Digitaler Wandel im Gesundheitswesen

Das wünschen sich die Health Start-ups!

pr/pm
Die Verordnung von Gesundheits-Apps auf Rezept - das sieht der Entwurf zum Digitale Versorgung-Gesetz (DVG) vor. Die Gründer von vier Berliner Health-App-Start-ups sprechen über ihre Erwartungen.

Den Gründern der Migräne-und Kopfschmerz-App M-sense, der digitalen Lösungen zur Früherkennung und Verlaufskontrolle von Gedächtnisproblemen von Neotiv, der Soforthilfe bei psychischen Belastungen Selfapy und der digitalen Praxis für Darmgesundheit Cara Care sind sich einig: Wenn digitale Lösungen wirklich im Alltag des Gesundheitssystems ankommen sollen, muss sich die Politik verstärkt dem Thema Selbstverwaltung widmen, betonen sie in einer gemeinsamen Pressemitteilung.

Farina Schurzfeld, Mitgründerin von Selfapy

sieht in Sachen Selbstverwaltung Handlungsbedarf. Sie bewertet vor allem das im Gesetz geplante Sanktionssystem kritisch: "Insbesondere die Einbindung der Ärzteschaft sollte überdacht werden. Anstatt Buß- und Mahnverfahren für die Nichtverwendung digitaler Lösungen einzuleiten, sollten wir hier vielmehr positive Anreize schaffen und über ein Belohnungssystem nachdenken. Ein Mensch motiviert sich erfahrungsgemäß besser über positive Verstärkung als über Strafe."

Jesaja Brinkmann, Co-Founder von Cara Care

fordert verbindliche Vorgaben, einheitliche Fristen und klare Regelungen.

Dr. Florian Koerber, Geschäftsführer von M-sense

, ergänzt: "Es ist gut, wenn nun im aktuellen Gesetzesentwurf ein Leistungsanspruch für digitale Anwendungen formuliert wird. Aber ebenso essenziell ist es, Abrechnungsvoraussetzungen zu schaffen, die diesen Anspruch auch realisierbar machen. Dafür müssen auch Budgets zur Verfügung stehen."

Für Koerber stellt sich auch die Frage, wie ein Evidenzverfahren aussehen kann und wie eine erfolgsbasierte Erstattung der Leistungen so gestaltet wird, dass die Liquidität der Anbieter, also der Health-App-Unternehmer, sichergestellt ist. Die Start-ups sind sich einig darüber, dass alle Interessensgruppen und beteiligten Akteure noch engmaschiger in den Dialog über digitalen Lösungen eingebunden werden sollten.

Besonders Patienten sind laut Cara Care-Gründer Brinkmann bisher in sämtlichen Gremien und Entscheidungsprozessen deutlich unterrepräsentiert. Parallel regt Schurzfeld von Selfapy die Schaffung passender Formate für die Ärztelobby an: "Gemeinsame Veranstaltungen, Aufklärungs- und Werbekampagnen beeinflussen nicht nur die Fachschaft positiv, sondern schaffen auch bei den Patienten Vertrauen." Schurzfeld wünscht sich, dass noch mehr Begegnungsorte entstehen, um digitale Lösungen als ernstzunehmende Ergänzung in der Versorgung zu etablieren.

Brinkmann, der mit Cara Care seit mehr als drei Jahren an digitalen Schnittstellen für eine verbesserte Darmgesundheit arbeitet, sieht außerdem die Politik und den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in der Pflicht, sich an die Dynamik und Innovationszyklen digitaler Anbieter anzupassen: "Entscheidungsprozesse könnten noch schneller gestaltet und weitere Gremien gegründet werden." Zudem plädiert er dafür, dass der Markteintritt für neue Soft- und Hardwareanbieter einfacher gestaltet wird und fordert brancheneinheitliche Standards und Schnittstellen.

Julian Haupenthal, Co-Founder und CTO von Neotiv

, unterstützt die Forderung nach einer stärkeren Anpassung an die Kreationsprozesse junger Unternehmen. Er führt an, dass die Zeiträume von der Forschung bis zur Anwendung digitaler Gesundheitshelfer enorm lang sein können, was mit Risiken für Startups verbunden ist. Haupenthal: "Hier wünschen wir uns von der Bundesregierung niederschwellige Lösungen, um Versorgungswege schnell evaluieren und Entwicklungszyklen zügig vorantreiben zu können."

Koerber verweist auf den von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gegründeten Health Innovation Hub, einer Ideenfabrik für digitale Gesundheitslösungen, bei dem ein zwölfköpfiges Expertenteam neue Ideen und Wege sucht. Koerber hält Initiativen wie diese für wertvoll, um Theorie und Praxis zusammenzuführen. Nur gemeinsam mit allen Akteuren könne das Gesundheitswesen fit für die Zukunft gemacht werden.

Die Start-ups wünschen sich einen Dialog auf Augenhöhe und eine von der Bundesregierung initiierte Plattform, die einen inhaltlichen Austausch mit allen Stakeholdern erlaubt. Vorgeschlagen wird ein fachübergreifender Diskurs in einem Expertenkreis, der alle Interessensgruppen - also etablierte Unternehmen und Institutionen aus der Gesundheitsbranche, Ärzte, Politiker, Leistungsträger, Patienten und Startups - zusammenbringt.

Die vier Start-ups

  • M-sense ist eine zertifizierte Medizin-App, die Patienten helfen soll, Migräne und Kopfschmerzen besser zu bekämpfen. Sie umfasst ein Tagebuch, in dem Patienten ihre Schmerzattacken, potenzielle Einflussfaktoren und Medikamenteneinnahmen festhalten können. Außerdem werden automatisch Wetterdaten erhoben. Bei der Analyse wird der individuelle Lebensstil des Nutzers, Umwelteinflüsse und biologische Faktoren einbezogen. Ziel ist es, das Migräne- und Kopfschmerzmuster des Nutzers herauszufinden. Demnach erstellt die App einen persönlichen, multimodalen Therapieplan mit einer Kombination aus Entspannungsverfahren, Bewegungstraining und Biofeedback. Als Ausgründung der Humboldt-Universität zu Berlin kommt M-sense aus der Forschung.   Gemeinsam mit den Universitätskliniken in Berlin (Charité), Halle und Rostock sowie vier Krankenkassen führt das Unternehmen eine klinische Studie zur Smartphone-gestützten Migränetherapie durch (SMARTGEM).

  • Neotiv arbeitet ­ an digitalen Lösungen zur frühen Erkennung und Verlaufskontrolle von Gedächtnisproblemen. Ein Team aus Wissenschaftlern, Softwareentwicklern und Medizinern entwickelt zurzeit eine mobile App für Smartphones und Tablets, die mit regelmäßigen Tests eine langfristige Begleitung des Gedächtnisses ermöglicht. Die Tests basieren auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen der Kognitionsforschung und fokussieren sich auf Gedächtnisfunktionen, die früh von der Alzheimer-Erkrankung betroffen sind. Mithilfe dieser Tests ist es möglich, die Kognition über einen langen Zeitraum zu messen und so Änderungen der Gedächtnisfunktion festzustellen.

  • Selfapybietet ein 12-wöchiges Online-Therapie-Programm bei Ängsten, Panik und Phobie. Nutzen können es Versicherte ab 16 Jahren, die unter Ängsten mit leichter bis mittelgradiger Symptomstärke leiden. Die Kurse orientieren sich an der kognitiven Verhaltenstherapie und bieten neben digitalen Modulen Unterstützung durch wöchentliche Telefonate mit einem persönlichen Psychologen. Es wird bereits von verschiedenen Krankenkassen angeboten.

  • Cara Care: Die App von Cara Care richtet sich an Patienten und an Ärzte. Sie will beiden Parteien unterstützen, dem Darmleiden auf die Spur zu kommen und eine individuelle Therapie zu finden. Neben dem Reizdarm-Syndrom stehen bei Cara Care auch Intoleranzen und chronisch entzündliche Krankheiten im Fokus wie beispielsweise Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa. Eine zertifizierte Ernährungsberaterin begleitet den Nutzer hin zu einer verbesserten Verdauungsgesundheit.

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