129. Deutscher Ärztetag in Leipzig

„Die Politik muss anerkennen, dass das Gesundheitswesen kein bloßer Kostenfaktor ist!“

sth
Politik
Angesichts der gravierenden Herausforderungen müssten ärztliche Selbstverwaltung und Politik jetzt zu einem gemeinsamen Verständnis darüber kommen, wie sich das Gesundheitswesen weiterentwickeln soll, sagte Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt bei der Eröffnung des Deutschen Ärztetages in Leipzig.

Als Ziel skizzierte er ein Gesundheitssystem, das „solide in seiner Struktur, solidarisch in seinem Anspruch und getragen von einem belastbaren Vertrauensverhältnis zwischen Politik, Selbstverwaltung und den Menschen, für die wir Verantwortung übernehmen“, ist.

Alle Beteiligten müssen für Veränderung bereit sein

Der BÄK-Präsident betonte, dass alle Beteiligten Bereitschaft für Veränderung zeigen müssten. „Die Politik muss anerkennen, dass das Gesundheitswesen kein bloßer Kostenfaktor ist, den man mit pauschalen Sparmaßnahmen auf Effizienz trimmen kann“, forderte Reinhardt.

„Und die Akteure im Gesundheitswesen sollten natürlich verinnerlichen, dass verantwortungsvolle Interessenvertretung mehr bedeutet, als nach zusätzlichen finanziellen Mitteln zu rufen – nämlich das System so mitzugestalten, dass es qualitativ hochwertig und zugleich für kommende Generationen bezahlbar bleibt.“

Aus Sicht der Ärzteschaft sind in allen Leistungsbereichen grundlegende Reformen notwendig. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD fänden sich einige gute Ansätze, etwa die angekündigte Einführung eines Primärarztsystems in Deutschland.

„Das Letzte, was wir wollen, ist ein reines Gatekeeping-System!“

Hier kommt es für Reinhardt aber auf die konkrete Umsetzung an: „Das Letzte, was wir wollen, ist ein reines Gatekeeping-System, wie wir es mit allen negativen Auswirkungen aus anderen Ländern kennen: Einschränkung der freien Arztwahl, Verzögerungen beim Zugang zur fachärztlichen Versorgung, zusätzliche Belastungen der Hausärztinnen und Hausärzte.“

Der im Koalitionsvertrag angekündigten Fortentwicklung der Krankenhausreform stimme die Ärzteschaft zu. Es sei ein richtiges Signal, die Krankenhäuser finanziell zu stabilisieren, bis die Reform greife. Gut sei auch, dass die Personal- und Strukturvorgaben in den Leistungsgruppen praxisnäher und realitätsbezogener gestaltet werden sollen, resümierte Reinhardt.

KBV tagte in Leipzig

Am 26. Mai kamen die 60 Delegierten der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Leipzig zusammen. Unter anderem wurde kontrovers über ein Positionspapier zur Patientensteuerung diskutiert. Am Ende verabschiedete die Vertreterversammlung es mit 53 zu 60 Stimmen.

Das Konzept der KBV zur Patientensteuerung sieht vor, dass gesetzlich Krankenversicherte für die primäre Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen einen Vertragsarzt aus den zur Steuerung bestimmten Facharztgruppen wählen. Mögliche Anlaufstellen sind Hausärzte, Kinder- und Jugendärzte sowie Frauenärzte. Nur Fachärzte für Augenheilkunde, ärztliche und psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sollen laut dem KBV-Vorschlag weiterhin ohne Überweisung aufgesucht werden können.

Patientinnen und Patienten sollen nach dem Willen der Berufsorganisation zwar weiterhin die Möglichkeit haben, alle Fachärzte in Eigeninitiative zu konsultieren, dafür soll aber eine Eigenbeteiligung erhoben werden. Die Abrechnung sei zwischen Versicherten und Krankenkassen zu regeln, ohne die ärztliche Versorgung dadurch mit bürokratischem Aufwand zu belasten.

Am 24. und 25. Mai fand die Hauptversammlung des Marburger Bunds (MB) in Leipzig statt. Die Ärztegewerkschaft kritisierte die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigte Abschaffung der täglichen zugunsten einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit. „Es besteht die Gefahr, dass eine vollständige Auflösung der täglichen Höchstgrenzen die Belastung der bereits stark beanspruchten Beschäftigten im Gesundheitswesen nochmals erheblich steigert“, heißt es im Abschlusspapier der Hauptversammlung. Die gesetzlichen und tariflichen Regelungen seien Marken zum Schutz der Beschäftigten, die bewahrt werden müssten. Auf der Hauptversammlung sprachen sich die Delegierten außerdem für eine „verbindliche, flächendeckende Patientennavigation“ aus. Von der Bundesregierung forderte die Gewerkschaft nachhaltige und intensivierte Investitionen in Digitalisierung und KI, ein Bürokratieentlastungsgesetz in den ersten 100 Tagen der Legislatur sowie die Prävention als „Kernaufgabe der Daseinsvorsorge zu stärken“.

Eine Bürokratie-Task-Force für das Gesundheitswesen

Direkt an Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) gewandt forderte Reinhardt die Einsetzung einer Bürokratie-Task-Force für das Gesundheitswesen: „Lassen Sie uns gemeinsam jedes Formular, jede Prozedur und jede Berichtspflicht auf den Prüfstand stellen.“ Er verwies darauf, dass die BÄK und andere Organisationen aus dem Gesundheitswesen bereits in der letzten Legislaturperiode zahlreiche konkrete Entbürokratisierungsvorschläge an das Bundesgesundheitsministerium übermittelt hatten.

Zum Abschluss seiner Rede ging Reinhardt auf das Schwerpunktthema des diesjährigen Ärztetages ein: den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in der Medizin. „KI wird unsere Gesellschaft und auch die Medizin tiefgreifend verändern“, sagte Reinhardt. Sie biete enorme Chancen für die Forschung, erfordere aber ethische Leitplanken und verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen. Die Entscheidung über eine Behandlung müsse stets von Ärztinnen und Ärzten getroffen werden – nicht von digitalen Algorithmen. Reinhardt: „Verantwortung ist nicht teilbar – auch nicht zwischen Mensch und Maschine.“

Warken bekannte sich erneut zum Dialog und zum ePA-Zeitplan

In ihrem Grußwort bekräftigte Warken ihre Absicht, mit allen Beteiligten im Gesundheitswesen in den Dialog zu treten. Nur so können aus ihrer Sicht „die gewaltigen Herausforderungen“ – darunter der Fachkräftemangel, überbordende Bürokratie und die Finanznot in der Gesetzlichen Krankenversicherung – bewältigt werden. Die Vorschläge der Ärzteschaft zum Bürokratieabbau werde man aufgreifen, versicherte Warken.

Sie bekannte sich erneut zum Primärarztsystem, um die Gesundheitsversorgung in der Stadt und auf dem Land sicherzustellen. Mit Blick auf die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), über die am Donnerstag auf dem Ärztetag entschieden werden soll, sagte sie, dass das BMG zunächst auf einen durchkalkulierten Vorschlag von BÄK und Privater Krankenversicherung (PKV) angewiesen sei.

Zum Potenzial von KI, die Leistungserbringer im Gesundheitswesen zu entlasten, stellte die CDU-Politikerin klar: „Mein Anliegen in den kommenden Monaten wird sein, die Voraussetzungen zu verbessern. Dafür müssen wir die Datenverfügbarkeit im Gesundheitswesen verbessern, das Thema Datensicherheit im Blick behalten und die Interoperabilität im Gesundheitswesen stärken.“ Eine wichtige Rolle spiele die elektronische Patientenakte (ePA). Hier wolle das BMG am gesetzten Zeitplan festhalten. Sie appellierte an die Ärzteschaft, das Projekt besser zu machen. Warken: „Die ePA ist die Zukunft. Je mehr Sie sie nutzen, desto schneller wird sie besser.“

Der 129. Deutsche Ärztetag findet vom 27. bis 30. Mai 2025 in Leipzig statt. Neben der aktuellen Gesundheitspolitik und dem Schwerpunkt KI in der Medizin wird eine wichtige Weichenstellung bei der Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte erwartet. Außerdem will sich das Ärzteparlament dem Thema Schwangerschaftsabbruch befassen.

Melden Sie sich hier zum zm Online-Newsletter an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Online-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm starter-Newsletter und zm Heft-Newsletter.