Studie zu Arbeitsbedingungen in Medizinischen Versorgungszentren

In MVZ wird selten nach Tarif bezahlt

von ck
Politik
Immerhin sind die Arbeitsbedingungen in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gut, heißt es gerne, wenn es um die Verwerfungen von Private Equity in der Branche geht. Ein Trugschluss, wie eine neue von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie belegt.

Private Investoren im Gesundheitswesen trimmen MVZ auf maximalen Gewinn und verkaufen sie nach kurzer Zeit weiter. Diesen Druck spüren auch die Beschäftigten: „Der Kostendruck wirkt sich negativ auf die Arbeitsbedingungen sowie die Vergütung der Beschäftigten in MVZ aus“, resümieren Katharina Schöneberg und Dr. Katrin Vitols vom Beratungsunternehmen wmp consult. Die Forscherinnen haben für die Hans-Böckler-Stiftung die Struktur und die wirtschaftliche Entwicklung der Branche analysiert und untersucht, wie es den Beschäftigten in MVZ geht. Dafür werteten sie aktuelle Statistiken und Literatur aus, führten Interviews mit Experten und befragten Beschäftigte sowie ihre Interessenvertretungen. Insgesamt sprachen sie mit knapp 100 Personen.

Offizielle Angaben darüber, wie viele Beschäftigte insgesamt in MVZ tätig sind, liegen demnach nicht vor. Die Autorinnen verweisen jedoch auf Erhebungen, wonach in einem MVZ im Mittel etwa 8 Medizinerinnen und Mediziner sowie 14 Beschäftigte des nichtärztlichen medizinischen Bereichs arbeiten.

Die Situation der Beschäftigten ist der Studie zufolge vielfach angespannt. Bei den Arbeitsbedingungen und der empfundenen Belastung gibt es demnach aber große Unterschiede: "Angestellte Ärztinnen und Ärzte profitieren zum Teil davon, dass sie im Vergleich zur Freiberuflichkeit weniger mit Bürokratie zu tun haben, kein unternehmerisches Risiko tragen und ihre Arbeitszeiten flexibler gestalten können", schreiben die Autorinnen. Demgegenüber klagen Befragte aus dem nichtärztlichen Bereich häufiger über eine schlechte Bezahlung, fassen sie das Stimmungsbild von mehreren Dutzend befragten Beschäftigten zusammen. Oft verdienten die Beschäftigten weniger als bei einer vergleichbaren Tätigkeit im Krankenhaus. Nur selten werde nach Tarif bezahlt – selbst wenn das MVZ einem Krankenhaus gehört und dort ein Tarifvertrag gilt.

Zeitdruck und Arbeitsverdichtung: Work-Life-Balance ist anders

Zudem berichteten die Angestellten über hohe emotionale und körperliche Belastungen, wachsenden Zeitdruck, Arbeitsverdichtung und eine Zunahme der Arbeit insgesamt. Hinzu komme, dass sie häufig Überstunden leisten müssen und der Wunsch nach Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben trotz Teilzeitarbeit nicht immer erfüllt wird.

Die Tätigkeiten im Beruf und die Anforderungen an die Qualifikation haben sich aus Sicht der Befragten in den vergangenen Jahren verändert und vielfach erweitert. So würde man aufgrund von Personalmangel teilweise in verschiedenen Fachbereichen eingesetzt, die unterschiedliche Kenntnisse erfordern, ohne dass es eine Fort- oder Weiterbildung gegeben hätte. In der Folge sei vielfach eine verstärkte Abwanderung von Fachkräften aus den MVZ zu beobachten, schreiben die Forscherinnen. Insbesondere im medizinisch-technischen Dienst herrsche Fachkräftemangel: „Die hohe Fluktuation ist einerseits Resultat der geringen Vergütung, andererseits wird sie auch durch fehlende Entwicklungsmöglichkeiten und Karrierechancen in MVZ verstärkt.“

Im Übrigen werde die zunehmende Digitalisierung im Gesundheitswesen von den Beschäftigten häufig nicht als Erleichterung empfunden. Vielmehr habe sie eher negative Folgen wie die Zunahme der Komplexität der Arbeit, die Entwertung von Erfahrungswissen und den Verlust von Autonomie.

Mitbestimmung gibt es selten

"Arbeitnehmervertretungen gibt es in den MVZ bislang nur selten", bilanzieren die Wissenschaftlerinnen. Für die im Rahmen der Studie befragten Vertreter spielten die Themen Arbeitszeit und Dienstplanung, Entgelt, betriebliches Eingliederungsmanagement und Gefährdungsbeurteilungen allerdings eine wichtige Rolle. Die Einhaltung der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte werde überwiegend als „mittelmäßig“ beschrieben.

Die Interessenvertretungen gaben dabei an, häufig keine ausreichenden oder rechtzeitigen Informationen von der Unternehmensleitung zu erhalten. Die betriebliche und überbetriebliche Mitbestimmung wird aus ihrer Sicht dadurch erschwert, dass MVZ zunehmend in größere Konzerne eingebunden sind. Auch wenn die Kommunikation mit der lokalen Geschäftsführung positiv bewertet wird, fehle es häufig an Einflussmöglichkeiten auf höhere Unternehmensebenen.

Wie die Finanzinvestoren vorgehen

Seit ihrer Einführung im Jahr 2004 ist die Zahl der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) kontinuierlich gestiegen. Waren es im ersten Jahr 70, so gab es Ende 2020 bereits über 3.800. Ende 2020 waren dort knapp 24.000 Ärztinnen und Ärzte tätig. MVZ gehören – anders als Arztpraxen oder Praxisgemeinschaften – nicht zwangsläufig Medizinern. Sie werden von Krankenhäusern, Praxisnetzwerken, gemeinnützigen Trägern oder Kommunen gegründet. In den vergangenen Jahren ist ein zunehmender Konzentrationsprozess zu beobachten: Einzelne MVZ werden aufgekauft und zu Ketten zusammengeschlossen. Treiber dieser Entwicklung sind internationale Finanzinvestoren wie Private-Equity-Gesellschaften, aber auch private Kliniken und börsennotierte Gesundheitskonzerne. Speziell die Finanzinvestoren zielen darauf ab, mehrere MVZ aufzukaufen, zu verschmelzen und nach vier bis fünf Jahren wieder zu veräußern oder an die Börse zu bringen. Um den Gewinn zu steigern, orientieren sie sich an betriebswirtschaftlichen Kennzahlen: Kosten müssen gesenkt, Erlöse gesteigert werden. Zwar dürfen heute nur noch zugelassene Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und andere anerkannte Träger ein MVZ gründen. Finanzinvestoren umgehen diese Vorgabe jedoch, indem sie – teils über verschachtelte Tochtergesellschaften – kleinere Krankenhäuser aufkaufen. Dabei bevorzugen sie Fachrichtungen, die als besonders lukrativ gelten, wie Zahnmedizin, Radiologie, Kardiologie, Orthopädie und Allgemeinmedizin. Die gesamte Anzahl der MVZ in Private-Equity-Besitz kann aufgrund fehlender Daten zu den Eigentümerstrukturen nur näherungsweise bestimmt werden. Schätzungen gehen für das Jahr 2020 von knapp 1.000 Standorten aus, davon etwa 200 für Zahnmedizin.

„In Anbetracht einer angestrebten Ambulantisierung der medizinischen Versorgung in Deutschland werden MVZ als Teil der ambulanten Versorgung von wachsender Bedeutung sein“, folgern Schöneberg und Vitols. Die Entwicklung hänge stark von rechtlichen Rahmenbedingungen und gesundheitspolitischen Entscheidungen ab. Insgesamt sei aber mit einem weiteren Wachstum der MVZ und auch der Zahl der Beschäftigten zu rechnen. Angesichts der zunehmenden Belastungen komme der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Vergütung eine besondere Bedeutung zu, um neues Personal zu gewinnen und der Abwanderung von Fachkräften entgegenzuwirken.

Katharina Schöneberg, Katrin Vitols: Branchenanalyse Medizinische Versorgungszentren: Strukturen, wirtschaftliche Trends, Arbeit und Beschäftigung in der ambulanten medizinischen Versorgung, Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 288, Mai 2023.

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