - eine gute Schul- und Berufsausbildung und damit Werte und Wissen für ein späteres selbstständiges Leben.

Ausgewählt werden die einzelnen Kinder von einem speziellen Gremium aus dem Dorf, darunter Schwestern und Dorfälteste. Besonders  begabte Jugendliche werden gezielt gefördert und dürfen zum Beispiel später in Ugandas Hauptstadt Kampala Zahnmedizin studieren.

Der Wachschutz kommt mit Pfeil und Bogen

In Nakuru gibt es eine weitere Diözese von Franziskanerschwestern, mit denen Dentists for Africa kooperiert. Nakuru ist die viertgrößte Stadt des Landes und liegt im östlichen Teil des Ostafrikanischen Grabenbruchs, dem sogenannten Rift Valley, das als Wiege der Menschheit gilt. Vor der Stadt liegt der Nakurusee, der wegen der dort beheimateten Flamingoschwärme berühmt ist.

Nachdem die Schwestern in den letzten fünf Jahren sieben Einbrüche überstanden haben – die Täter suchten wohl immer wieder Geld – haben sie nun dank einer Spende von Franziskanermönchen aus Bonn einen mächtigen Stacheldrahtzaun über eine Mauer rund um das ganze Kloster ziehen lassen. So sieht es aus, wie eine kleine Festung.

Nachts wacht zusätzlich ein großer Massai im dunklen Regencape und Wollmütze mit (giftigem?) Pfeil und Bogen und abgerichteten Schäferhunden im Klostergarten. Man fühlt sich hier sehr sicher und doch etwas bedroht zugleich. Ein kenianischer Krieger vor dem Fenster – das ist ungewohnt für eine Mzungu.

Gesucht werden Skelette und ein 14-Sitzer

Die leitende Schwester in Nakuru, Sister Claire, hat große Pläne. Sie möchte vor dem St. Franzis Hospital in Nairobi‐Kasarani eine Schule für Krankenschwestern errichten – die „St. Franzis School of Nurses“. Das Fundament steht bereits. Dringend benötigt werden noch Medizinbücher, Skelette und Computer. Für eine Schule direkt in Nakuru wird ein Schulbus mit 14 Sitzen gebraucht. Starke Regenfälle machten die Wege für die Kinder im letzten Jahr häufig unpassierbar.

Sister Claire berichtet in der geräumigen Wohnküche der gut gesicherten Diözese, dass die Zahl der AIDS‐Kranken in Kenia steigt. Die Prostitution sei oftmals der einzige Weg für Frauen, um ihre Kinder zu ernähren. Doch Kondome wären aus mehreren Gründen nicht „en vogue“. Zunächst einmal sind sie mit 50 Kenia-Schilling pro Stück relativ teuer. Zudem gäben Frauen an, mit ihnen nicht dasselbe Vergnügen zu haben, wie beim ungeschützten Verkehr. Und viele Männer sind in Ostafrika der Meinung, dass Kondome mit der Tradition brechen.

Neben der Diözese in Nakuru befindet sich ein kleines Gesundheitszentrum – das St. Antonys Health Center. Auch eine Zahnstation – eine sogenannte Dental Unit ‐ gibt es dort. Die OHOs Patrick und Cirus leisten dort laut Dierck sehr gute Arbeit. In dieser Station ist das Prinzip " Hilfe zur Selbsthilfe" bereits weitgehend umgesetzt. Unterstützung erhalten sie für zwei Monate von Rudolf Hug, einem etwa 40 Jahre alten Zahnarzt aus der Schweiz. Er will helfen und seinen Blick für den Berufsalltag zu Hause schärfen.

Deutschsprachige Zahnärzte fahren auf „mobiles“

„Die ausländischen Ärzte sollen sich möglichst zurückhaltend in die Arbeit einbringen und den OHOs keinesfalls die Arbeit abnehmen, sonst wäre das Ziel „Hilfe zur Selbsthilfe“ verfehlt“, erklärt Dierck. Die Aufgabe der Einsatzleistenden liege primär bei den sogenannten "mobiles": Mit einem beinah nostalgischen, aber zuverlässigen „4‐Wheel‐ Krankenwagen“ mit überdachter Pritsche und den notwendigen Instrumenten zur Durchführung von Extraktionen fährt ein Team aus deutschsprachigen Zahnärzten, Helfern, Franziskanerschwestern und OHOs je nach Standort in abgelegene und von einer medizinischen Versorgung abgeschnittenen Dörfer in die Savanne oder in die Slums von Nairobi, um akute Schmerzpatienten zu behandeln (siehe Video). Die Interessenten sollten eine gewisse Berufserfahrung mitbringen. Andernfalls ist es gut, wenn ein erfahrener Begleiter dabei ist. Im Vordergrund sollte immer die Lust zu helfen stehen.

Dass das Leid alltäglich ist, erleben wir am nächsten Tag während einer Führung durch das St. Francis Hospital in Nairobi. Auf der für unsere Verhältnisse recht einfachen Kinderintensivstation liegt ein etwa vierjähriges Mädchen mit geflochtenen Zöpfen. Seine Augenlider flirren. Sie atmet schwer und äußerst unregelmäßig. Die kleine Brust hebt und senkt sich unnatürlich und schnell. „Sie hat Meningitis“, sagt die Schwester. Eine Infusion läuft in ihren Körper. Als wir uns am nächsten Morgen nach dem Zustand des Mädchens erkundigen wollen, sitzt die Mutter mit leerem Blick auf einer Bank vor der Station. Das Mädchen lebt nicht mehr. Nachts um vier hat ihr Herz aufgehört zu schlagen. Wir können nichts für die trauernde Frau tun – außer ihr die Hand auf die Schulter zu legen und so unseren Trost zu spenden. Mehr nicht.

Der lange Weg zur Hygiene 

Auch im St. Francis Hospital unterhält der Verein eine Zahnstation. Dierk demonstriert vor den Helferinnen freundlich, aber bestimmt, wie Instrumente und Materialien für den Praxisalltag optimal gelagert werden sollten. Es gibt unter anderem keine Desinfektionsspender. Am nächsten Tag fährt er in ein Dentaldepot, um dieses Minimum an Hygiene für die Dental Unit zu erwerben.

Dentists for Africa engagiert sich auch in einigen Slums. Der Mathare‐Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi zählt zu den größten der Welt. Hinter viel Staub und Dreck verbirgt sich ein eigener Mikrokosmos unter Wellblechdächern. Reich ist hier, wer in einem Lehmhäuschen mit winzigen Einzelzimmern wohnt. In älteren Behausungen schlafen mitunter fünf Personen in einem Raum. Eine solche Familie muss zusammen mit einem Dollar pro Tag auskommen. Rationierung ist Programm – jeden Tag, jede Woche, Jahr für Jahr.

Einmal Slum - immer Slum?

Und dennoch berichten die Franziskanerschwestern vom St. Francis Hospital Nairobi im Stadtteil Kasarani, dass längst nicht alle Menschen den schnellen Weg aus dem Slum suchen. So wurde Bewohnern aus einem der Armutsviertel der Umzug in eine Neubauwohnung angeboten. Doch der Fortschritt war gar nicht gewünscht. Die Bewohner konnten sich nicht vorstellen, von ihrem kleinen offenen Holzkohleofen auf einen Gasherd zu wechseln. Die Sozialisierung prägt die Menschen offenbar tief. Deshalb ist eine aufsuchende Medizin hier wichtig. Die Franziskanerschwestern, die angeschlossenen nationalen und internationalen Ärzteteams und die Sozialarbeiter sind oft der einzige Zugang zu einer Versorgung.

Das Gesundheitszentrum im Mathare‐Slum heißt Baraka, was mit „Segen“ übersetzt werden kann. Hier behandeln auch die Zahnärzte von Dentists for Africa. Immer mittwochs quartieren sie sich mit der mobilen Einheit im Obergeschoss von Baraka ein. Zudem gibt es ein gut ausgebautes System für eine medizinische Intervention im Fall von kleineren chirurgischen Eingriffen, bei Kinderkrankheiten, bei Tuberkulose‐Fällen und bei HIV‐Erkrankungen.

Jede schwangere Frau macht hier einen HIV‐Test. Ist er positiv, wird eine anti‐retrovirale Therapie verordnet. Damit wird die Viruslast herabgesetzt. Denn „50 Prozent der Kinder infizieren sich unter der Geburt, 15 Prozent in der Schwangerschaft und ein Drittel während des Stillens“ erklärt Dr. Barbara Hünten‐Kirsch, koordinierende Ärztin in Baraka. Sie organisiert die Arbeit von sechs deutschen Medizinern, die von der Hilfsorganisation "German Doctors" ausgesucht werden. Ihr Vertrag läuft bis Januar 2014. Vielleicht möchte sie noch länger bleiben.

In ihrem früheren Leben war sie niedergelassene Internistin in Dinslaken. Sie vermittelt den Eindruck, als ob sie sich inmitten der prekären Verhältnisse trotz allem wohl fühlt. Vielleicht liegt es an der Wärme, mit der viele Menschen in Kenia den Mzungus begegnen ‐ mit Blick auf die jüngere Geschichte des Landes ist das ja nicht selbstverständlich.

Kenianische Franziskanernonne in den Vorstand gewählt

Unlängst fand die Jahreshauptversammlung  von Dentists for Africa in Tübingen statt. Dort wurde der alte Vorstand wiedergewählt. Drei neue Mitglieder kamen hinzu. Das Besondere: Es gibt nun zum ersten Mal ein kenianisches Vorstandsmitglied: Schwester Fabian, eine Franziskanernonne, die mithilfe des Vereins ihr Zahnmedizinstudium in diesem Monat erfolgreich abgeschlossen hat, ist einstimmig von der Mitgliederversammlung als "CO Branch Kenya" in den Vorstand berufen worden. Des Weiteren wurde dem amtierenden Kenianischen Botschafter in Berlin, Ken Osinde, die Ehrenmitgliedschaft verliehen.

Weitere Informationen zur Unterstützung des Vereins oder zur Übernahme einer Patenschaft sind hiererhältlich. Erbeten sind alle Arten von Geld‐ und Edelmetallspenden. Dazu zählt neben den konventionellen Sorten auch Palladium.

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