Zahnarzt Robert Kötter gibt Tipps für grüne Zahnmedizin

„Ein offizielles Kammer-Siegel für nachhaltige Praxen könnte helfen“

Praxis

Zahnarzt Robert Kötter studierte Zahnmedizin in Berlin und betreibt mit zwei KollegInnen eine Praxis in Berlin-Mitte. Um deren Betrieb nachhaltiger zu gestalten, hat er viel recherchiert, erste Maßnahmen bereits umgesetzt und eine Internetseite eingerichtet, auf der er Zahnärztinnen und Zahnärzten Tipps und die Möglichkeit zum Austausch geben will.

Herr Kötter, Sie setzen einen starken Fokus auf Nachhaltigkeit. Den größten Anteil am CO2-Fußabdruck in der Zahnmedizin hat Studien zufolge die An- und Abfahrt der Beleg- und Patientenschaft. Was kann man aus Ihrer Sicht hier tun?

Robert Kötter: Die effektivste Maßnahme zur Reduzierung der Zahnarztbesuche ist vermutlich eine gute Prävention im Sinne einer regelmäßigen Prophylaxe. Anfahrten lassen sich durch ein gutes Terminmanagement vermeiden, indem Behandlungen auf möglichst wenige, dafür längere Sitzungen reduziert werden. Beratungen lassen sich per Anruf oder Videocall erledigen. Unsere Mitarbeiter erhalten einen steuerfreien Zuschuss für öffentliche Verkehrsmittel. Man kann zudem E-Bikes leasen. Ein weiterer Tipp: Verzichten Sie auf das Bereitstellen von Parkplätzen und stellen Sie stattdessen Fahrradständer zur Verfügung. Außerdem lassen sich klimaschädliche Laboranfahrten durch umweltfreundliche Paketdienste oder aber digitale Abformungen vermeiden.

Welche Maßnahmen haben Sie in Ihrer Praxis bislang umgesetzt?

Wir nutzen Ökostrom. Unsere Beleuchtung haben wir auf LED umgerüstet. Heizungen haben wir mit programmierbaren Thermostaten ausgestattet. Durch Digitalisierung lässt sich der Papierverbrauch erheblich reduzieren, wir nutzen ein Programm, mit dem Dokumente ans Smartphone der PatientInnen gesendet und digital signiert werden können. Und wir verwenden Mehrwegbecher aus erdölfreiem Kunststoff, die im Thermodesinfektor aufbereitet werden. Das kann bis zu 10.000 Becher im Jahr vermeiden.

Was davon war aus Ihrer Sicht am wichtigsten, was am leichtesten, was am schwierigsten umsetzbar?

Letztlich sind alle Maßnahmen wichtig. In der Summe ergeben viele kleine Schritte eine große Veränderung. Ich halte die Kompensation des unvermeidbaren CO2-Ausstoßes für sehr wichtig. Wir spenden regelmäßig an eine Organisation, die effektiv in nachhaltige Projekte investiert. So lässt sich schon für 1 bis 5 Euro eine Tonne CO2 kompensieren. Besonders leicht umzusetzen und effektiv ist sicherlich die Umstellung auf Ökostrom und die Reduzierung des Papierverbrauchs. Schwierig wird es immer dann, wenn man Gewohnheiten verändern möchte, gerade wenn es um das Vermeiden von überflüssigem Energie- und Ressourcenverbrauch geht.

Wie haben Sie Ihr Team eingebunden, damit im veränderten Praxisbetrieb möglichst wenig Friktionen entstehen?

Mit vielen Gesprächen und in Team­besprechungen. Sinnvoll ist, nicht zu viele Maßnahmen auf einmal umzusetzen und das Team nicht zu überfordern. Gewohnheiten und Einstellungen ändern sich nicht von heute auf morgen. Die Umstrukturierung sollte man als fortlaufenden Prozess betrachten. Wir haben auch eine besonders motivierte Mitarbeiterin zur Nachhaltigkeitsbeauftragten benannt.

Und ziehen jetzt alle an einem Strang?

Aller Anfang ist schwer, aber viele Umstellungen sind mittlerweile verinnerlicht und gehören zur Routine. Unsere Mitarbeitenden sind stolz darauf, einen Teil beitragen zu dürfen im Kampf gegen den Klimawandel. Ich habe den Eindruck, dass unsere Maßnahmen zu einer erhöhten Bindung des Personals an die Praxis geführt haben – was in Zeiten chronischen Personalmangels nicht zu unterschätzen ist.

Viele KollegInnen sind beim Thema Nachhaltigkeit nicht erst seit den steigenden Energiepreisen zögerlich wegen zusätzlicher Kosten. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Natürlich führen viele Maßnahmen erst einmal zu erhöhten Kosten, die sich später aber oft durch geringere Energie- und Materialkosten wieder amortisieren und letztlich über die Zeit zu Einsparungen führen können. Die Digitalisierung des Schriftverkehrs zum Beispiel verursacht erst einmal Kosten und Zeitaufwand bei der Einführung, führt aber über die Zeit zu Einsparungen von Druck-und Papierkosten und zur Reduzierung der Arbeitszeit. Gleiches gilt für die Umrüstung auf LED-Beleuchtung oder Maßnahmen zur energetischen Sanierung. Nachhaltige Produkte sind oft etwas teurer, aber auf der anderen Seite lassen sich durch die Vermeidung von Verschwendung die Kosten insgesamt reduzieren. Wir verwenden zum Beispiel deutlich weniger Tray-Unterlagen, Speichelzieher oder Patientenservietten, weil diese bei manchen Behandlungsarten schlicht überflüssig sind. Zudem verbessert die nachhaltige Gestaltung einer Praxis das Image und somit die Attraktivität für Patienten und Personal. Hier sehe ich einen klaren Wettbewerbsvorteil, der letztlich Investitionen rechtfertigt.

Das Netzwerk KlimaDocs e. V. empfiehlt Ärzten, Patienten über die gesundheitlichen Vorteile einer klima- und umweltfreundlichen Lebensweise zu informieren. Was halten Sie davon?

Ich empfehle meinen Patienten regelmäßig eine gesunde, pflanzenbasierte und naturbelassene Nahrung. 50 Prozent der Treibhausgasemissionen beruhen direkt oder indirekt auf der Massentierhaltung. Der weitestgehende Verzicht auf Fleisch, Milch und Eier kann außerdem nicht nur zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks führen, sondern auch das Risiko für Parodontitis und viele andere Krankheiten verringern.

Wie reagieren die PatientInnen auf solche Tipps?

Die meisten Patienten reagieren positiv und interessiert. Natürlich wird nicht jeder gleich aufhören, Fleisch zu essen, aber zumindest Patienten mit Parodontitis denken über eine Reduktion nach, wenn sie den gesundheitlichen Nutzen erkennen. Einige Patienten haben berichtet, dass sie ihren Konsum an tierischen Proteinen aufgrund der Beratung eingestellt oder reduziert haben.

Was haben Sie noch an Maßnahmen in der Pipeline?

Ich habe eine Liste mit mehr als 200 Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Fußabdrucks erstellt und diese auf meiner Webseite www.ecodentist.de veröffentlicht. Mein Ziel ist, diese Liste stetig weiterzuentwickeln. Ich möchte damit Zahnärztinnen und Zahnärzten helfen, ihr Bestreben nach Nachhaltigkeit in die Tat umzusetzen, und gleichzeitig Erfahrungen austauschen.

Ist diese Liste für Ihre KollegInnen kostenlos? Wird es auf der Website eine Art Forum geben – oder wie soll die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch konkret aussehen?

Die Liste ist kostenlos und wird nach Hinterlegen der E-Mail-Adresse versendet. Auch der Erfahrungsaustausch soll zunächst per E-Mail erfolgen.

Gibt es noch mehr, was Sie vorhaben?

Ja, ich plane gerade den Einbau von Präsenzmeldern für Licht und Klimaanlage und die Einführung von Stoffhandtuchrollen, die eine deutlich bessere Umweltbilanz aufweisen als Papiertücher. Wir wollen auch unser Recyclingsystem optimieren und zum Beispiel leere Kartons weiterverschenken. Zukünftig möchte ich auch vermehrt Hersteller aufmerksam machen auf die Möglichkeit der Herstellung neuer nachhaltiger Produkte.

Immer wieder haben KollegInnen gegenüber den zm betont, wie schwer es sei, bei den Verbrauchsmaterialien auf nachhaltigere Lösungen umzusteigen, weil es diese schlicht nicht gebe oder sie zu teuer seien. Wie sind hier Ihre Beobachtungen und Erfahrungen?

Ich denke, der Trend zur Nachhaltigkeit steht erst am Anfang. Hier sehe ich ein enormes Potenzial. Die Hersteller sollten erkennen, dass eine große Nachfrage besteht. Ich frage mich zum Beispiel, warum es spiralförmige Speichelzieher aus biologisch abbaubarem Kunststoff gibt, normale gerade Speichelzieher aber nur aus Plastik. Einige Online-Plattformen bieten bereits eine grüne Produktlinie an, doch das Angebot ist sehr überschaubar. Hier stehen auch die Depots in der Verantwortung. Die Kosten reduzieren sich in der Regel ja erst bei der Produktion höherer Stückzahlen.

Was glauben Sie, müsste passieren, damit ein Ruck hin zu mehr Nachhaltigkeit durch die Zahnärzteschaft geht?

Man sollte es den ZahnärztInnen möglichst leicht machen, entsprechende Produkte zu finden und Maßnahmen umzusetzen. Der administrative Aufwand ist in den vergangenen Jahren ohnehin enorm gestiegen. Kaum einer hat da noch die Zeit, mühsam nach nachhaltigen Lösungen zu suchen. Hier gilt es, ein erprobtes Konzept anzubieten, das leicht durchführbar und vor allem delegierbar sein sollte. Ich sehe zudem die Kammern, Depots und Medien in der Verantwortung, das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu schärfen und auf die Möglichkeiten aufmerksam zu machen. Ich denke allerdings, dass eine Veränderung nicht mit einem Ruck stattfinden wird, sondern eher in einem stetig fortlaufenden Prozess, der sich mit der Zeit beschleunigen wird.

Was können werbewirksame und kostenpflichtige Gütesiegel, die eine Praxis als nachhaltig zertifizieren Ihrer Meinung nach leisten?

Ich denke, Zahnarztpraxen können durch das Alleinstellungsmerkmal Nachhaltigkeit von einem solchen Siegel erheblich profitieren. Die entsprechende Nachfrage in der Patientenschaft steigt. Ich erlebe durchweg positive Resonanz, wenn ich meinen Patienten von unseren Maßnahmen berichte. Ein nachhaltiges Image erhöht zudem die Attraktivität für Mitarbeitende. Bisher gibt es allerdings keine einheitlichen offiziellen Kriterien für ein solches Zertifikat. Wer definiert, wie viele und welche Maßnahmen ausreichend sind, um ein solches Siegel zu erhalten? Ich sehe hier die Gefahr des Greenwashing. Ein offizielles, von den Kammern anerkanntes Siegel könnte dagegen helfen.

Das Interview führte Marius Gießmann.

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