Die Muster-Kita

ck/dpa
Gesellschaft
Neues Mobiliar, neue Technik für das Raumklima, neue Arbeitsabläufe - in Neuwied wird kräftig gehämmert und gebohrt. Der "Kinderplanet" wandelt sich zu einer bundesweit einzigartigen Muster-Kindertagesstätte.

In der Muster-Kita in Rheinland-Pfalz wird von September an getestet, was künftig in Kitas deutschlandweit Einzug halten könnte. Das Ziel: weniger Unfälle und eine bessere Gesundheitsvorsorge. Umgesetzt werden unter anderem Forschungsergebnisse der Studie "Ergo-Kita", die die Unfallkassen Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hessen sowie die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege initiiert hatten und die durch das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung umgesetzt wurde. 

Über zweieinhalb Jahre wurden Erzieherinnen in Kitas befragt und diverse Faktoren gemessen. Teil war etwa eine computergestützte Langzeitanalyse von Belastungen der Muskeln und des Skeletts - zum Beispiel, wenn Erzieherinnen Kinder tragen oder Möbel rücken. Herausgekommen ist ein Katalog an Verbesserungen, die in Neuwied erstmals umgesetzt werden. 

Mobiliar für Groß und Klein - und frische Luft

"Es fängt damit an, dass Mobiliar für Groß und Klein vorhanden ist", sagt Bodo Köhmstedt, der das Projekt bei der Unfallkasse Rheinland-Pfalz betreut. Und es reicht bis zu Geräten, die den Kohlendioxidgehalt in der Luft messen. Bei Bedarf wird Außenluft beigemischt. Davon verspricht sich Kita-Leiterin Anja Schäfer eine Menge: "Oft merkt man nicht, dass der Stauerstoffgehalt geringer wird. Man wird müde." In einigen Räumen werden Deckenelemente für eine bessere Akustik eingebaut - um ein Flatterecho zu verhindern. 

Doch warum der Aufwand? "Der Gesundheitszustand wird problematischer, immer mehr haben Rückenbeschwerden", sagt Köhmstedt mit Blick auf Kita-Mitarbeiter. Der Leiter des Neuwieder Amts für Jugend und Soziales, Wolfgang Hartmann, pflichtet bei. "Man hat gemerkt, dass die körperliche Belastung der Erzieherinnen immer mehr zunimmt."

Mit 59 geht die Erzieherin in Rente

Kita-Leiterin Schäfer weiß, alle zurzeit 17 Erzieherinnen im Team klagten mal über Nacken-, Hüft-, Becken- oder Kniebeschwerden. Ausdruck dessen sei, dass das Berentungsalter bei Erzieherinnen bei durchschnittlich 59 Jahren liege, sagt Köhmstedt von der Unfallkasse.  

Neu werden in Neuwied von Herbst an auch Tische mit Rollen sein. "Damit die Erzieherinnen nicht so schwer tragen müssen", sagt Kita-Leiterin Anja Schäfer. Statt in Gruppenräumen werden die Kinder zudem in einer Kita-Mensa essen. Das macht ein tägliches Räumen von Tischen überflüssig. Neue Gitterbetten haben Türen, damit die Kleinen nicht mehr von den Erzieherinnen herausgehoben werden müssen. Auf kleinen Podesten können die Kolleginnen zudem bald die Schnürsenkel der Kinderschuhe binden, ohne sich bis zum Boden bücken zu müssen. 

Workshops zur Förderung des gesunden Egoismus

Flankiert wird das Ganze mit Workshops für die Bediensteten. Auch Arbeitsabläufe würden thematisiert. "Erzieherinnen neigen dazu, Kinder in den Mittelpunkt zu stellen und sich in den Hintergrund", betont Köhmstedt. Fortan solle eine Art gesunder Egoismus bei ihnen gefördert werden. 

"Die Muster-Kita war für uns ein Glücksfall", sagt der Neuwieder Oberbürgermeister Nikolaus Roth (SPD). 200.000 Euro kostet die Sanierung des bestehenden Hauses, 2,8 Millionen Euro der Neubau, wie Hartmann erklärt. Es fließt Geld von Bund, vom Land, der Stadt, der Unfallkasse und des Instituts für Arbeitsschutz. Es gehe auch darum, den Arbeitsplatz Kita attraktiver zu machen. Dass künftig nicht alle Kitas so perfekt aussehen werden, ist indes allen bewusst. "Wir haben hier den Vorteil, dass wir komplett neu ausstatten", sagt Köhmstedt. 

Im Juni werden die ersten neuen Möbel geliefert, im September soll die zurzeit in einer Schule untergebrachte Kita in die Waldstraße zurückziehen. 140 Kinder werden sich dann in acht Gruppen tummeln. Ende dieses oder Anfang des kommenden Jahres soll Bilanz gezogen werden. Großes Interesse hat der "Kinderplanet" schon jetzt auf sich gezogen. "Wir haben viele Anfragen aus anderen Ländern", sagt Chefin Schäfer. 

von Christian Schultz, dpa

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