Studie

Implantologen in der Genderfalle

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Warum gibt es überall mehr Zahnärztinnen, nur nicht in der Implantologie? Dr. Peter Gehrke aus Ludwigshafen hat mit Angela Boll, Hamburg, die implantologische Profession aus der Genderperspektive untersucht. Wir haben nachgefragt.

Herr Dr. Gehrke, zum Einstieg einmal salopp gefragt: Ist ein Mädchen, das mit der Bohrmaschine sozialisiert wird, gut gewappnet für eine chirurgische Tätigkeit?

Dr. Peter Gehrke:Ich glaube, so einfach funktioniert das nicht (lacht). Die Sozialisierung eines jungen Mädchens mit der Bohrmaschine allein wappnet es nicht automatisch für eine chirurgische Tätigkeit. Jedoch prägen geschlechtspezifische Erziehungsmuster offensichtlich die spätere Berufswahl von uns allen.

Wie sehr anerzogene Geschlechterrollen unser Verhalten beeinflussen, zeigen die Ergebnisse unserer Studie in Bezug auf die handwerklichen Tätigkeiten, die in der Kindheit, Jugend oder im frühen Erwachsenenalter ausprobiert und erlernt wurden.

Nur 33 Prozent der befragten Zahnärztinnen hatten in ihrer Kindheit oder Jugend eine Bohrmaschine bedient, während dies für 76 Prozent der Männer zum selbstverständlichen Alltag ihres Erwachsenwerdens gehörte. Ebenso hatten 68 Prozent der Männer und nur 23 Prozent der Frauen Fahrräder repariert oder Reifen am Auto gewechselt. Geschlechterstereotype scheinen männliches und weibliches Handeln in vielen Bereichen und Phasen des Lebens zu beeinflussen, so auch in der Implantologie.

Welche Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?

Unsere Studienergebnisse bestätigen eindrücklich, dass die Ursachen für das bestehende Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen in der Implantologie vornehmlich im gelebten und anerzogenen Frauenbild der Gesellschaft liegen. Offenbar besteht für Frauen mit Interesse an einer implantologischen Praxis- beziehungsweise Kliniktätigkeit eine veritable Herausforderung, Familienplanung und berufliche Karriereorientierung zu vereinen.

Es scheint weiterhin ein traditionell geschlechterspezifisches Beschäftigungsmuster in der Zahnmedizin zu existieren, das nur langsam von den quantitativen Zuwächsen berufstätiger Frauen verändert wird. Heute sind nahezu zwei Drittel der Studierenden im ersten Fachsemester Zahnmedizin weiblich. Mit dem zahnärztlichen Berufseintritt setzen jedoch Segregationsprozesse ein.

So verteilen sich die Geschlechter nicht gleichmäßig auf alle Fachzahnarztgebiete (horizontale Segregation), sondern es gibt Fachgebiete mit einem sehr geringen Frauenanteil, wie etwa die Oralchirurgie und Implantologie. Andere Fachgebiete weisen wiederum einen überproportionalen Frauenanteil auf, wie etwa die Kinderzahnheilkunde.

Dass tradierte Geschlechtergrenzen dennoch in Bewegung sind, zeigen aktuelle Mitgliederzahlen der DGI, in denen das Durchschnittsalter der neu aufgenommenen Mitglieder bei 35 Jahren liegt und ein Drittel aller Neuaufnahmen weibliche Mitglieder sind.

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"Frauen haben eine schlechte Berufsbiografie!"

Frauen haben heute eine hervorragende Bildungs-, aber eine vergleichsweise schlechte Berufsbiografie. Gesellschaftlich gefordert wird heutzutage von Frauen - in vielleicht widersprüchlicher Weise - sowohl berufliche Leistung als auch familiäres Engagement: Das heißt beruflich karriereorientiert vorzugehen und gleichzeitig die Familie zu managen. Dieser „Motiv-Mix“ kann dazu beitragen, dass Berufsbiografien bei Frauen weniger zielgerichtet, weniger kontinuierlich und weniger karriereorientiert ablaufen, als das bei Männern der Fall ist.

Speziell auf den Fachbereich Implantologie bezogen kommt hinzu, dass es sich - vom Studenten zum ausgebildeten implantologischen Experten - um eine zeitaufwendige postgraduierte Ausbildung handelt. Lebenssphären von Beruf und Familie könnten hierbei besonders für Frauen schwerer vereinbar sein und zu einer Demotivierung führen.

Kinderverzicht als Ausweg?

Eine Erkenntnis, die wir auffällig finden: Ihre befragten Männer glauben viel eher als Ihre befragten Frauen, dass es die Scheu vor der Chirurgie ist, die Zahnärztinnen vom Implantieren abhält.  Was sagen Sie denn dazu?

Ja, das ist ein besonders interessantes Phänomen. Es zeigte sich, dass alle befragten Implantologen, Frauen und Männer, in gleichem Maße Spaß an den technischen/ chirurgischen Herausforderungen der Implantattherapie haben. Die männlichen Kollegen schienen jedoch viel häufiger in herkömmlichen Klischees zu denken: Frauen hätten Scheu oder Angst und trauen sich dadurch weniger zu.

Dieses tradierte Geschlechterdenken kann zu der fälschlichen Annahme verleiten, dass Weiblichkeit und eine chirurgisch-implantologische Karriere nicht kompatibel seien. Der Konflikt zwischen Familienplanung und beruflicher Karriereorientierung scheint für Frauen in der Implantologie jedoch viel ausschlaggebender zu sein.

###more### ###title### Implantologinnen: Warum sie sich oft gegen klassische Rollenbilder entscheiden ###title### ###more###

Implantologinnen: Warum sie sich oft gegen klassische Rollenbilder entscheiden

Für die komplexe implantologische Ausbildung und die hohe Technik- und Trainingsintensität des Fachs ist die zu erwartende Diskontinuität im Karriereweg der „Mutter“ nicht förderlich. Dieser nicht zu unterschätzende Konflikt kann dazu führen, dass sich Frauen mit implantologischem Interesse gezielt gegen klassische Partner- und Familienbilder entscheiden. Bei den befragten Zahnärztinnen unserer Studie waren im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen etwa doppelt so viele implantologisch tätige Frauen ledig.

Eher umgekehrt stellte sich die Verteilung der geschlossenen Ehen der Implantologen und Implantologinnen dar. In den Ehen hatten nur 40 Prozent der Männer aber 89 Prozent der Frauen eine(n) voll berufstätige(n) Partner(in). Mehr als die Hälfte der implantologisch tätigen Männer hatte eine teilweise, geringfügig oder gar nicht beschäftigte Partnerin, während die Partner der Implantologinnen häufig in beruflichen Führungspositionen mit hoher Qualifikation tätig waren.

Implantologisch tätige Zahnärztinnen leben deutlich seltener in klassischen Familienstrukturen. Die zeitintensive implantologische Weiterbildung sowie Ausübung des Faches konkurriert in diesen Fällen mit familiären Verpflichtungen. Eine Form der „Konfliktprophylaxe“ scheint der völlige Kinderverzicht.

Wird es demnächst eine Unterversorgung an gut ausgebildeten Implantologen geben? 

Nein, ganz im Gegenteil. Die Ausbildungsqualität und -vielfalt in der Implantologie ist Dank der curriculären und postgraduierten Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten ausgezeichnet. Jedoch zeigt sich bei der Spezialisierung im Fachbereich Implantologie eine deutliche Disparität zulasten der Frauen.

Vor dem Hintergrund, dass das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) prognostiziert, dass die Anzahl behandelnd tätiger Zahnärzte 2030 bei 61.282 liegt, davon 24.820 Männer und 36.462 Frauen, wäre es für das Fach Implantologie eine unzureichende Entwicklung, bliebe es ein Männerfach.

Im Sinne einer langfristigen und nachhaltigen Qualitäts- und Effizienzsteigerung scheint es angemessen und notwendig, die Belange von Zahnärztinnen innerhalb des implantologischen Fachgebiets zu erkennen und perspektivisch zu berücksichtigen. 

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Eine Lösung: Mentorinnen für Studentinnen

Welche Anreizmodelle erscheinen sinnvoll, um Zahnärztinnen frühzeitig für die Implantologie zu gewinnen?  

Wichtig sind die frühzeitige Integration der implantologischen Lehre in das Zahnmedizinstudium, aber auch Mentorenprogramme erfolgreicher Implantologinnen und Mütter, die eine Beratungs- und Vorbildfunktion für Frauen einnehmen und Hilfestellung bei strategischen Karrierelaufbahnplanungen sowie in beruflichen Entscheidungs- und Konfliktsituationen leisten könnten.

Können Sie aus Ihren gewonnenen Ergebnissen auch Rückschlüsse für die Lehre ziehen?  Um mehr Universitätsabsolventinnen für die Implantologie zu gewinnen, sollten frühzeitig studienrelevante, strukturierte, implantologische Lehrinhalte praktischer und theoretischer Art innerhalb der zahnärztlichen Ausbildung angeboten werden. Diese Maßnahmen wurden bei unserer Befragung signifikant stärker von Frauen gefordert als von Männern. In diesem Zusammenhang wünschen sich Frauen auch ein vermehrtes und frühes Angebot an OP-Supervisionen und kollegialen Netzwerken.

Die Fragen stellte Sara Friedrich.

Angela Boll hat Ihre Masterarbeit über diese Studie verfasst. Diese wurde von Dentista mit dem Wissenschaftspreis ausgezeichnet.

Originalarbeit: A. Boll, P. Gehrke: Die implantologische Profession in der Genderperspektive: Chancen und Karrierewege, DOI10.3238/ZZI.2014.0267–0287

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