Deutsche befürchten schlechteres Gesundheitssystem
"Rund 80 Prozent der Bürger bewerten das Gesundheitssystem als gut oder sehr gut", sagte die Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, Renate Köcher, am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung des neuen Gesundheitsreports des Finanzdienstleisters MLP.
Patienten erwarten sinkende Leistungen, weniger Zeit, höhere eigene Kosten
Doch die Erwartungen sind überwiegend düster: Ganze 69 Prozent der Deutschen meinen, es komme künftig immer mehr zu einer Zwei-Klassen-Medizin - nicht einmal jeder vierte rechnet damit, dass das Gesundheitssystem so leistungsfähig wie heute bleibt. Knapp zwei von drei Versicherten befürchten sinkende Leistungen, weniger Zeit der Ärzte für die Patienten und höhere eigene Kostenbeteiligung bei Operationen und Arztbesuchen.
Auch die Mediziner rechnen mit der Zwei-Klassen-Medizin
Auch in der Ärzteschaft sind die Erwartungen alles andere als rosig. Jeder vierte Mediziner glaubt an eine deutliche Verschlechterung der Gesundheitsversorgung innerhalb der kommenden zehn Jahre. 75 Prozent der Ärzte meinen sogar, es komme immer mehr zu einer Zwei-Klassen-Medizin. Die älter werdende Gesellschaft, die abnehmende Zahl der Beitragszahler und die wachsende Personalnot bei Ärzten und Pflegern kommen laut Köcher als Hauptgründe infrage. Schon heute sagten über 20 Prozent der Ärzte, dass sie häufig oder gelegentlich aus Kostengründen auf Behandlungen verzichten - und mehr als drei von vier Ärzten sehen sogar ihre Therapiefreiheit gefährdet.
Klinikärzte befürchten Verschlechterungen
Licht und Schatten auch im Krankenhaussektor: Die allermeisten Krankenhausärzte meinen, die finanzielle Lage ihrer Klinik sei gut - doch 71 Prozent der Mediziner befürchten, die Situation werde sich verschlechtern. Während bei den niedergelassenen Ärzten abseits der großen Städte rund jeder zweite sagt, es gebe bereits einen spürbaren Medizinermangel, sind es bei den Klinikärzten in kleineren Städten sogar fast zwei von drei Medizinern. 43 Prozent der Klinikärzte insgesamt meinen, Personal sei aus Spardruck bereits abgebaut worden.
Kollegen, Pfleger und Schwestern fehlen
Köcher sieht die Ursache für die oft schlechte Stimmung in den Krankenhäusern ebenfalls in der Personalpolitik: "Teilweise werden ganze Abteilungen geschlossen, und ohne die ausländischen Ärzte wäre es an vielen Krankenhäusern gar nicht mehr zu bewältigen." 44 Prozent der Klinikärzte sagen, es gebe viele ausländische Kollegen in ihren Reihen. Auch an Schwestern und Pflegern fehlt es - 60 Prozent der Klinikärzte sagen, es gebe hier Probleme bei der Besetzung offener Stellen. Die Hälfte der Mediziner meinen, es gebe zu wenig Zeit für die Patienten.
Das lange Warten
Von der Politik erwarten viele Menschen laut Umfrage mehr Engagement für eine Absicherung der Gesundheitsversorgung. Von den aktuellen Projekten der Koalition scheint vor allem der Plan einer zentralen Terminvergabe für schnellere Arzttermine auf unterschiedliche Meinungen zu stoßen: 45 Prozent finden dies gut, jeder Dritte lehnt das Vorhaben aber ab, weil Einschränkungen der freien Arztwahl gefürchtet werden.
57 Prozent der gesetzlich Versicherten mussten ihren Angaben zufolge in den vergangenen Jahren ein- oder mehrmals mehr als drei Wochen auf einen Arzttermin warten. Gut sieben von zehn gesetzlich Versicherten sagen, trotz eines Termins in der Praxis teils stundenlang warten zu müssen.
Montgomery relativiert
Bundesärztekammerpräsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery relativierte die Ergebnisse: "Im Behandlungszimmer bemühen sich Ärzte immer um eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patienten, ganz gleich, welchen Versichertenstatus sie haben. Dies zeigen auch die heute vorgestellten Umfrageergebnisse, nach denen vier von fünf Befragten unsere Gesundheitsversorgung als gut oder sogar sehr gut bezeichnen."
"Ohne Wartezeiten geht es nicht"
Laut Montgomery sei es "vollkommen richtig, wenn ein Arzt akute Fälle zügiger behandelt als Patienten, die zu einer Vorsorgeuntersuchung kommen." Die Bundesärztekammer habe daher auch vorgeschlagen, eine dringliche Überweisung einzuführen, mit der Ärzte ihre Kassenpatienten schnell zu einem Kollegen überweisen können. Montgomery: "Die aktuelle Diskussion suggeriert die Möglichkeit, ein Gesundheitssystem gänzlich ohne Wartezeiten organisieren zu können. Das mag wünschenswert sein, es weckt aber unrealistische Erwartungen bei den Patienten.“