Vor invasiven zahnärztlichen Eingriffen

Endokarditis-Prophylaxe reduziert das Infektionsrisiko

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Zahnmedizin
Menschen mit einem hohen Risiko für Endokarditis sollten vor einer invasiven zahnärztlichen Behandlung eine Antibiotika-Prophylaxe einnehmen, da diese das Infektionsrisiko deutlich verringert.

Neue Studienergebnisse bestätigen, dass die Verabreichung von Antibiotika vor invasiven zahnärztlichen Eingriffen bei Personen mit hohem Endokarditis-Risiko das Erkrankungsrisiko deutlich verringert. Ein kausaler Zusammenhang zwischen zahnärztlicher Behandlung und dem Entstehen einer infektiösen Endokarditis wird seit langem postuliert.

30 bis 40 Prozent der Fälle durch orale Bakterien verursacht

Aktuell werden schätzungsweise 30 bis 40 Prozent der Fälle durch orale Bakterien verursacht. Die Studie ist die bisher größte, die den Zusammenhang zwischen infektiöser Endokarditis und verschiedenen Zahnbehandlungen untersucht hat. Sie bekräftigt die Leitlinienempfehlungen in den USA, Europa und vielen anderen Ländern, die anraten, dass Hochrisikopatienten vor invasiven zahnärztlichen Eingriffen Antibiotika erhalten sollten.

analysiert wurden die daten von fast acht Millionen Menschen

Die Studie wurde in den USA durchgeführt, wo Patienten mit hohem Endokarditis-Risiko wie hierzulande auch vor invasiven zahnärztlichen Eingriffen eine Antibiotika-Prophylaxe empfohlen wird. Dazu zählen Eingriffe mit Bakteriämie-Risiko, die „eine Manipulation des Zahnfleischgewebes oder des periapikalen Bereichs der Zähne oder eine Perforation der Mundschleimhaut beinhalten“, wie beispielsweise oralchirurgische oder parodontoale Eingriffe, Zahnextraktionen, aber auch Zahnsteinentfernung [Thornhill et al., 2022]

Für die Studie analysierten die Forschenden die Krankengeschichte anhand von Versicherungsdaten von fast acht Millionen Menschen in den USA über einen Zeitraum von 16 Monaten, darunter 36.773 Personen mit einem hohen Endokarditis-Risiko. Es wurde untersucht, ob die Patienten eine invasive zahnärztliche Behandlung hatten, ob sie danach innerhalb von 30 Tagen an einer Endokarditis erkrankten und ob sie vor dem Eingriff eine Antibiotika-Prophylaxe erhalten hatten.

Endokarditis tritt meist innerhalb von 30 Tagen auf

Die Ergebnisse zeigen, dass 3.774 der untersuchten Patienten innerhalb von 30 Tagen nach der Zahnbehandlung an einer Endokarditis erkrankten. Davon hatten 34 Prozent ein hohes Endokarditis-Risiko, 22 Prozent ein moderates und die übrigen 44 Prozent ein niedriges oder unbekanntes Risiko.Außerdem stellten sie fest, dass das Risiko, eine Endokarditis zu entwickeln, bei Personen mit hohem Endokarditis-Risiko um ein Vielfaches höher war als bei der allgemeinen Bevölkerung mit niedrigem Risiko.

Der Zusammenhang zwischen invasiven zahnärztlichen Eingriffen und Endokarditis war bei Zahnextraktionen und oralchirurgischen Eingriffen besonders ausgeprägt. Bei Hochrisiko-PatientInnen lag das Erkrankungs-Risiko bei einer von 250 Extraktionen und einem von 100 oralchirurgischen Eingriffen ohne Antibiotika-Abdeckung. Das Risiko in der allgemeinen Bevölkerung mit niedrigem Risiko war hingegen äußerst gering.

Die AutorInnen betonen, dass zahnärztliche Eingriffe insgesamt nicht signifikant mit dem Auftreten einer Endokarditis assoziiert waren. Sie erwarteten bei invasiven Eingriffen wie einer Zahnstein-Entfernung ein ähnliches Bakteriämie-Risiko wie bei oralchirurgischen Eingriffen. Erklärt werden könnten die Ergebnisse dadurch, „ […] dass Patienten, die regelmäßig einen Zahnarzt oder Hygieniker für eine Zahnsteinentfernung aufsuchen, aufgrund einer geringeren Zahnfleischentzündung und einer besseren Mundhygiene vor IE geschützt sind" [Thornhill et al., 2022].

Nur ein Drittel der Hochrisiko-Patienten erhielt Antibiotika

Die Studienergebnisse zeigten auch, dass nur 32,6 Prozent der Patienten mit hohem Endokarditis-Risiko vor invasiven zahnärztlichen Eingriffen eine AP erhielten, während auch 9,5 Prozent der Gruppe mit moderatem und 2,9 Prozent der Gruppe mit leichtem Risiko eine Prophylaxe bekamen. Die meisten Patientinnen und Patienten erhielten Amoxicillin (75 Prozent), 17 Prozent erhielten Clindamycin.

Dabei war das Endokarditis-Risiko bei Zahnextraktionen bei Hochrisikopatienten ohne antibiotische Abschirmung fast zehnmal höher als bei Zahnextraktionen, bei denen vorab eine Abschirmung erfolgte. Analog dazu war das Risiko bei oralchirurgischen Eingriffen ohne Antibiotika-Prophylaxe 12,5-mal höher als ohne.

Die Ergebnisse der Studie bestätigen die Empfehlungen der American Heart Association, dass Patienten mit hohem IE-Risiko vor invasiven zahnärztlichen Eingriffen eine AP-Abdeckung erhalten sollten, denn das Auftreten einer IE konnte durch eine antibiotische Abschirmung signifikant verringert werden. Zudem sei es besorgniserregend, dass wenige ZahnärztInnen den Leitlinien-Empfehlungen in den USA folgen – nur rund jeder Dritte Patient mit hohem Endokarditis-Risiko hat tatsächlich eine Antibiotika-Prophylaxe erhalten.

Hintergrund

Seit den 1950er Jahren empfehlen Richtlinienausschüsse auf der ganzen Welt, dass Menschen mit erhöhtem Endokarditis-Risiko vor invasiven zahnärztlichen Eingriffen eine Antibiotika-Prophylaxe erhalten sollten. Es gibt jedoch keine ausreichende Evidenz, die einen direkten Zusammenhang zwischen zahnärztlichen Eingriffen und der Entwicklung einer Endokarditis herstellt.

So wurde diskutiert, ob die tägliche Zahnpflege, insbesondere bei Menschen mit schlechter Mundhygiene und erhöhten Plaque-Ansammlungen, ein ebenso hohes Risiko für die Entstehung einer infektiösen Endokarditis darstellen könnte, führen die AutorInnen aus.

Aufgrund dieses Mangels an Beweisen, der Besorgnis über den unnötigen Einsatz von Antibiotika und des Risikos, die Entwicklung antibiotikaresistenter Bakterien gefördert werden könnte, empfehlen die Leitlinienausschüsse seit einigen Jahren, dass nur Personen mit hohem Endokarditis-Risiko vor invasiven zahnärztlichen Eingriffen eine Antibiotika-Prophylaxe erhalten sollten.

Im Vereinigten Königreich wird eine Antibiotikaprophylaxe gegen infektiöse Endokarditis bei zahnärztlichen Eingriffen allerdings nicht routinemäßig empfohlen. Dies sollte nach Meinung der AutorInnen überdacht werden, da die PatientInnen damit einem unnötigen Risiko ausgesetzt seien.

Thornhill MH, Gibson TB, Yoon F, Dayer MJ, Prendergast BD, Lockhart PB, O'Gara PT, Baddour LM. Antibiotic Prophylaxis Against Infective Endocarditis Before Invasive Dental Procedures. J Am Coll Cardiol. 2022 Aug 6:S0735-1097(22)05537-1. doi: 10.1016/j.jacc.2022.06.030. Epub ahead of print. PMID: 35987887.

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