Erste prähistorische Person mithilfe alter Zahn-DNA identifiziert

Das Turner-Syndrom gab es schon vor 2.500 Jahren

Zahnmedizin
Britische Forscher haben mit aus Zähnen isolierter DNA den ersten prähistorischen Menschen mit Mosaik-Turner-Syndrom (ein X-Chromosom anstelle von zwei) identifiziert. Er lebte vor etwa 2.500 Jahren.

Ein britisches Team am Francis Crick Institute in London hat zusammen mit Kollegen von der University of Oxford, der University of York und der Oxford Archaeology mithilfe einer neuen Technologie die Anzahl der Chromosomen in alten Genomen gemessen. Sie haben damit den ersten prähistorischen Menschen mit Mosaik-Turner-Syndrom identifiziert und auch die früheste bekannte Person mit Jakobs-Syndrom (ein zusätzliches Y-Chromosom - XYY) aus dem frühen Mittelalter, drei Personen mit Klinefelter-Syndrom (ein zusätzliches X-Chromosom - XXY) aus verschiedenen Zeiträumen und ein Baby mit Down-Syndrom aus der Eisenzeit.

XXY oder XYY

Die meisten Zellen im menschlichen Körper haben 23 Chromosomen-Paare, während die Geschlechtschromosomen typischerweise XX (weiblich) oder XY (männlich) sind. Aneuploidie liegt vor, wenn die Zellen eines Menschen ein zusätzliches Chromosom haben oder eines fehlt. Wenn dies bei den Geschlechtschromosomen auftritt, können Unterschiede wie eine verzögerte Entwicklung oder Veränderungen der Körpergröße in der Pubertät auftreten.

Alte DNA-Proben können im Laufe der Zeit erodieren und verunreinigt werden. Das macht es schwierig, Unterschiede in der Anzahl der Geschlechtschromosomen genau zu erfassen. Die Forscherinnen und Forscherteam entwickelten daher eine Berechnungsmethode, um mehr Variationen in den Geschlechtschromosomen zu erfassen. Bei den Geschlechtschromosomen wird die Anzahl der Kopien der X- und Y-Chromosomen gezählt und das Ergebnis mit einer vorhergesagten Grundlinie (Erwartungswert) verglichen.

Ulrich-Turner-Syndrom

Das Ulrich-Turner-Syndrom ist die häufigste Chromosomenanomalie bei Frauen mit einer Häufigkeit von 1:2000 bis 1:2500 [Turner-Syndrom Vereinigung]. Das Turner-Syndrom kann sich klinisch sehr unterschiedlich manifestieren. Häufig imponieren Kleinwuchs und das primäre Amenorrhoe (Ausbleiben der Menstruation) [Universität Erlangen]. Weitere Merkmale können unter anderem ein kurzer Hals, Pterygium colli (Flügelfell) sowie Lymphödeme sein. Auch orale Veränderungen sind möglich. Hierzu zählen ein gotischer Gaumen, Retrognathie sowie Zahnfehlstellungen aufgrund des Platzmangels [Turner-Syndrom Vereinigung].

Klinefelter-Syndrom

Das Klinefelter-Syndrom zählt mit einer Inzidenz von 1-2:1000 männlichen Neugeborenen zu einer der häufigsten genetischen Erkrankungen des männlichen Geschlechts [Nieschlag und Eberhard, 2013]. Zu den auffälligsten Merkmalen des Syndroms gehören eine überdurchschnittliche Körpergröße, Hypogonadismus sowie Infertilität. Es wird vermutet, dass lediglich 25 Prozent aller Menschen mit Klinefelter-Syndrom tatsächlich eine Diagnose erhalten [Groth et al., 2013]. Neben weiteren möglichen Merkmalen wie geringer Körperbehaarung und gelegentlich vergrößerten Brustdrüsen können auch die Zähne betroffen sein: „Treten bei einem Jungen taurodontistische Zähne auf, so ist mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Klinefelter-Syndrom zu rechnen. Den Zahnärzten kommt hier ein großes Maß an Verantwortung zu. Eine dentale Beurteilung ist umso wichtiger, da sie die große Anzahl von Männern mit nichtdiagnostiziertem Klinefelter-Syndrom reduzieren.“ heißt es auf den Seiten des 47xxy klinefelter syndrom e.V..

Das Team nutzte die neue Methode, um alte DNA aus einem großen Datensatz von Individuen zu analysieren, die im Rahmen des Projekts „Thousand Ancient British Genomes“ über die britische Geschichte hinweg gesammelt wurden, und identifizierte sechs Individuen mit Aneuploidien an fünf Standorten in Somerset, Yorkshire, Oxford und Lincoln. Die Personen lebten in verschiedenen Zeiträumen, von der Eisenzeit (vor 2.500 Jahren) bis zum Postmittelalter (vor etwa 250 Jahren). Sie identifizierten fünf Personen, deren Geschlechtschromosomen außerhalb der Kategorien XX oder XY lagen.

Anomalien bei den Skelettüberresten

Die drei Personen mit Klinefelter-Syndrom lebten zu sehr unterschiedlichen Zeiten, aber sie hatten einige Gemeinsamkeiten: Alle waren etwas größer als der Durchschnitt und zeigten Anzeichen einer verzögerten Entwicklung in der Pubertät. Bei der Untersuchung der Knochen stellte das Forschungsteam anhand von Details fest, dass es unwahrscheinlich war, dass die Frau mit dem Turner-Syndrom die Pubertät durchlaufen und die Menstruation eingesetzt hatte, obwohl sie schätzungsweise 18 bis 22 Jahre alt war. Ihr Syndrom erwies sich als Mosaik: Einige Zellen hatten eine Kopie des X-Chromosoms und einige zwei.

„Durch die genaue Messung der Geschlechtschromosomen konnten wir den ersten prähistorischen Beweis des Turner-Syndroms vor 2.500 Jahren und den frühesten bekannten Nachweis erbringen", bilanziert Kakia Anastasiadou, Doktorandin am Ancient Genomics Laboratory am Crick und Erstautorin der Studie. „Es ist schwer, sich ein vollständiges Bild davon zu machen, wie diese Personen damals lebten und interagierten, da sie nicht mit Besitztümern oder in ungewöhnlichen Gräbern gefunden wurden, aber wir erhalten einen Einblick in die Wahrnehmung der Geschlechtsidentität im Laufe der Zeit.“

Anastasiadou K, Silva M, Booth T,  et al. Detection of chromosomal aneuploidy in ancient genomes. Commun Biol. 2024 Jan 11;7(1):14. doi: 10.1038/s42003-023-05642-z. PMID: 38212558; PMCID: PMC10784527.

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