Stellungname der AWMF

„Fake Science gefährdet die Patientensicherheit”

nb/pm
Unseriöse Informationen breiten sich über pseudowissenschaftliche Journale und Fachtagungen immer mehr aus, warnt die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).

„Die Integrität medizinischer Forschung ist eine wesentliche Grundlage für die Einführung wirksamer Diagnose- und Behandlungsverfahren“, sagt Prof. Rolf Kreienberg, Präsident der AWMF. Seriöse Forschung bilde sich unter anderem in systematischen Übersichtsarbeiten der Cochrane Collaboration und in medizinischen Leitlinien ab, die von den 180 in der AWMF zusammen­geschlossenen Fachgesellschaften entwickelt und verbreitet werden.

„Demgegenüber breiten sich aber unseriöse Informationen ungehemmt aus – dadurch sehen wir Patienten in Gefahr“, betont Kreienberg. “Die in diesem Zusammenhang zu beobachtende, rasante Zunahme der Entstehung pseudowissenschaftlicher Journale und Fachtagungen sowie die zunehmende Einflussnahme von Lobbygruppen auf systematische Übersichtsarbeiten und Leitlinien sind aber nur Symptome einer Fehlentwicklung – die Ursachen dafür liegen tiefer.“

Publikationsdruck: Wenn Masse statt Klasse zählt

Wesentliche Gründe dieser Fehlentwicklung: Falsche Belohnungssysteme, die "nicht nur durch Fremdeinflüsse, sondern auch durch die Erosion eigener Ansprüche der medizinischen Wissenschaft befeuert" würden.

„Masse zählt anstatt Klasse“, ergänzt Prof. Gerd Antes, ehemaliger Direktor von Cochrane Deutschland. Symptomatisch dafür seien zunehmende Vielfachveröffentlichungen von Studien. Als mitverantwortlich für die Publikationsmengenausweitung sieht Antes falsche Anreizmechanismen an den Universitäten: "Statt langen Listen mit Veröffentlichungen, die für die Karriereentwicklung von Wissenschaftlern beispielsweise im Rahmen von Habilitations- und Berufungsverfahren ausschlaggebend sind, sollten die wirklich für die Verbesserung der Patientenversorgung relevanten Publikationen berücksichtigt werden."

Antes kritisiert in diesem Zusammenhang auch die leistungsorientierte Mittelvergabe an universitären Einrichtungen und fordert ein Umdenken. Insbesondere habe die von der AWMF seit Jahren vielfach kritisierte Heranziehung des Journal Impact Factor, also die errechnete Zahl, die darüber Auskunft gibt, wie oft Artikel einer bestimmten Zeitschrift in anderen Publikationen zitiert worden sind, mit dafür gesorgt, dass vor allem die Menge zählt.

Gehört der Journal Impact Factor auf den Prüfstand?

Eine weitere Ursache der Mengenausweitung von Publikationen: wirtschaftliche Interessen von Verlagen und Zeitschriften. „Leider wird das zur Förderung der Wissenschaftsfreiheit von der AWMF unterstützte Open Access-Verfahren, welches die freie Verfügbarkeit wissenschaftlicher Publikationen per Bezahlung durch die Autoren sicher stellen soll, zunehmend durch sogenannte Predatory Journals unterwandert, die sich durch von Autoren bezahlte Publikationen finanzieren, aber die notwendige Qualitätssicherung – Peer Review-Verfahren – nicht gewährleisten“, sagt Prof. Christoph Herrmann-Lingen, Leiter der ständigen AWMF-Kommission Leistungsevaluation in Forschung und Lehre.

Raubverlage, Pseudojournale und Pseudokongresse: "Dort kann praktisch jeder veröffentlichen, was er will!"

Recherche von NDR, WDR und dem SZ-Magazin

www.tagesschau.de/inland/fakescience-101.html _blank external-link-new-window

Als Gegenmaßnahme sollten Autoren sich an Positivlisten seriöser Open Access-Journale orientieren, wie sie vom Directory of Open Access Journals und von der AWMF geführt werden, oder die in ausgewählten Datenbanken des Web of Science gelistet sind.

Außerdem würden 50 Prozent aller randomisierten klinischen Studien niemals publiziert, ergänzt Prof. Ina Kopp, Leiterin des AWMF-Instituts für Medizinisches Wissensmanagement: "Insbesondere gelangen unerwünschte Studienergebnisse nicht an die Öffentlichkeit.“

Die AWMF unterstützt daher internationale Initiativen zur Verbesserung klinischer Studien und deren vollständiger Publikation. “Die offizielle Registrierung aller Studien und die Veröffentlichung aller Studienergebnisse müssen verpflichtend sein“, fordert Kopp. Nur so sei eine Qualitätssicherung möglich.

Interessengruppen versuchen 'unliebsame' Veröffentlichungen zurückzuhalten

Hinzu komme, dass ein offener, kontroverser Austausch über Studienergebnisse nicht immer möglich sei. „Mit Sorge beobachten wir, dass Interessengruppen auf Autoren und seriöse Publikationsorgane Einfluss nehmen, um ‚unliebsame‘ Veröffentlichungen zurückzuhalten. Damit ist die Freiheit der Forschung in Gefahr. Diskussionen über kontroverse medizinische Studienergebnisse sind notwendig, müssen sachorientiert geführt und veröffentlicht werden“, sagt Herrmann-Lingen.

Die AWMF spricht sich als Vertreterin der wissenschaftlichen Medizin in Deutschland "für den Erhalt einer ethisch reflektierten Forschungskultur aus, die zum Wohl der Patienten anerkannten wissenschaftlichen Standards in der Gewinnung und Publikation wissenschaftlicher Erkenntnisse verpflichtet ist".

„Medizinische Wissenschaft ist ein hohes Gut, da sie unmittelbaren Einfluss auf die Behandlung von Patienten hat. Wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, tatenlos zuzusehen, wie unseriöses Wissen die medizinische Behandlung infiltriert“, betont Kreienberg. Die AWMF fordert Forscher, medizinische Fakultäten, medizinische Verlage und die Bundesregierung auf, Maßnahmen gegen Fehlsteuerungen zu ergreifen.

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) bündelt die Interessen der medizinischen Wissenschaft und trägt sie verstärkt nach außen. Sie handelt dabei im Auftrag ihrer 180 medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften.

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