Internetsucht trifft Alte und Junge
"Die meisten User, die mich kontaktieren, sind im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, mindestens die Hälfte davon Frauen", sagte Suchttherapeut Benjamin Wockenfuß. Das widerspricht der bisherigen Einschätzung der Forschung, dass überwiegend männliche Jugendliche und junge Erwachsene betroffen seien. Laut einer Studie des Bundesverbands interaktiver Unterhaltungssoftware sind zudem ein Fünftel der Nutzer digitaler Spiele mindestens 50 Jahre, weitere 17 Prozent zwischen 40 und 49 Jahre alt.
Wockenfuß (32) leitet das Selbsthilfeprojekt"webC@RE"bei der hessischen Landesstelle für Suchtfragen. Das von der Techniker Krankenkasse geförderte Portal ist von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung ausgezeichnet worden.
Kritisch wird es ab 30 Stunden pro Woche
Experten gehen von mindestens 600.000 Internetsüchtigen in Deutschland aus, Tendenz steigend. Genaue Kriterien fehlen aber. Wer außerhalb von Schule, Studium und Beruf rund 30 Stunden in der Woche vor dem Computer, Tablet und Smartphone sitzt, gilt in Fachkreisen als abhängig, wie Wockenfuß erläutert. Die weit verbreitete Annahme, dass sich Männer vor allem in Rollenspielen verlören und Frauen in sozialen Netzwerken, sei ebenfalls nicht zu halten, sagt Wockenfuß.
Viele vor allem ältere Nutzer seien exzessiv in Plattformen wie Wikipedia und YouTube unterwegs. "Viele Menschen bauen im Internet Stress ab, verlieren dabei aber den Kontakt zu sich selbst", beschreibt der Fachmann die Gefahr. Internetsüchtige schafften sich meist in der virtuellen Welt eine Oase, in der sie keine Enttäuschung erlebten und sich von der Dynamik der Gesellschaft nicht überfordert fühlten. Häufig schwinge "eine narzisstische Persönlichkeitsfärbung" mit.
Internetsüchtige können sich unter der Adresse www.hls-webcare.org im Chat über ihre Abhängigkeit austauschen, Informationen finden und einen Test machen. Das Projekt unterstützt auch Menschen, die unsicher sind, ob ihr Internetverhalten problematisch ist.