"All diese Aufgaben haben mein Leben bereichert!"

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Dr. Wolfgang Schmiedel hat die Geschicke der Zahnärztekammer Berlin 13 Jahre als Präsident geleitet. Zu seinem Abschied zieht er Bilanz - und erzählt, warum ein langhaariger 68er Kieferorthopäde werden wollte.

zm-online: Herr Dr. Schmiedel, Sie sind im Grunde ein Spät-68er. Wie hat Sie diese Zeit geprägt?

Dr. Wolfgang Schmiedel: Es war eine spannende Zeit, insbesondere in Berlin. Das Aufbegehren der Jugend gegen das „Establishment“ fand damals nicht nur auf den Straßen statt, sondern verlagerte sich auch in meine Familie. Als Zeichen meines Protests trug ich die Haare bis zur Schulter, wurde rebellisch und galt als "schwer erziehbar". Im Ergebnis „durfte“ ich ein Jahr lang bei einer Familie uns befreundeter Amerikaner wohnen, wo ich fließend Englisch lernte, was mir dann Jahre später, etwa in der EFOSA (European Federation of Orthodonthic Specialists Associations) sehr zugute kam.

Ich denke, dass meine Art, auf Missstände hinzuweisen, bisweilen bis heute mit lauter Stimme oder deutlichen Worten, in dieser Zeit geprägt wurde. Und noch jetzt lasse ich mir ungern etwas sagen, es sei denn, man ist in der Lage, mich durch Argumente von meiner festen Meinung abzubringen. Gelernt habe ich damals, Dinge, aber auch Menschen infrage zu stellen, schließe mich selbst aber davon nicht aus.

Warum wollten Sie unbedingt Kieferorthopäde werden?

Geprägt durch meinen Vater, der Hals-, Nasen, und Ohrenarzt und Lungenfacharzt war, war eine medizinische Laufbahn von Anbeginn an „in die Wiege gelegt“, so wie auch eine meiner beiden Schwestern Ärztin geworden ist.

Als Jugendlicher hatte ich einen querverlagerten oberen Eckzahn, der eine kieferorthopädische Einstellung erforderlich machte. Nach einer letztlich erfolgreichen Behandlung - damals schon mit einer festsitzenden Apparatur - bei einem unserer Familie befreundeten Kieferorthopäden in Spandau konnte ich endlich wieder lachen und „Zähne zeigen“. Der patientenzugewandte Umgang dieses Kieferorthopäden begeisterte mich und ließ in mir den Wunsch keimen, diesen Beruf später einmal selbst auszuüben.

Bereits in der Abiturzeitung stand bei ihm unter Berufswunsch: "Kieferorthopäde"

Bereits in meiner Abiturzeitung 1969 hatte ich deshalb als Berufswunsch „Kieferorthopäde“ angegeben. Der Spandauer Kieferorthopäde Dr. Edgar Hartmann wurde übrigens später mein Chef, Ausbilder und enger Freund, denn ich habe die im Rahmen der Weiterbildung zum Kieferorthopäden erforderliche praktische Ausbildung in dessen Praxis durchlaufen dürfen, bevor ich anschließend mein Klinikjahr an der Universität Erlangen absolvierte. Der mir von Dr. Hartmann zum Abschied mit auf den Weg gegebene Leitsatz "Denke bei allem, was Du tust, nie ans Geld, sondern stets nur an die Patienten!" hat mich während meiner gesamten Berufsausübung geprägt und ich bin noch heute für diesen klugen Ratschlag dankbar.

Es gab keinen einzigen Moment in meinem Leben, wo ich meine Entscheidung, Kieferorthopäde zu werden, bereut habe, denn der tägliche Umgang mit so vielen fröhlichen jungen Patienten hat mir immer große Freude bereitet und mich selber jung gehalten.

Sie wurden 1989 zum Landesvorsitzenden der Berliner Kieferorthopäden gewählt. Welche Stimmung lag damals in der Luft?

Dies war die vielleicht nicht nur berufspolitisch spannendste Zeit meines Lebens. Für jeden von uns unerwartet erlebten wir Berliner den Fall der Mauer und das Glück der Wiedervereinigung. Nun galt es, ohne zu zögern, die Kollegen im Ostteil unserer Stadt, davon zu überzeugen, die Niederlassung in eigener Praxis zu wagen.

Ich war gerade im April 1989 als BDK-Landesvorsitzender in Berlin gewählt worden, und in dieser Funktion, aber auch als Referent für KFO der KZV Berlin, organisierte ich zahlreiche Veranstaltungen im Ostteil unserer Stadt, auf denen ich Vorträge über KFO, BEMA und GOZ hielt.

Die Kollegen aus dem Osten waren extrem aufnahmebereit und dankbar für die „Aufklärungsarbeit“, und noch heute verbinden mich persönliche Freundschaften mit etlichen Kieferorthopäden, die damals mit wachen Ohren an meinen Lippen hingen. Es erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit, dass ich dazu beitragen konnte, etlichen Kollegen den Weg in die „freie“ Niederlassung zu ebnen.

Woher kam die Lust auf die Standespolitik?

John Lennon hat einmal gesagt: „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen!“ Ich habe oft über diesen Satz nachgedacht und bin schon sehr früh zu dem Entschluss gekommen, mein Leben, meine Berufsausübung selbst gestalten zu wollen und nicht fremdbestimmt von anderen „verwalten“ zu lassen.

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Abends spielte ich mit den Gebrüdern Blattschuss Gitarre

Von 1989 bis hin zu meiner Wahl als Präsident der Europäischen Kieferorthopäden oder 2004 zum Präsidenten der Zahnärztekammer Berlin stand alles unter der Überschrift, selbst „ein Wörtchen mitreden“ zu können, selbst gestalten zu können, aber auch früh über berufspolitische Entwicklungen und Herausforderungen informiert zu sein, um erforderlichenfalls rechtzeitig „gegensteuern“ zu können.

Die Wurzeln liegen ganz sicher in meinem Elternhaus. Meine Mutter war eine begnadete Sängerin, mein Vater Violinist im Berliner Ärzteorchester. Die Musik prägte unser Leben, ich selber war viele Jahre (bis zu meinem Rauswurf wegen „ungebührlichen Benehmens“!) Sopransänger im Berliner Staats- und Domchor. Wir drei Kinder waren es gewohnt, den „Mund aufzumachen“.

Selbst noch als Student der Zahnmedizin zog ich allabendlich durch die Berliner Musikkneipen und spielte dort zusammen unter anderem mit den „Gebrüdern Blattschuss“ und Reinhard Mey eigene Kompositionen zu meiner Gitarre. So lernte ich, wie es Spaß machen kann, einem Publikum „Botschaften“ zu vermitteln und von der Bühne aus andere Menschen zu begeistern.

Andere würden vielleicht sagen, ich hatte schon immer eine „große Klappe“, aber rückblickend weiß ich, dass ich Berührungsängste schon früh abgelegt habe und stets vorbehaltlos und offen auf meine Mitmenschen zugegangen bin.

Sie waren 13 lange Jahre Präsident der Berliner Zahnärztekammer.

Dank meiner Vorgänger übernahm ich 2004 die Berliner Zahnärztekammer als gut aufgestellte Körperschaft. Schon bald musste ich lernen, dass mein Anspruch, es allen Kollegen in Berlin recht machen zu wollen sich als illusorisch erwies. Die starken Verteilungskämpfe in der Stadt mit der größten Zahnarztdichte der Welt und die auch damit verbundenen standespolitischen Auseinandersetzungen innerhalb der Kollegenschaft, aber auch zwischen Kammer und KZV, brachten mich nicht nur einmal an den Rand der Verzweiflung.

Die Unterstützung durch viele liebe Kollegen, durch meine Vorstandsmitglieder und die Geschäftsführung und Mitarbeiter der Zahnärztekammer machten mir trotz mancher schlafloser Nächte Mut, meinen Weg, die Wahrnehmung der Kammer als unersetzliche zahnärztliche Selbstverwaltung zu stärken, nicht zu verlassen. An dieser Stelle ist es mir ein Herzensbedürfnis, all denjenigen, die mir in den Jahren meiner Amtsausübung den Rücken gestärkt haben, einen großen Dank auszusprechen!

Es erfüllt mich mit Freude und ein wenig Stolz, dass es mir in den letzten Jahren gelungen ist, in den Delegiertenversammlungen trotz nach wie vor bestehender gegenteiliger Ansichten wieder zu einem kollegialen Stil in den Auseinandersetzungen gefunden zu haben, dies war leider nicht immer der Fall.

Somit bestand meine größte Herausforderung darin, der Berliner Kollegenschaft zu vermitteln, wie wichtig es ist, gegenüber dem Gesetzgeber und der Politik mit einer Stimme zu sprechen, um nicht wehrlos immer wieder Einschränkungen und Eingriffe der freien Berufsausübung hinnehmen zu müssen. Wenn mir dies, zumindest in Teilen, gelungen sein sollte, bin ich sehr dankbar!

Und welche Anliegen hatten Sie als Mitglied im BZÄK-Vorstand?

Hier gilt Ähnliches: Die Bundeszahnärztekammer ist als Dachorganisation aller 17 Deutschen Zahnärztekammern, die wiederum - historisch und regional bedingt - unterschiedliche Schwerpunkte in der Selbstverwaltung setzen, gefordert, die verschiedenen Ausrichtungen und Erfahrungen zu bündeln um nach außen mit starker und wahrnehmbarer Stimme aufzutreten. Dies ist wichtiger denn je, wie die geplanten Einschränkungen der Selbstverwaltung seitens des Gesetzgebers mehr als deutlich machen.

"Mir war immer daran gelegen, uns als Berliner Stimme einzubringen!"

Mir war immer daran gelegen, uns als „Berliner Stimme“ in die langfristigen Strategien der Bundeszahnärztekammer einzubringen, um dort auf der einen Seite die Berliner Interessen nachdrücklich und beharrlich zu vertreten, ohne auf der anderen Seite das „Große Ganze“ aus dem Auge zu verlieren.

Dabei gilt es auch einmal, Zugeständnisse zu machen, aber ich glaube sagen zu dürfen, dass die Berliner Zahnärztekammer heute mehr denn je ein geachteter und gehörter Partner im Kreise der BZÄK ist. Die regelmäßigen Treffen der Präsidenten haben meinen Blick für wichtige berufspolitische Entwicklungen geschärft und auch geweitet.

Ich würde mir sehr wünschen, dass die Bundeszahnärztekammer als bestens organisierter „Vordenker, Ratgeber und Wegweiser“ in der Standespolitik von der Kollegenschaft noch mehr wahrgenommen würde, und dies nicht nur einmal im Jahr bei der Bundesversammlung der deutschen Zahnärzte!

Sie haben zudem noch den Ausschuss für soziale Fragen und Hilfswerke geleitet.

Und wieder zitiere ich die Bibel: „Geben ist seliger denn Nehmen“. Es war mir schon immer ein Anliegen, nicht nur als Vorsitzender des „Berliner Hilfswerk Zahnmedizin“, einen Teil des Glücks und des Wohlstandes, welches mir der Beruf ermöglicht hat, an Hilfsbedürftige zurückzugeben. Ich empfinde es als meine Pflicht, die Nöte und Sorgen anderer Menschen nicht aus den Augen zu verlieren und möchte aus innerer Überzeugung dem Gemeinwohl dienen.

Diese sicherlich durch mein Elternhaus geprägte christlich-humanistische Einstellung hat mich schon früh bewogen, mich gesellschaftlich zu engagieren und ich bin froh und dankbar, dass mir die Bundeszahnärztekammer die Aufgabe übertragen hat, für die sozialen Fragen und deutschen zahnärztlichen Hilfswerke koordinierend tätig sein zu dürfen.

Am 24. März dieses Jahres leite ich (letztmalig) die größte Koordinierungskonferenz „Hilfswerke“ der Bundeszahnärztekammer auf der IDS in Köln. Es erfüllt mich mit großer Freude und Dankbarkeit, dass das beeindruckende soziale und gesellschaftliche Engagement der deutschen Zahnärzte, die in den letzten 15 Jahren weltweit über 100 Millionen Euro für die „Ärmsten der Armen“ gespendet haben, wieder in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung rückt.

Ich kann von dieser Stelle nur daran appellieren, sich einzureihen in den Kreis derjenigen Kollegen, die hier seit Jahren mit gutem Beispiel vorangehen und denjenigen freiwillig Geld und persönliche Hinwendung zukommen lassen, die ohne diese Hilfe sich selbst überlassen würden! Hat die Zahnärzteschaft ihr karitatives Potenzial schon voll ausgeschöpft?

Leider Nein! Abgesehen von den vielen Kollegen, die sich im März auf der „Koordinierungskonferenz Hilfswerke“ treffen, und denen ich beziehungsweise unser gesamter Berufsstand großen Dank für ihren Einsatz schulde, gibt es noch ein erhebliches Potenzial nicht ausgeschöpfter Mittel.

"Es macht mich traurig, dass unser Berliner Hilfswerk Zahnmedizin nur 110 Mitglieder hat!"

Es macht mich traurig, dass zum Beispiel unser „Berliner Hilfswerk Zahnmedizin“, welches unter anderem die kostenlose zahnärztliche Behandlung von Obdachlosen ermöglicht, nur über 110 Mitglieder verfügt. Es ist mir schlichtweg nicht begreifbar, dass in einer Stadt wie Berlin, wo soziale Nöte und Verwerfungen so evident sind, nicht mindestens die Hälfte aller niedergelassenen Kollegen bereit ist, sich für einen Jahresbeitrag von 48,00 Euro an der Versorgung der hilfsbedürftigen Menschen zu beteiligen! Hier gilt es gemeinsam, an die „Gemeinwohlverpflichtung“ zu erinnern.

Wie bilanzieren Sie nun Ihre standespolitische Arbeit?

Die Antwort kann nur lauten: Ich habe mich ernsthaft bemüht, die mir übertragenen Aufgaben mit preußischem Pflichtbewusstsein, Zuverlässigkeit, Mut und Durchhaltevermögen zu bewältigen. Ob mir dies immer gelungen ist, ohne dass dabei meine Demut, meine ureigene Fröhlichkeit und mein Humor bisweilen auf der Strecke blieben, wage ich zu bezweifeln.

Im Ergebnis blicke ich jedoch auf ein erfülltes berufspolitisches Leben zurück, in welchem ich mich in den verschiedensten Ämtern und Aufgaben zu bewähren hatte. Alle diese Aufgaben habe ich gern übernommen, sie haben mein Leben bereichert und mehr als spannend verlaufen lassen. Die Wertschätzung, die ich anderen Menschen gegenüber zum Ausdruck bringe, habe ich dabei oft selbst erfahren dürfen, und dies lässt mich rückblickend sehr dankbar auf meine Arbeit schauen.

A propos Wertschätzung: Was bedeuten Ihnen Ihre Mitarbeiterinnen?

Nicht zuletzt die Wertschätzung meiner langjährigen Mitarbeiterinnen war und ist die Basis für meinen beruflichen Erfolg. Wir haben erst kürzlich eine Mitarbeiterin nach über 33-jähriger Tätigkeit in meiner Praxis in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet, ein Zeichen für ihre Treue und ausdauernde Motivation. Als Dank für anhaltendes Engagement habe ich die Aufstiegsfortbildungen meiner Mitarbeiterinnen, etwa zur „ZMP“, immer gerne aus eigener Tasche bezahlt, und ich kann versichern, dass dies „gut angelegtes“ Geld war und ist.

Berufspolitik neben der eigenen Praxis kostete Durchhaltevermögen, Nerven und sehr viel Zeit

Sie haben nun einen Rollentausch vollzogen. Vom Praxisinhaber zum Angestellten. Konnten Sie gut „loslassen“?(lacht…) Ja, sonst wäre ich nicht das dritte Mal verheiratet! Aber Spaß beiseite: Die Wahrnehmung der mir übertragenen berufspolitischen Aufgaben neben der Führung einer eigenen Praxis kostete Durchhaltevermögen, Nerven und sehr viel Zeit. Zeit, die zwangsläufig zulasten der eigenen Familie und lieber Freunde geht.

Ich werde, so Gott will, in zwei Jahren 70 und bin froh und dankbar, dass ich mich nach der Übergabe meiner Praxis und der Aufgabe aller politischen Ämter nun der Familie und meinen Freunden widmen kann. Ich übergebe sowohl in der Praxis als auch in der Zahnärztekammer Berlin „gut bestellte“ Häuser, und von daher fällt mir das Loslassen nicht schwer.

Alles im Leben hat seine Zeit, oder, um die Bibel zu zitieren: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.“ Und so hat auch „Chef sein“ oder „Präsident sein“ seine Zeit. Ja, ich kann loslassen!

Es wird Zeit, dass ich die gewonnene Zeit meiner Frau und meinen Kindern und Enkeln zukommen lasse. Ich empfinde mich hierbei in einer „Bringschuld“. Die ersten Pläne für gemeinsame Familienreisen werden gerade gemacht. Außerdem möchte ich wieder häufiger meinem geliebten Tennissport nachgehen, auch dies kam in den letzten Jahren viel zu kurz.

Meinem Praxisnachfolger habe ich versprochen, ihm noch bis Ende 2017 als angestellter Kieferorthopäde zur Seite zu stehen. So bleibe ich meinen Patienten noch ein wenig erhalten und kann die berufspolitischen Entwicklungen zumindest auf Landesebene weiter verfolgen, wenn auch nur von außen als „Zuschauender“.

Lesen Sie auch in der aktuellen zm-Ausgabe (6/2017) auf Seite 18 dasPorträtüber Wolfgang Schmiedel. 

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