Zweitberuf Autorin

Die Erotomanin (21)

mth
Praxis
Dr. med. dent. Corinna Toepel-Sievers ist Zahnärztin – und war beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt nominiert. Den Preis hat sie zwar nicht gewonnen, aber dafür tiefe Einblicke. Warum sie die Teilnahme in Österreich trotzdem nicht bereut, erzählt die Deutsche, die in der Schweiz lebt und arbeitet, im Interview.

 "Ist das Schreiben ein Hobby von Ihnen oder wollen Sie irgendwann einmal davon leben können?"

Dr. Corinna Toepel-Sievers:

"Das Schreiben ist schon mein zweiter Beruf. Viele Autoren können gar nicht allein davon leben. Das wäre ein deutlicher Rückschritt in meiner Lebensqualität. Und die Arbeit als Zahnärztin macht mir Spaß."

"Wie findet denn Ihr Mann Ihre Texte,besonders den Klagenfurter Beitrag?"

"Er mag erotische Literatur nicht besonders, hält mir aber in allem den Rücken frei."

"Was sagen Kollegen oder Mitarbeiter

grundsätzlich zu Ihrer literarischen Tätigkeit und explizit zur Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Preis?"

"In Deutschland ist man meist kommunikativer als in der Schweiz. Offen haben sich Kollegen auch noch nicht geäußert." (unterbricht sich, schaut ins E-Mail-Fach.) "Nein, bis jetzt habe ich nichts dazu bekommen. Und meine Mitarbeiter würden mich auch sicher nicht für die Texte kritisieren. Natürlich habe ich sie auf die Übertragung im Fernsehen hingewiesen und darauf, dass danach Anfragen oder Kommentare kommen könnten."

"Haben Sie literarische Vorbilder? Wenn ja, welche?"

"Martin Walser, Philip Roth und Michel Houellebecq."

"Wie kam es zu Ihrer Teilnahme, und wie haben Sie den Ingeborg-Bachmann-Preis erlebt?"

(Das Interview muss für eine Minute unterbrochen werden. zm-online erreicht Dr. Toepel-Sievers während der Mittagspause in ihrer Praxis, wo sie mit einer Mitarbeiterin Fragen zu einem Röntgenbild zu klären hat.)

"Da bin ich wieder. Ich habe an einige, nicht an alle, Jurymitglieder unverlangt mein Manuskript geschickt, unter anderen an Nora Gomringer. Sie hat mich angerufen und gefragt, ob ich psychisch stabil genug wäre, dem Ganzen standzuhalten. Dasselbe hat mich auch mein Verlag gefragt, die Frankfurter Verlagsanstalt. Es ist zum Beispiel so, dass man nach der Lesung eine halbe Stunde dasitzen und zuhören muss, was die Jury sagt, ohne darauf reagieren zu dürfen.Sowieso stehen nicht die Autoren im Vordergrund, sondern die Literaturkritiker.

Das Ganze wird inszeniert wie eine Castingshow, allerdings auf hohem intellektuellem Niveau. Der ORF hat zum Beispiel eine Spannungsmusik eingespielt, wie sie in solchen Shows üblich ist. Auf den Juroren lastet ebenso viel Druck wie auf den Schriftstellern. Sie müssen klug und witzig sein. Ihr Ton gleitet dann auch manchmal ab. Der Kritiker Klaus Kastberger zum Beispiel meinte, dass, weil mein Text sexuelle Passagen enthält, 'am Montag in meiner Praxis ja was los sein werde' und dass er auch gern auf meinem Behandlungsstuhl säße. Da wurde ich mit meiner Romanfigur gleichgesetzt."

"Ein fiktiver Dr. med. dent. Martin Walser, um auf Ihre Vorbilder zu verweisen, hätte sich also solch einen Kommentar nicht anhören müssen?"

"Wahrscheinlich nicht. Wobei mein Text nicht mal ein Beitrag zur #metoo-Debatte sein soll, wie er in Klagenfurt oft missverstanden wurde, sondern ein Appell. Ich will auf die Kraft der Frauen beim Thema Sexualität und bei deren Auswüchsen hinweisen. Ich will herausschreien, wie stark die Frauen sind. Es gibt meines Wissens keine weiblichen Autoren, die das so schaffen wie die männlichen. Bei Frauen hat dieses Thema oft eine verzweifelte, tragische Komponente. Kennen Sie Sibylle Berg? Erstaunlicherweise haben sich vor allem die weiblichen Juroren negativ über meinen Text geäußert. Das hat mich nachdenklich gemacht.“

"Sie meinen Insa Wilke, die in Ihrem Werk 'vor allem einen Text über Ekel' sah und meinte, dass Sie letztendlich 'nur Männerfantasien bedienen' würden?"

"Genau, aber Ekel wird so gut wie gar nicht thematisiert. Außer, man betrachtet Sex mit Ekel. Männerfantasien bediene ich auch nicht, sondern diejenigen von Frauen. Und die haben es in sich."

"Kein Ekel? Ihre Hauptfigur behauptet, dass es auf Männerhaut besonders viele

Escherichia coli - Darmbakterien - gebe."

"Klingt unverschämt, nicht wahr?" (lacht) "Das beruht aber auf einer Studie, derzufolge auf Krawatten besonders viele Kolibakterien zu finden sind, da sich Ärzte nach dem Toilettengang erst den Schlips zurechtrücken und dann die Hände waschen, wenn überhaupt."

"Sie haben bereits einige Lesungen in und um Zürich abgehalten, mit Ihren ebenfalls erotischen Büchern 'Samenklau' und 'Die Halbwertszeit der Liebe'. Gab es daraufhin Reaktionen von Patienten?"

"Es saßen einige Patienten in den Lesungen, so groß ist die Gemeinde ja nicht. Von den vorhandenen ist danach niemand weggeblieben. Aber bei den Neuanmeldungen habe ich einen kleinen Knick festgestellt. Ich führe immer für ungefähr drei Monate eine Statistik. Der Effekt legte sich dann aber schnell. Die Informationsflut ist groß und Menschen sind zum Glück vergesslich."

"Wird Ihr Text für Klagenfurt auch als Buch veröffentlicht werden?"

"Darüber bin ich mit meinem Verleger noch im Gespräch, ob es schon im Herbst erscheinen wird (also im Oktober zur Frankfurter Buchmesse , Anm. d. Red.) oder erst im kommenden Frühjahr (im März zur Leipziger Buchmesse , Anm. d. Red.).

"Wie finden Sie es, dass der Beitrag der faz.net-RedakteurinAndrea Dienermit 'Probebohrungen bei der Pornozahnärztin'betitelt ist?"

"Ich hoffe, sie hat nicht mich gemeint, sondern meine Figur. Aber selbst dann finde ich den Ausdruck fragwürdig. Allerdings hat auch Frau Diener eine künstlerische Freiheit. Die steht über allem."

"Das sagen Sie dann sicher auch über die Zuschreibung 'pornografische Zahnärztinnenprosa' durch denDeutschlandfunk-Literaturredakteur Jan Drees. Im Gespräch mit ihm äußerte zudem derSchriftsteller, Kritiker und SWR2-Moderator Carsten Otte: '... ob das jetzt Literatur ist im weiteren Sinne, wage ich zu bezweifeln'."

"Ich schreibe nicht pornografisch. Wenn überhaupt, ironisiere ich die Pornografie. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass die Pornografie als Kunstform unterschätzt ist."

"Vielen Dank für Ihre Zeit und für das aufschlussreiche Gespräch."

"Sehr gerne. Es hat mich auch gefreut, besonders, dass ich mit einem Mann über den Wettbewerb und den Text gesprochen habe."

Dr. med. dent. Corinna Toepel-Sievers

Dr. med. dent. Corinna Toepel-Sievers

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.