Der streitbare Pionier
Wie Anne Schauers Dissertation über den Zahnarzt zeigt, waren Hollaenders (1833-1897) Probleme nicht nur organisatorischer, finanzieller und fachlicher Natur, sondern oft seinem Temperament geschuldet: Sein Werdegang an der Universität war geprägt von zahlreichen Auseinandersetzungen mit der Medizinischen Fakultät, aber auch durch Konflikte mit Patienten, Studenten und mit dem Kollegium.
Indem Schauer in ihrer Arbeit nicht nur die positiven Seiten in Hollaenders Wirken wie seine wissenschaftlichen Arbeiten, seinen akademischen Unterricht oder seine Verdienste um die zahnärztliche Klinik in Halle erwähnt, geht sie auf Aspekte ein, die in den Vorgänger-Dissertationen aus den Jahren 1937 und 1950 nur gesteift, oder gar ganz ignoriert wurden.
Die Anklage wegen Kindesmisshandlung
Der schwärzeste Punkt in Hollaenders beruflicher Karriere ist sicher die Anklage wegen Kindesmisshandlung im Amt. Im Oktober 1896 wurde Hollaender deswegen angeklagt. Das Verfahren wurde im November 1896 eröffnet, jedoch im Januar 1897 aufgrund einer schweren Erkrankung Hollaenders ausgesetzt.
Aber auch seine ungeschminkten Äußerungen über die Zahnärzteschaft sorgten für steten Unmut. So zitiert Schauer Hollaender wie folgt: „... Zähne gehören bei den meisten Menschen immer noch zu denjenigen Luxusartikeln, deren Werth man erst erkennt, wenn man sie verloren hat und trotz der unendlichen Menge von höchst gelehrten Zahnärzten, mit denen unser jetziges Zeitalter beglückt ist, scheinen menschliche Zähne nur dazu vorhanden zu sein, um entweder mit Gold plombiert - denn welcher Zahn ist nicht schadhaft, wenn man schnell mit einem scharfen Instrumente ein Loch hinein bohrt - oder aus dem Kiefer herausgezogen zu werden. Ob letzteres unter Beihilfe von Chloroform oder des sogenannten Luftgases geschieht, über dessen Gefährlichkeit wir noch später sprechen werden, ist vollständig gleichgültig. Der Zahnarzt lässt sich gut bezahlen - und kann dabei noch künstliche Zähne einsetzen."
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Ein Gehalt gab es nicht!
1872 bewarb Hollaender sich an der Universität Halle, die zum Königreich Preußen gehörte. Seine Bewerbung wurde unterstützt: 1873 habilitierte er zu dem Thema: „Über die innere Struktur der Zähne der Nagetiere“ und wurde als Privatdozent für Chirurgie und speziell Zahnheilkunde angestellt. Doch erhielt er während seines Wirkens weder ein Gehalt, noch wurde er je zum außerordentlichen Professor befördert: 1878 wurde Hollaender zum Professor ernannt, geführt in der Personalakte allerdings als Titularprofessor und in amtlichen Verzeichnissen trotzdem immer noch als Privatdozent.
Vom Juden zum Protestanten
Einen wichtigen Aspekt in Hollaenders beruflicher Laufbahn hebt die Autorin ausdrücklich hervor: Kurz nach seiner Bewerbung in Halle konvertierte er vom Judentum zum Protestantismus. Denn trotz aller Versuche der rechtlichen Gleichstellung von Juden in Deutschland, konnte der jüdische Glauben ein Karrierehindernis sein; Juden blieb die Zugehörigkeit zum akademischen Senat und auch das Amt des Dekans, Prorektors oder Rektors verwehrt. Protestant zu sein, war in Preußen von Vorteil. Die Lehrstuhlbesetzung mit jüdischen Wissenschaftlern blieb eine Ausnahme.
Hollaender veröffentlichte seine Unterrichtsprogramme in der zahnärztlichen Fachpresse der Zeit. Sein gründliches Ausbildungsprogramm orientierte sich an der Prüfungsordnung von 1869. Die Zahl der Studierenden, die seinen Unterricht besuchten, nahm wohl auch wegen dieser Veröffentlichungen stetig zu.
Der Unterricht für das Wintersemester 1880/ 81 sah wie folgt aus: „Es bestand aus vier Semestern. Die vorklinische Ausbildung fand vornehmlich in den ersten beiden Semestern statt und umfasste Fächer, wie sie auch noch heute vor dem Physikum gelehrt werden: Anatomie, anorganische Chemie, Physiologie, Ausbildung in der Zahntechnik und der theoretischen Zahnheilkunde. Die klinische Ausbildung konzentrierte sich vorwiegend auf das dritte und vierte Semester mit der zahnärztlichen Klinik, Pathologie, allgemeiner Chirurgie und Operationskursen. Die meisten Vorlesungen und Kurse hielt Hollaender selbst ab. In dem Unterrichtskonzept waren zusätzlich Buchempfehlungen für das Studium enthalten, wobei es sich auch um von ihm verfasste Bücher und Übersetzungen handelte.“
Raummangel: Hollaender verlegte Vorlesungen in seine Privatwohnung
In ihrer Dissertation geht die Autorin auch auf die finanziellen und organisatorischen Probleme beim Aufstieg an der zahnärztlichen Klinik Halle ein. Beispielhaft sei hier nur der notorische Raummangel erwähnt, der Hollaender dazu veranlasste, Teile seines Unterrichts in seiner Privatwohnung abzuhalten. Seine Initiative zur Transformation der Zahnklinik in ein königlich zahnärztliches Institut - in Berlin, Marburg und in Breslau war die Umwandlung bereits vollzogen - blieb 1891 erfolglos. Getragen war der Vorstoß von der Sorge Hollaenders, die Studenten suchten sich die optimal ausgestatteten Universitäten aus.
Abschließend stellt Schauer fest, dass Hollaender aufgrund seines Charakters die berufliche Anerkennung zu Lebzeiten verwehrt blieb. Diese erfolgte erst nach seinem Tod. Heute sind seine Leistungen für die Zahnmedizin unbestritten. Schauer: „Hollaenders Verdienst war es, trotz unzureichender Unterstützung durch die Universität und mit zum Teil primitiven Mitteln in Halle eine Zahnklinik aufgebaut und das aufstrebende Fach Zahnheilkunde etabliert zu haben." Hollaender starb am 12. März 1897 und wurde auf dem Nordfriedhof zu Halle beerdigt.