„Ich wollte überschaubar anfangen und dann bedarfsgerecht wachsen“
Ich habe nie eine Hochglanzpraxis angestrebt, sondern Räume, die eine herzliche Atmosphäre ausstrahlen und zumindest durch den Blick nach draußen mit der Natur verbunden sind. Patienten sind oft überrascht, dass die Räume so gar nicht der Erwartung einer Zahnarztpraxis entsprechen. Mein Vorgänger hat sich nicht nur für Zähne, sondern auch für schöne alte Möbel, wie antike Einzelstücke aus den 1920er Jahren interessiert. Nach der Übernahme meiner neuen Praxis bin ich erst einmal in den laufenden Betrieb gesprungen. Ich habe mir von meinen Mitarbeiterinnen zeigen lassen, wie die Abläufe funktionieren oder was auch vielleicht nicht funktioniert. Dadurch konnten wir uns gut kennen lernen und erfahren, wie jeder tickt.
Ich hatte die Vision, einen Ort zu schaffen, an dem wir im Team den Patienten die Zeit und Aufmerksamkeit zukommen lassen können, die es braucht, um individuelle und qualitativ hochwertige Versorgungen anzubieten. Dabei spielt für mich ein vertrauensvolles Miteinander im Team eine wichtige Rolle. Eine ständige Weiterentwicklung ist möglich, indem wir eine gute Fehlerkultur installieren und das, was wir tun, regelmäßig hinterfragen. Da wir im Studium weder Kommunikations-Skills noch Führungswerkzeuge erwerben, habe ich mich dazu fortgebildet.
Bei der Recherche für den Businessplan war ich echt überrascht, wie viele tolle Praxen es im Umkreis von wenigen Kilometern gab und gibt. Und ich fragte mich damals, ob ich mit meinen Plänen bestehen würde. Meine Strategie war es, erst einmal mit einer Praxis anzufangen, die für mich überschaubar war und nach und nach zu erweitern und Bedarfe anzupassen. Für mich fühlte sich das richtig an. Ob es nicht finanziell fast günstiger gewesen wäre, von Beginn an groß zu planen, weiß ich nicht. Angefangen habe ich mit drei Mitarbeiterinnen. Zwei habe ich damals übernommen und eine weitere mitgebracht. Heute sind wir 14 MitarbeiterInnen an zwei Standorten. Wir sind aktuell drei Zahnärztinnen unterschiedlichen Alters und mit unterschiedlichen Behandlungskonzepten und Schwerpunkten.
Während des Übernahmeprozesses war es mir wichtig, die Patienten darüber zu informieren, wer sie erwartet. Gemeinsam mit meinem Vorgänger habe ich eine Karte an sie geschrieben. Auf der Vorderseite verabschiedete sich mein Vorgänger und bedankte sich, auf der Rückseite stellte ich mich vor. Das gesamte erste Jahr war tatsächlich geprägt vom Kennenlernen der Mitarbeiterinnen und Patienten, zu denen ich Vertrauen und Bindung aufbauen wollte. Dafür wollte ich mir die Zeit nehmen. Im ersten Jahr habe ich mich auch um die Hygiene sowie die Abrechnungssoftware und -hardware gekümmert und alles nach und nach modernisiert.
Da ich die Praxis aufgrund der begrenzten Räume nicht erweitern kann und wir räumlich an unsere Grenzen gestoßen sind, habe ich 2023 einen zweiten Standort aufgebaut. An beiden Standorten gibt es Mitarbeiterinnen, die mich vertreten und entscheiden dürfen. Dadurch sind beide Praxen gut organisiert. Die beiden Praxen sind mit ihren je sieben Mitarbeiterinnen gerade so groß, dass sie noch gut überschaubar sind und viele Abläufe „einfach so funktionieren“ und kleinere Probleme oder Probleme im Praxisablauf direkt untereinander besprochen werden können.
Unterschätzt habe ich den finanziellen Aufwand an Ersatzinvestitionen nach der Übernahme. Bei der zweiten Praxis haben wir das berücksichtigt. Die notwendigen Kündigungen von Mitarbeitenden sind mir anfangs schwergefallen und nahegegangen. Heute weiß ich, dass man sich manchmal von Mitarbeitenden trennen muss, um ein dauerhaft funktionierendes Team zu erhalten. Unterschätzt habe ich auch, wie häufig Absprachen, das Besprechen von Zuständigkeiten und Abläufen wiederholt werden müssen, bis sie wirklich allen vertraut sind und routinemäßig angewendet werden. Heute weiß ich, dass das normal ist und das zwischenzeitliche Vergessen Teil des Lernprozesses ist. Meine Aufgabe ist es, die nächste Lernkurve anzuregen.
Das sagt die Personalexpertin
Was ist relevant bei der Einnahme und der Entwicklung der eigenen Führungsrolle?
Es ist wichtig zu wissen, dass die Persönlichkeitsentwicklung in der Führung nie endet. Wir starten mit einer idealisierten Vorstellung von Führung: „Ich möchte es so machen wie XY“ oder „Ich möchte auf keinen Fall werden wie XY“. Grundsätzlich ist es vorteilhaft, eine ideale Führungsperson im Kopf zu haben, die uns eine grobe Richtung vorgibt. Meine Reflexionsfrage in den Workshops zur Führungspersönlichkeit lautet daher: „Wer war die beste Führungskraft für dich und was hat sie in dir ausgelöst?“
Das ist aus zwei Gründen sinnvoll: Erstens bringt es uns sofort aus dem Gefühl heraus und versetzt uns in einen sogenannten dissoziierten Zustand. Dadurch sind wir weniger gefährdet, impulsiv aus dem Gefühl heraus zu handeln, was selten gut ist. Zweitens kennen wir diese Person gut, haben eine eigene Antwort auf diese Frage und damit möglicherweise auch eine gute Strategie an der Hand. Ich würde regelmäßige Führungs-Coachings und -Sparrings empfehlen. Entweder mit einem externen Coach oder im Kollegenkreis. Die externe Rolle bietet die Möglichkeit, eine ehrliche und zielorientierte Einschätzung zu erhalten und unseren Blick auf Dinge zu lenken, die wir selbst in unserem eigenen System gar nicht sehen können.
Ist es sinnvoll ab einer bestimmten Praxisgröße eine Praxis-Managerin einzustellen?
Ich empfehle tatsächlich seltener, eine einzelne Managerin einzusetzen und das hat mehrere Gründe. Wir sind schnell von einer Einzelperson abhängig und das ist für die Praxisinhaber immer auch eine Gefahr, da beispielsweise ein Wissensmonopol entsteht. Daher sehe ich Management eher als eine Leitungs-Teamaufgabe: Eine Praxismanagerin und mehrere Teamleiter – je Bereich, die eine Großpraxis effektiv und effizient mitführen können.
Solche Rollen darf man nicht einfach benennen, wichtig ist eine Rollenimplementierung mit klarer Struktur, klar niedergelegten Erwartungen an die Haltung und definierten Entscheidungsspielräumen, so wie Frau Walkenbach es umgesetzt hat. Wenn der Leitungskreis in der Haltung struggelt, kann das auch schädlich sein für eine Praxis. Deswegen ist es sehr wichtig, das Leitungsteam eng und nah zu führen.
Wilma Mildner, Mildner Consulting, Bretten
Mein Fazit: Mir ist wichtig, immer ein offenes Ohr für alle Belange zu haben. Gemeinsam schauen wir dann, wie wir die Dinge verbessern können, damit alle zufrieden sind. Oft gibt es wirklich gute Ideen aus dem Team. Meiner Erfahrung nach werden die Vorschläge, die von den Mitarbeiterinnen direkt kommen, auch viel besser umgesetzt. Wenn etwas mal nicht so ganz reibungslos läuft oder sich als komplizierter als gedacht herausstellt, ist es befreiend zu wissen, dass es für alles eine Lösung gibt.
Ich kann jungen Kollegen nur empfehlen, sich Gedanken über ihre langfristigen Ziele zu machen. Das ist anstrengend und dauert. Aber es setzt viel Energie frei und schafft Motivation für das Erreichen kleinerer Ziele. Eine weitere Empfehlung ist, Verbündete zu suchen und Gruppen mit ähnlichen Interessen oder Zielen für einen konstruktiven Austausch zu bilden.




