Arbeitgeber für längere Arbeitszeiten
Um den Sozialversicherungsbeitrag in Deutschland trotz der demografischen Entwicklung künftig konstant unter 40 Prozent zu halten, hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) neue Vorschläge unterbreitet.
Rund 50 Prozent höhereSozialversicherungsbeiträge bis 2040
Die ohnehin schon hohe Belastung von Löhnen und Gehältern in den kommenden Jahrzehnten wird voraussichtlich deutlich steigen, prognostiziert ein im Auftrag der BDA erstelltes Gutachten. Zu erwarten sei ein Beitragssatzanstieg auf rund 50 Prozent (49,6 Prozent) bis 2040. Dies erzeuge massive Risiken für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die wirtschaftliche Entwicklung im Inland mit ungünstigen Folgen für die Beschäftigung. Gleichzeitig würden auch der soziale Zusammenhalt und der gerechte Ausgleich zwischen den beteiligten Generationen gefährdet, heißt es in dem Papier.
Die Gutachter schlagen einen „konsequenten Reformkurs“ vor, der auch „unbequeme Maßnahmen“ umfasst. Dazu zählt vor allem eine weitere Verlängerung der erwerbsaktiven Lebensphase. Diese hätte nicht nur günstige Auswirkungen auf den Beitragssatz und das Sicherungsniveau der Rentenversicherung, sondern könnte auch eine große Breitenwirkung für die Finanzen der anderen Sozialversicherungszweige und für die Gesamtwirtschaft entfalten.
Die Perspektive einer längeren aktiven Phase erzeuge darüber hinaus Rückwirkungen auf das Bildungs-, Erwerbs- und Gesundheitsverhalten der Arbeitnehmer bereits in früheren Lebensphasen und nehme auch die Arbeitgeber in eine erhöhte Verantwortung für Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsmöglichkeiten.
Ab 2031 soll das Arbeitsleben länger dauern
Für die gesetzliche Rentenversicherung plädieren sie dafür, die gesetzliche Regelaltersgrenze ab 2031 heraufzusetzen. Sie soll auf einer automatischen Regelbindung an die Entwicklung der Lebenserwartung nach einer „3:1-Regel“ basieren: Wenn die Lebenserwartung um ein Jahr steigt, soll die Regelaltersgrenze um ein Dreivierteljahr erhöht werden. Gleichzeitig soll sich die erwartete Rentenlaufzeit um ein Vierteljahr verlängern. Die Abschläge, mit denen Renten bei vorzeitiger Inanspruchnahme an die längere Laufzeit angepasst werden, sollen dabei erhöht werden –jedoch mit Differenzierungen, die einer systematisch geringeren Lebenserwartung von Rentnern mit niedrigem Lebenseinkommen Rechnung tragen. Möglichkeiten für abschlagsfreie vorzeitige Renteneintritte sollten dagegen aufgehoben werden.
Weiterhin empfiehlt die Kommission, eine Pflicht zu einer ergänzenden, kapitalgedeckten Vorsorge einzuführen. Es könne offenbleiben, ob dafür die betriebliche oder private Vorsorge genutzt werde.
Für die gesetzliche Krankenversicherung weist das Gutachten auf einen ungebremsten Anstieg der Ausgaben hin, den die Autoren mit „Ineffizienzen des Systems“ in Verbindung bringen und der sich ihrer Auffassung nach nur von der Leistungsseite eindämmen lasse.
Paritätische Finanzierung nur beim günstigsten Tarif
Ihr Vorschlag: Ein „konsequentes Versorgungsmanagement“, bei dem die Krankenkassen die Regie übernehmen. Dazu sollen die Kassen nach Vorschlag der Kommission direkte („Selektiv-“)Verträge mit niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern abschließen. Dadurch sollen sie Netzwerke mit Leistungserbringern aufbauen, die den Versicherten eine umfassende medizinische Versorgung mit allen Pflichtleistungen im Rahmen ihrer „Vollversicherung“ in der GKV garantieren sollen. Die Versicherten müssten sich demnach bei der Arzt- und Krankenhauswahl nicht auf die bevorzugten Leistungserbringer ihrer Kasse beschränken.
Wenn sie freie Wahlmöglichkeiten wünschen, sollten sie sich allerdings in einem Tarif mit entsprechenden Optionen versichern. Art und Struktur der jeweils verfügbaren Netzwerke könnten den Vorschlägen zufolge variieren. So könnten zum Beispiel nach Meinung der Autoren in ländlichen Räumen mit geringerer Dichte von Patienten und Ärzten innovative Versorgungsformen, unter anderem mit neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen Ärzten und anderen Heil- und Gesundheitsberufen, entstehen.
Die paritätische, lohnbezogene Finanzierung der Krankenversicherungsbeiträge soll auf den Beitrag für den günstigsten Tarif einer Krankenkasse mit aktivem Versorgungsmanagement beschränkt werden. Für andere Tarife und andere Kassen sollten einkommensunabhängige Zusatzbeiträge erhoben werden, schlägt die Kommission vor.
Das Vorbild ist die USA
Die Gutachter verweisen bei ihren Vorschlägen auf die USA. Dort bestünden die größten Erfahrungen mit Versorgungsmodellen dieser Art, sagen sie. Private Krankenversicherungen, die dort – zumeist auf Basis von Gruppenverträgen der Arbeitgeber – das „Regelsicherungssystem“ für Erwerbspersonen darstellen, organisieren unter der Bezeichnung Health Maintenance Organization oft schon seit Jahrzehnten umfassende Versorgungsnetzwerke (Preferred-provider networks) für ihre Versicherten.
Auch die staatliche Krankenversicherung für Rentner (Medicare) bietet mittlerweile entsprechende Managed-Care-Tarife an, die sich noch mehr als Modell für eine Umsetzung in Deutschland eignen. Erfahrungen aus den USA verwiesen auf „nennenswerte Kostensenkungsmöglichkeiten durch konsequentes selektivvertragliches Versorgungsmanagement“, heißt es in dem BDA-Papier.
Der GKV-Arbeitgeberanteil sei erneut zu begrenzen
Das Fazit der Kommission: eine erneute Begrenzung des Arbeitgeberanteils für die Krankenversicherung. Wörtlich heißt es in dem Gutachten: „Wenn es nicht oder nicht vollständig gelingt, die angestrebten Ausgabendämpfungen im Gesundheitssystem und für die Krankenversicherungen zu erreichen, ist eine Auffanglösung nötig, bei der von einer paritätischen Finanzierung der Beitragssätze in diesem Sozialversicherungszweig wieder abgewichen und der Arbeitgeberanteil erneut gesetzlich begrenzt wird. Dabei sollte zugleich eine teilweise Umstellung auf eine einkommensunabhängige Finanzierung erfolgen.“
KZBV: „Ein Irrweg, Ökonomen die Ausrichtung eines Solidarsystems zu überlassen“
„Wichtigste Aufgabe der KZBV und der KZVen in den Ländern ist die Sicherstellung der vertragszahnärztlichen Versorgung", kommentierte die KZBV das Gutachten. "Das heißt: In verbindlichen Verträgen mit den gesetzlichen Krankenkassen werden die Rechte und Pflichten der Vertragszahnärzte festgelegt, aufgrund derer die zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz und kieferorthopädischer Maßnahmen der gesetzlich Versicherten und ihrer Angehörigen durchzuführen ist. Die KZBV ist stimmberechtigte Trägerinstitution im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dem wichtigsten Entscheidungsgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung. Zusammen mit den Körperschaften und Standesorganisationen von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen gestaltet die KZBV im G-BA den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) maßgeblich mit.
In Deutschland sind rund 90 Prozent der Bevölkerung gesetzlich krankenversichert. Das sind etwa 70 Millionen Menschen. Diesem umfassenden gesetzlichen Versorgungs- und Sicherstellungsausauftrag fühlt sich die KZBV jetzt und künftig uneingeschränkt verpflichtet. Zudem muss die Stärke eines freiberuflichen, selbstverwalteten und gemeinwohlorientierten Gesundheitssystems künftig wieder mehr herausgestellt werden, das sich nicht der Kommerzialisierung unterordnet. Es ist ein Irrweg, Ökonomen die Ausrichtung eines Solidarsystems zu überlassen.“