Fachgespräch im Ernährungsausschuss

„Energydrinks sind eine Art Einstiegsdroge“

sth
Politik
Die gesundheitsgefährdenden Folgen des Konsums von Energydrinks waren Thema bei einem Fachgespräch im Bundestag. Mehrere Expertinnen und Experten sprachen sich dabei für eine Altersgrenze beim Verkauf aus.

Das öffentliche Fachgespräch am 10. September im Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft fand auf Anregung des Bürgerrats „Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ statt. Das Gremium hatte im Februar 2024 neun Empfehlungen zur Verbesserung der Ernährungspolitik an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und die Fraktionen des Bundestages übergeben. Zu den Vorschlägen gehört neben einem kostenlosen Mittagessen in Kindergärten und Schulen die Anregung, gesunde Lebensmittel von der Mehrwertsteuer zu befreien. Außerdem sprach sich der erste offiziell vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat dafür aus, eine Altersgrenze bei Energydrinks einzuführen.

Ärzte warnen vor körperlichen und psychosoziale Folgen

Zu Beginn sprach der Kinderarzt und -kardiologe Prof. Dr. Nikolaus Haas von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, zu dessen Forschungsschwerpunkten der Effekt von Energydrinks auf gesunde Kinder und Jugendliche gehört. Er wies darauf hin, dass der übermäßige Konsum von Energydrinks neben einer Reihe von gesundheitsschädlichen Auswirkungen wie etwa der Begünstigung von Adipositas auch psychosoziale Effekte nach sich ziehe: „Es ist bekannt, dass der Energydrink-Konsum bei Kindern und Jugendlichen eine Art Einstiegsdroge für andere Drogen im weiteren Erwachsenenalter ist, von Alkohol bis zu Cannabis und härteren Drogen. Es ist auch bekannt, dass Energydrink-Konsum, mit oder ohne Alkohol, zu aggressivem Verhalten führt.“ Zudem sei zu beachten, dass der Verzehr in frühem Alter zu entsprechend höheren Mengen im Erwachsenenalter führe.

„Aus medizinischer Sicht plädiere ich deshalb dafür, dass Energydrinks alterslimitiert sind und ich würde 18 Jahre vorschlagen“, schloss der Mediziner. Diese Forderung unterstützte Dr. Felix Sebastian Oberhoffer von der LMU München. Der Ernährungs- und Sportmediziner sowie Kinderarzt, sagte, in der gemeinsamen Forschung an der LMU München habe man aufzeigen können, dass der akute Konsum von Energydrinks bei Kindern und Jugendlichen mit einem deutlich erhöhten Blutdruck und einer signifikant niedrigeren Schlafdauer sowie Herzrhythmusstörungen assoziiert ist. Hier seien präventive Maßnahmen erforderlich – vor allem vor dem Hintergrund, dass kardiovaskuläre Erkrankungen die Todesursache Nummer eins in Deutschland seien.

Die Lebensmittelchemikerin und Journalistin Dr. Christine Rempe gab zu bedenken, dass eine Dose eines Energydrinks dem Koffeingehalt von bis zu vier Tassen Filterkaffee entsprechen könne. Aus ihrer Sicht sei es außerdem als problematisch zu bewerten, dass Produktaufmachung und Marketing der Produkte nicht erkennen ließen, dass es sich um Koffeinmengen handelt, die für Kinder und Jugendliche problematisch sein können.

Die Industrie schätzt die Gefahr geringer ein

Auch der Lobby-Verband Energy Drinks Europe (EDE) war bei dem Fachgespräch vertreten. Sprecher Andreas Kadi sagte, Energydrinks seien auf europäischer und auf nationaler Ebene umfassend und ausreichend reguliert. Es würden Hinweise auf den erhöhten Koffeingehalt gegeben und darauf, dass die Produkte für Kinder, Schwangere und Stillende nicht empfohlen werden. Trotz eines vergleichbaren Koffeingehalts gebe es solche Verpflichtungen für Kaffee- oder Teegetränke ja auch nicht.

Dass „Kinder und Jugendliche Energydrinks übermäßig konsumieren“ qualifizierte er als unbewiesene Behauptung ab. Der Beitrag von Energydrinks zur Koffeinaufnahme sei in allen Altersgruppen „äußerst gering und speziell bei Kindern vernachlässigbar“. Kadi stützte sich dabei unter anderem auf Daten des Robert Koch-Instituts (RKI). Laut RKI stammt die Aufnahme von Koffein bei Jugendlichen überwiegend aus dem Trinken von Kaffee und Tee. „Energydrink-Heavy-User sind laut RKI absolute Einzelfälle, die auch nicht Grundlage einer Regulierung sein können“, sagte Kadi. Auch Dr. Detlef Groß von der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke zitierte diese Zahlen.

„Energydrink-Heavy-User unter Kindern und Jugendlichen sind laut RKI Einzelfälle.“

Andreas Kadi, Energy Drinks Europe

Dr. Rebekka Siegmann von foodwatch Deutschland wies darauf hin, dass die „vom RKI bemüßigten Daten“ veraltet und zwischen 2015 bis 2017 erhoben worden seien, aktuelle Daten lägen bedauerlicherweise nicht vor. Seitdem habe sich der Konsum von Energydrinks in Deutschland aber fast verdoppelt – das sei in diesen Zahlen nicht berücksichtigt. Sie könne sich nicht vorstellen, dass sich diese Zunahme nicht auch auf den Konsum bei Kindern und Jugendlichen ausgewirkt habe.

Überall verfügbar – „zum kleinen Taschengeldpreis“

Schließlich sei die Werbung für Energydrinks geradezu omnipräsent. Zum einen würde das Marketing im Rahmen von Kooperationen der Hersteller mit Influencerinnen und Influencern in den sozialen Medien auf Kinder und Jugendliche „einprasseln“. Aber auch offline kommt man laut der Verbraucherschützerin nicht an den Produkten vorbei. „Ich war dieses Jahr viel in Supermärkten unterwegs“, sagte sie in dem Fachgespräch. „Mir ist aufgefallen, dass es in Supermärkten teilweise an fünf verschiedenen Stellen Energydrink-Aufsteller gibt und dass manche Händler jede Woche Energydrinks im Angebot haben. Das heißt, einen halben Liter kann man für unter einen Euro, also zum kleinen Taschengeldpreis, haben.“

Sie sprach sich gegen freiwillige Branchenlösungen aus, weil diese nicht kontrolliert und sanktioniert werden könnten. „Deshalb plädiere ich für eine Altersgrenze von 18 Jahren, um Kinder und Jugendliche zu schützen“, sagte Siegmann.

Nach Angaben des Bundeszentrums für Ernährung (BZfE) trinken in Europa mehr als jeder zehnte Erwachsene und auch ein Teil der Kinder und Jugendlichen regelmäßig Energydrinks. Angaben des Statistikportals Statista zufolge stieg der Absatz von Energydrinks und Sportgetränken in Deutschland in den Jahren 2018 bis 2023 pro Kopf von 5,01 Liter auf 8,32 Liter. Bereits im Jahr 2021 waren nach einer Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Verbrauchs- und Medienanalyse (VuMA) zum Konsum von Energydrinks 1,62 Millionen der Konsumentinnen und Konsumenten in Deutschland im Alter zwischen 14 und 19 Jahren, was einem Anteil von knapp 35 Prozent dieser Altersgruppe entspricht.

„Die vom RKI bemüßigten Daten sind veraltet.“

Dr. Rebekka Siegmann, foodwatch Deutschland

Welche Regeln gelten in anderen Staaten? Der Verkauf von Energydrinks an unter 18-Jährige ist in Lettland und Litauen sowie seit diesem Jahr auch in Polen und Rumänien verboten. In Ungarn wird auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs aktuell über eine solche Altersbeschränkung diskutiert, auch Dänemark erwägt ein Verbot für Energydrinks. In einigen europäischen Ländern bestehen freiwillige Vereinbarungen zur Altersbeschränkung für den Verkauf von Energydrinks, zum Beispiel in den Niederlanden, Schweden und Estland, wo aber ebenfalls aktuell über eine gesetzliche Altersbeschränkung debattiert wird.

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