Dentalketten in Europa

Ein Blick über die Grenzen

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In Deutschland wird derzeit intensiv und kontrovers über zahnmedizinische Versorgungszentren (MVZ) und die Ausbreitung von Dentalketten diskutiert. Ein vergleichender Blick über die Grenzen zeigt, dass Dentalketten in einigen europäischen Nachbarländern seit Jahren zum zahnmedizinischen Versorgungsalltag gehören. Ein Vorbild für Deutschland, dessen Dentalmarkt mit geschätzten Ausgaben für zahnmedizinische Leistungen in Höhe von jährlich 28 Milliarden Euro das mit Abstand größte und aus Investorensicht wohl lukrativste Volumen in Europa aufweist?

Angesichts eines spürbar gewachsenen Interesses großer Kapitalinvestoren an sicheren und dauerhaften Renditen ist der Marktanteil von Dentalketten in den vergangenen Jahren in Europa deutlich gewachsen. Dank massiver Investitionen sind große pan-europäische Dentalketten, etwa die Züricher Colosseum Dental Group, mit Standorten in mehreren EU-Staaten entstanden – und befinden sich auf einem beachtlichen Wachstumskurs. 

Hohe Anteile am Dentalmarkt weisen Dentalketten – nach Zahlen, die die Unternehmensberatungsgesellschaft KPMG im vergangenen Jahr veröffentlicht hat – insbesondere in Großbritannien, den Niederlanden, Skandinavien und Spanien auf [KPMG, 2017]. Spitzenreiter ist Finnland. Dort kommen Dentalketten auf einen beachtlichen Marktanteil von 35 Prozent. 

Sinkt die Qualität oder profitieren die Patienten?

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion in Deutschland – auch im Rahmen der Beratungen über das geplante Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) – stellt sich die Frage, welche Erfahrungen mit Dentalketten bereits gemacht wurden. Hat der Markteintritt von renditegesteuerten Dentalunternehmen Auswirkungen auf Aspekte wie den Preis und die Qualität zahnärztlicher Leistungen, wie es kritische Stimmen immer wieder behaupten, oder profitieren Patienten ausländischer Dentalketten von längeren Öffnungszeiten und preislich attraktiveren Angeboten zahnärztlicher Leistungen?

Eine klare Antwort auf diese Frage gibt es bislang nicht. Es fehlt an einer belastbaren wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser vergleichsweise neuen Thematik. Einige, über den Dachverband der europäischen Zahnärzte – Council of European Dentists (CED) – ermittelte Beispiele legen allerdings nahe, dass es bei Dentalketten aufgrund ökonomischer Erwägungen zu Einbußen bei der Behandlungsqualität sowie zu nachteiligen Entwicklungen für die Patienten kommen kann. 

So veröffentlichte die spanische Zahnärztekammer, der Consejo General de Colegios de Odontólogos y Estomatólogos de España, im Jahr 2017 eine Untersuchung zu Patientenbeschwerden, die bei offiziellen spanischen Zahnärztevereinigungen eingegangen waren. Demnach entfielen von 2013 bis 2015 fast die Hälfte aller Patientenbeschwerden auf Praxen in Dentalketten, obwohl diese Ketten lediglich rund vier Prozent aller spanischen Zahnarztpraxen stellen. 

In Verruf gerieten die Ketten auch durch handfeste Skandale: Die Dentalkette iDental wurde im Frühjahr 2018 von den spanischen Behörden zwangsweise geschlossen. Untersuchungen hatten ergeben, dass die Patienten von iDental durch nicht qualifiziertes Personal behandelt worden waren und dass bei der Behandlung Materialien minderer Qualität verwendet wurden. Unter Vorspiegelung eines Zeitdrucks wurden Patienten mit hohen Preisnachlässen geködert, um Behandlungen durchzuführen, für die sich die Patienten bei von iDental vermittelten Finanzanbietern verschuldeten. Schätzungsweise 15.000 Patienten sind von der iDental-Schließung betroffen. Ebenfalls in Spanien sorgte auch die Dentalkette Funnydent für landesweites Aufsehen. Die Kette bot implantologische Leistungen zu besonders günstigen Preisen an, für die die Patienten in Vorkasse gehen mussten. 2016 meldete die Kette überraschend Insolvenz an und Tausende Patienten blieben ohne Behandlung zurück. 

In Frankreich gab es 2016 ebenfalls einen in der Öffentlichkeit viel beachteten Skandal um die insolvente Zahnarztkette Dentexia. Die Kette hatte Implantate zur Hälfte der in Frankreich üblichen Preise angeboten. Die Patienten mussten die Behandlungen im Voraus bezahlen, wofür eine mit Dentexia kooperierende Finanzfirma entsprechende Darlehen anbot. Über 2.500 Patienten, die bei Dentexia behandelt worden waren, blieben mit unvollendeten Behandlungen oder mit den Folgen von Behandlungsfehlern zurück.

In Großbritannien kämpft Presseberichten zufolge die größte britische Dentalkette Mydentist mit gravierenden finanziellen Problemen. Wie die Zeitung „The Times“ berichtete, hat Mydentist im dritten Jahr in Folge erhebliche Verluste verbuchen müssen. Marktbeobachter befürchten nun, dass die Kette zunächst weniger rentable Praxen im ländlichen Raum schließen wird. Mydentist hatte mit kreditfinanzierten Aufkäufen innerhalb der vergangenen sieben Jahre 237 Zahnarztpraxen erworben und sein Netzwerk auf über 600 Praxen erweitert. Nun sind laut „The Times“ über 1 Milliarde Pfund Schulden aufgelaufen, die jährlichen Verluste vor Steuern haben sich auf 144 Millionen Pfund verdoppelt. Londoner Banker würden inzwischen über einen Zusammenbruch der Zahnarztkette spekulieren – so berichtete die Zeitung Ende Juli.

Welche Schlussfolgerungen sind möglich?

Die geschilderten Negativbeispiele aus Spanien und Frankreich zeigen, dass die Kritik an Dentalketten nicht ohne Grund erfolgt. Fehlentwicklungen bei Dentalketten können bei den betroffenen Patienten zu ernsten gesundheitlichen und finanziellen Schäden führen. In den meisten Fällen waren dafür ein übermäßiges Gewinnstreben und unsolides Verhalten der Geschäftsführung die Ursache.

Die geschilderten Beispiele haben allesamt eine erhebliche Dimension im Hinblick auf den entstandenen Schaden. Insofern könnten diese Berichte nur die Spitze des Eisbergs darstellen, weil die Medien erst im Begriff sind, dieses Thema für sich zu entdecken. Es wäre andererseits jedoch auch voreilig, Dentalketten pauschal infrage zu stellen. In Skandinavien sind Dentalketten im zahnmedizinischen Versorgungsalltag fest etabliert, ohne dass Berichte über signifikante Fehlentwicklungen vorliegen. Die Frage, ob die Versorgung mit Dentalketten tatsächlich problemarm verläuft oder ob die fehlenden Berichte über eine im Argen liegende Realität hinwegtäuschen, ist noch offen und zeigt weiteren Bedarf an Aufklärung an. Interessant wäre es zweifellos, länderübergreifend Vergleichszahlen über die Patientenzufriedenheit beziehungsweise die Patientenbeschwerden in Dentalketten und herkömmlichen Versorgungsformen zu erheben. Das würde – anders als die Aufzählung von Einzelfällen – bei entsprechend repräsentativer Aussagekraft der Erhebungen Rückschlüsse auf die Versorgungsqualität zulassen.

Braucht es nur seriöse(re) Investoren?

In der aktuellen MVZ-Debatte wird viel über die Frage diskutiert, wer berechtigt sein sollte, größere Versorgungsstrukturen zu gründen. Angesichts der besonderen Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Zahnarzt und Patient dürfte ein seriöser Investor neben der Rendite auch ein Interesse daran haben, dass die in seiner Dentalkette angebotenen Leistungen auf einem entsprechenden Qualitätsniveau erbracht werden, um sein Investment nicht zu gefährden. Die Gefahr der Rufschädigung einer Dentalkette mit einheitlichem Markenauftritt dürfte ungleich größer sein als bei einer Einzelpraxis. Andererseits hat die weitgehende Deregulierung bei den Gründungsvoraussetzungen von Ketten auch dazu geführt, dass halbseidene Glücksritter und Spekulanten zu Anbietern von Gesundheitsversorgung werden konnten.

Eine bereits heute sichtbare Folge der Konzentration von zahnärztlichen Leistungen in Dentalketten ist die zunehmende Abhängigkeit der Versorgungssicherheit von einzelnen Anbietern. Sollte beispielsweise die britische Kette Mydentist tatsächlich den Betrieb einstellen, wären landesweit auf einen Schlag vier Millionen Patienten betroffen. Selbst wenn sich dann für einzelne Praxen schnelle Lösungen für die Weiterführung durch einen anderen Betreiber finden, wäre der Wegfall an Kapazitäten für die zahnärztliche Versorgung enorm und könnte kaum von anderen Anbietern aufgefangen werden. Auch bei Insolvenzen kleinerer Ketten, die nur lokal höhere Marktanteile haben, können die Ausfälle an Versorgungskapazität schnell schmerzhaft werden.

Die Abhängigkeit der Versorgungssicherheit von zahnärztlichen Großversorgungsstrukturen ist ein systemisches Risiko dieser Versorgungsform, das unabhängig von den spezifischen Gegebenheiten in den einzelnen Ländern besteht. Mit der zunehmenden Ausbreitung großer Dentalketten und MVZ wird dieses Thema auch in Deutschland allmählich in den Fokus der Gesundheitspolitik geraten. 

Ausblick

Der bislang noch sehr lückenhafte Blick auf die Erfahrungen mit Dentalketten in Europa liefert gute Gründe, die politisch immer wieder vorgetragenen Argumente einer angeblich besseren Patientenversorgung durch Dentalketten und große MVZ einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen. Angesichts der rasanten Entwicklung von Dentalketten in ganz Europa ist eine vertiefte Analyse der Erfahrungen im europäischen Vergleich dringend notwendig. Eine der Arbeitsgruppen des CED ist vor diesem Hintergrund aktuell im Begriff, Erfahrungswerte aus allen EU-Staaten zusammenzutragen und zu bewerten. Die ersten Ergebnisse sollen bis Jahresende vorliegen.

In Deutschland befasst sich derzeit die Bundeszahnärztekammer intensiv mit der Frage, wie das zahnärztliche Berufsrecht genutzt werden kann, um Fehlentwicklungen mit MVZ, Dentalketten und Großversorgermodellen vorzubeugen.

Literatur:

KPMG International Cooperative: „The dental chain opportunity“, 2017, home.kpmg.com/xx/en/home/insights/2017/05/the-dental-chain-opportunity.html, Abrufdatum: 03.09.2018

The Times, Why the dental business became more and more like pulling teeth, Harry Wilson, City Editor. July 30 2018, 12:01am

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