Gamification: Rette den Zahn!

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Zahnmedizin
Gamification in der Zahnmedizin ist mehr als just fun. "Protectus" etwa übersetzt den Stand der Kariesforschung in eine Spielmechanik, um Kids zu einer besseren Mundhygiene zu motivieren. Dr. Johan Wölber erzählt, wie das geht.

Warum haben Sie ein Lernspiel für die zahnmedizinische Prävention entwickelt?

Dr. Johan Wölber:Mein erster Kontakt zu Lernspielen war ein Artikel in der "Zeit", in dem über die positiven Auswirkungen eines Spiels für krebskranke Kinder berichtet wurde. Ich war fasziniert von der Verknüpfung eines so ernsten Themas mit einem so spaßvollen Format wie dem Computerspiel. Und dann hatte ich das Glück, dass mein Chef  Elmar Hellwig die Idee unterstützte, so etwas auch für die zahnmedizinische Prävention zu entwickeln.

So sind wir in Kontakt mit Computerspieleexperten wie Prof. Maic Masuch, Dr. Katrin Gerling und Florian Haeckh gekommen und haben uns Konzepte überlegt. Ich finde es zudem reizvoll, die positiven Aspekte von Computerspielen herauszuarbeiten.

Worim sehen Sie die Bedeutsamkeit von Computerspielen zur zahnmedizinischen Prävention?

Wenn man sich Daten zum Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen anschaut, dann hat das Computerspielen einen zentralen Platz im Freizeitverhalten eingenommen. Dies wird derzeit allerdings kaum für präventive Maßnahmen genutzt, sondern hat vermutlich primär neutrale oder negative Konsequenzen auf das Mundhygieneverhalten.

Aus wissenschaftlichen Arbeiten wissen wir jedoch, dass Kinder Lernspiele gleich gerne spielen wie rein kommerzielle Spiele - so lange sie auf dem gleichen Niveau gestaltet sind. Zudem birgt das eine gesellschaftliche Frage, welche Computerspiele wir unsere Kinder spielen lassen wollen.

Wie weit ist die Forschung auf dem Gebiet Oralprophylaxe mithilfe von medialen Kanälen?

Die Forschung hängt da definitiv der Entwicklung hinterher. Es gibt nur wenige Forschungsarbeiten, die aber faszinierende Projekte beschreiben und die vielfältigen Möglichkeiten von Serious Games in der Zahnmedizin aufzeigen. Feste Daten zu Effekten fehlen aber bislang. Ich denke, dass wir in diesem Bereich an der Schwelle zu einer immer größeren Ausprägung der Digitalisierung in der Oralprophylaxe stehen.

Erstmals in der Geschichte bieten Mundhygieneartikelhersteller Motivationshilfen in Form von Smartguides oder Apps für Smartphones an. Wissenschaftliche Arbeiten werden folgen, die die Langfristigkeit solcher extrinsischer Motivationsmethoden beurteilen können.

Was sind die entscheidenden Vorteile digitaler Lernspiele?

Der offensichtlichste Vorteil von Computerspielen ist, dass sie Spaß machen und durch Kinder eigenmotiviert gespielt werden. Das ist bei der Umsetzung der Mundhygiene zumeist nicht der Fall. Wenn es nun gelänge, einen Teil der Motivation vom Spiel in das Mundhygieneverhalten zu transferieren, wäre das eine tolle Sache.

Des Weiteren bieten Computerspiele im Gegensatz zu nicht-interaktiven Videos die Möglichkeit, dass der Spieler aktiv Handlungen übernimmt und dies mit Konsequenzen verknüpft werden kann. Damit lassen sich sowohl Rollenmodelle als auch eigene Erfahrungen zum Lernen und zur Steigerung der Selbstwirksamkeit heranziehen.

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"Attack of the S.mutans"

Konnte eine Steigerung der Motivation bei den Kindern festgestellt werden?

Ich kann derzeit leider noch keine eigenen Daten zum Putzverhalten von Kindern nach Spielen eines oralprophylaktischen Serious Game vorlegen. Mein Neffe Oskar (7 Jahre) war zumindest hoch begeistert von dem Spiel Protectus, was von einerProgrammierergruppe um Florian Haeckhentwickelt wurde.

Aus einer Untersuchung einer US-amerikanischen Arbeitsgruppe um Peter Milgrom zum Spiel „Attack of the S.mutans“ wissen wir, dass die Selbstwirksamkeit bezüglich des Zähneputzens von Kindern gesteigert werden konnte. In eigenen Arbeiten haben wir festgestellt, dass die mundhygienespezifische Selbstwirksamkeit gut mit der eigentlich durchgeführten Mundhygiene korreliert.

Ist auch eine Spiele-Version für Erwachsene geplant?

Nein, bisher nicht. Mit dem Älterwerden der Generationen, die mit Computerspielen aufgewachsen sind, könnte dies aber auch zu einem probaten Mittel werden.

Die Entwicklung eines PC-Spiels ist natürlich auch mit Kosten verbunden. In welchem Bereich liegen die Produktionskosten bis zum Endprodukt?

Das ist leider richtig. Wir hatten vor, das Spiel „Attack of the S. mutans“ von Firsthand Inc. (Seattle, USA) auf eine spielbare Konsole in einer deutscher Sprache zu übertragen, was letztendlich an den hohen veranschlagten Kosten von circa 300.000 Euro gescheitert ist. Kleinere Produkte und Spiele lassen sich aber natürlich viel günstiger herstellen.

Wie schätzen Sie die Entwicklung der Sparte „Serious Games“ im Bereich der Medizin/Zahnmedizin ein?

Ich nehme an, dass wir sehr interessante Projekte in den nächsten Jahren sehen werden. Das ComputerspielRe-Missionfür krebskranke Kinder ist beispielsweise völlig kostenfrei herunterzuladen und hat nachweislich diverse positive Effekte auf den Krankheitsverlauf.

Im Bereich Zahnmedizin nehme ich an, das die Hersteller von Mundhygieneartikeln diesen Bereich noch stärker fokussieren werden. Kleinere Projekte sind aber auch hier und da von Zahnmedizinern initiiert zu finden wie zum Beispiel diePlaybrush.

Wie beeinflusst Ihr Spiel das Putzverhalten der Kinder?

Wir planen derzeit eine randomisierte, kontrollierte, qualitative Studie mit dem Spiel Protectus an Grundschulkindern im Schwarzwald, um zunächst die Auswirkungen auf das Wissen und die Einstellung zur Mundhygiene zu untersuchen. Der zweite Schritt wird dann eine Evaluation des Putzverhaltens sein. Wenn Sie jetzt neugierig geworden sind, können Sie ProtectusProgrammierergruppe um Florian Haeckhspielen!

Dr. Johan Wölber ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie des Universitätsklinikums Freiburg.

Die Fragen stellte Daniela Goldscheck.

Das Spiel Protectus wurde innerhalb von zwei 2 Jahren von dem Entwicklerteam Tajono in enger Zusammenarbeit mit Zahnärzten der Uni-Klinik Freiburg umgesetzt.

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