Fluorid im Salz schmeckt nicht jedem
Herr Dr. Jordan,kann man sich mit fluoridiertem Speisesalz vergiften?
Dr. Andreas Rainer Jordan:Das ist praktisch ausgeschlossen. Die akuttoxische Dosis für Fluorid liegt bei 5 mg/ Kilogramm Körpergewicht. Ein sechsjähriges Kind, das durchschnittlich 21,5 kg wiegt, müsste rund 350 g Salz essen, was gar nicht möglich ist. Übrigens liegt die Letaldosis für Kochsalz bei einem Kind diesen Alters bei 15-20 g. Ein Erwachsener mit 75 kg Körpergewicht müsste übrigens 1,2 Kilo Salz aufnehmen.
Und wirdfluoridiertes Speisesalz flächendeckend in der Schul- und Kitaküche verwendet?
Gar nicht, was etwas bedauerlich ist. In Schulen, Kindergärten, Gemeinschaftskantinen, Krankenhäusern und Pflegeheimen ist der Einsatz von fluoridiertem Speisesalz praktisch kaum möglich, da die Hürden der Genehmigung sehr hoch sind. So muss man zum Beispiel sicher stellen, dass für Minderjährige, die an der Verpflegung teilnehmen, eine schriftliche Zustimmung beider Elternteile vorliegen.
Kita könnte eine Fluorid-Grundversorgung leisten - darf sie aber nicht
Auf der einen Seite ist das vor dem Hintergrund eines freiheitlichen Gesellschaftssystems nachvollziehbar. Auf der anderen Seite würde es sich natürlich um eine systematische Grundversorgung an Fluoriden handeln, die zumindest über Kitas und Schulen – unabhängig vom Elternhaus – sichergestellt werden könnte. Denn für Kinder und Jugendliche ist es ja Bedingung, dass überhaupt zu Haus fluoridiertes Speisesalz eingesetzt wird
Was hat man denn dann bisher mit derfluoridierten Speisesalzversorgung erreicht?
Das fluoridierte Speisesalz hat in Deutschland einen Marktanteil zwischen 60 und 70 Prozent, was zeigt, dass es offenbar von der Bevölkerung gut angenommen wird. Es hat sicher auch seinen Beitrag zum enormen Kariesrückgang von 90 Prozent bei Kindern geleistet, den wir von der DMS I im Jahr 1989 bis zur aktuellen DMS V beobachten können. Es ist insofern ein zusätzlicher Baustein zur individual- und Gruppenprophylaxe.
Das fluoridierte Speisesalz würde ich im Rahmen der Kollektivprophylaxe verorten, als Maßnahme, die unabhängig von Zahnarztbesuchen von der Bevölkerung aufgegriffen werden kann. Schließlich erreicht das Salz auch Bevölkerungsgruppen, die nicht regelmäßig zum Zahnarzt gehen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt in ihren zehn Regeln die Verwendung von Fluoridsalz.
###more### ###title### Brot mit fluoridiertem Speisesalz - ist das sinnvoll? ###title### ###more###
Brot mit fluoridiertem Speisesalz - ist das sinnvoll?
Und wie viel Fluoridierung wird empfohlen?
Das ist abhängig vom Alter. Kinder zwischen 0,5 und 2 Jahren sollten nach der aktuellen Leitlinie ein Mal täglich als alleinige Fluoridquelle eine Kinderzahnpasta benutzen. Daneben kann zusätzlich eine systemische Fluoridquelle über das fluoridierte Speisesalz benutzt werden. Ab sechs Jahren können Kinder auf eine Junior- oder Erwachsenenzahnpasta mit deutlich höherem Fluoridgehalt wechseln.
In der Schweiz hat man ja zeitweise Brot mit fluoridiertem Speisesalz gebacken. Wäre das nicht auch für die BRD eine sinnvolle flächendeckende Maßnahme?Der Verkauf von Brot mit Fluoridsalz ist auch in der Schweizlediglich in drei Kantonen möglich. Dort sehen wir allerdings, dass dies die Wirksamkeit der Salzfluoridierung verbessert. Welche Hürden hierfür in Deutschland bestehen, entzieht sich meiner Kenntnis. Möglicherweise findet diese Regelung sogar auf EU-Ebene statt.
Wie wissen sie über eine regelmäßige Fluoridanamnese durch Zahnärzte?
Wir haben im IDZ eine Studie zur kinderzahnärztlichen Versorgung in Deutschland durchgeführt (2013). Da haben wir Zahnärzte befragt, wie sie ihre kinderzahnärztliche Versorgung organisieren. 49,7 Prozent aller Praxen haben angegeben, dass sie regelmäßig Fluoridanamnesen durchführen. Bei Kinderzahnarztpraxen lag der Anteil höher, nämlich bei 59,1 Prozent. Immerhin tut es also jeder zweite, gleichwohl könnte man hier noch nachlegen.
###more### ###title### Kariespräventive Wirkung nachgewiesen ###title### ###more###
Kariespräventive Wirkung nachgewiesen
Welchen Anteil hat denn die Fluoridierung an der Zahngesundheit, wenn man bedenkt, dass fluoridiertes Speisesalz für alle Bevölkerungsschichten zugänglich ist.
Dazu gibt es nicht so viele Studien, weil in den meisten Ländern noch andere Fluoridträger zur Verfügung stehen. Wir haben das in einerStudiein Gambia untersucht. Dort wurde über ein Jahr der Karieszuwachs in einem Kindergarten beobachtet, wo einmal am Tag mit fluoridiertem Speisesalz gekocht wurde. In einem Vergleichskindergarten wurde traditionell unter anderem mit Fischöl gewürzt. Da hat sich gezeigt, dass in der ersten Gruppe der Karieszuwachs bei 1,3 Zähnen lag, während in der Kontrollgruppe der Zuwachs bei 3,8 Zähnen lag. Insgesamt lag die kariespräventive Wirkung in dieser Studie bei 66 Prozent.
Und was kann man aus der DMS V herauslesen?
Während noch in der DMS I/II 4,9 Zähne bei den 13/14--Jährigen eine Karieserfahrung aufwiesen, liegen wir jetzt bei den 12-Jährigen bei 0,5 Zähnen. Das ist nur noch ein Zehntel der Karieserfahrung von damals. Das fluoridierte Speisesalz hat sicher einen Anteil an dieser Entwicklung. Selbst bei den Senioren ist ja ein Kariesrückgang festgestellt worden. Für ältere Menschen, die in stationären Pflegeinrichtungen leben, wäre der Einsatz von fluoridiertem Speisesalz sicher besonders interessant.
###more### ###title### Bürokratische Hürden für fluoridiertes Speisesalz senken ###title### ###more###
Bürokratische Hürden für fluoridiertes Speisesalz senken
In Teilen der DDR und in Basel gab es Projekte zur Trinkwasser-Fluoridierung. Welche Vorteile hatten die und warum hat sich das nicht flächendeckend durchgesetzt?
Bei Kindern konnte man am Beispiel von Chemnitz feststellen, dass der Anteil der kariesfreien Gebisse nach der Trinkwasser-Fluoridierung deutlich gestiegen ist und dass der DMFT gesunken ist. Bei den Milchzähnen ist es zu einer Reduktion der Karies von 40-50 Prozent gekommen. Allerdings haben die Untersuchungen auch gezeigt, dass diese Wirkung in frühen Lebensjahren besonders ausgeprägt ist und sich dann im Erwachsenenalter deutlich abschwächt. Da spielen offenbar weitere Faktoren eine bedeutsamere Rolle. Zudem bin ich nicht sicher, ob man über das Trinkwasser eine ausreichende Menge an Fluorid aufnehmen kann, weil nicht alle Menschen die tägliche Dosis Flüssigkeit allein über das Trinkwasser aus der Leitung konsumieren.
Was würden Sie sich im Hinblick für die Gesunderhaltung von Kinder- und Erwachsenenzähne in punkto Salzfluoridierung für Deutschland noch wünschen?
Aus epidemiologischer Sicht wäre es durchaus wünschenswert, wenn inBildungseinrichtungen fluoridiertes Speisesalz eingesetztwerden könnte. Es müsste aber eben sichergestellt werden, dass man sich freiwillig dafür entscheiden kann. Das ist logistisch schwierig, weil man ja im Grunde das Essen einmal mit und einmal ohne entsprechende Salzzufuhr anbieten müsste.
Eher vorstellen kann ich mir das in Kantinen über die Zusalzung durch Streuer. Eine Kampagne wäre allerdings nur möglich, wenn der Gesetzgeber mitspielt. Denn die Regelungen sind im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch niedergeschrieben.
Die Fragen stellten Sara Friedrich & Susanne Priehn-Küpper
PD Dr. Andreas Rainer Jordan ist ein Mitglied vom zehnköpfigenBeirat der Informationsstelle für Kariesprophylaxe. Sie wurde 1991 auf Initiative des Deutschen Arbeitskreises für Zahnheilkunde (DAZ) gegründet und feiert nun 25-jähriges Jubiläum. Anlass zur Gründung war, dass fluoridiertes Speisesalz ab diesem Zeitpunkt auch in Deutschland vertrieben werden durfte. Damit bot sich Verbrauchern eine weitere Möglichkeit für eine wirkungsvolle Kariesvorbeugung. Um diese einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, wurde vom DAZ die Informationsstelle für Kariesprophylaxe eingerichtet.
Die Informationsstelle für Kariesprophylaxe will einerseits die Bevölkerung erreichen, etwa in Form von Elternbriefen. Andererseits werden Zahnarztpraxen mit Postern und anderen Informationsmaterialien adressiert. Zudem gehen regelmäßig Pressemitteilungen heraus. Frühkindliche Karies ist kein direkter Arbeitsschwerpunkt. Aber über die Verbraucher- und Zahnarztinformationen wird von Anfang an über den Fluoridfahrplan über die empfohlene Fluoridzufuhr informiert. Insofern wirkt sich das auch hinsichtlich der Vermeidung frühkindlicher Karies aus.