Kann Spezialisierung Menschenleben retten?
Werden komplizierte medizinische Behandlungen ausschließlich in dafür spezialisierten Kliniken durchgeführt, verbessert sich die Versorgungsqualität und häufig auch die Wahrscheinlichkeit mehr Leben zu retten, etwa bei Schlaganfällen und Krebserkrankungen. Das geht aus einer Stellungnahme („Potenzanalyse“) der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausreform hervor. Anhand von Fallbeispielen hat diese untersucht, wie sich Spezialisierung und Erfahrung auf den Erfolg der Krankenhausbehandlung auswirken. Für die Analyse wurden relevante Krankheiten und Eingriffe ausgewählt, für die ausreichend Daten und Studien zur Verfügung stehen, so etwa Krebs und Schlaganfall.
Würden alle Krebspatienten zur Erstbehandlung in zertifizierten Zentren versorgt, könnten pro Jahr 20.404 Lebensjahre gerettet werden, so die Analyse. Brustkrebspatientinnen hätten einen fast 25 Prozent höheren Überlebensvorteil bei Erstbehandlung in einem zertifizierten Zentrum. Allein beim Brustkrebs könnten jährlich rund 3.800 Lebensjahre gewonnen werden, würden alle Frauen in zertifizierten Brustkrebszentren behandelt, heißt es. In der bestehenden Krankenhausstruktur könnte eine bessere Versorgungsqualität geschaffen werden. Über die Hälfte der Bevölkerung erreiche zum Beispiel ein zertifiziertes Darm- oder Brustkrebszentrum vom eigenen Wohnort in deutlich unter 20 Minuten.
Der Weg bis zur nächsten Stroke-Unit ist nur zwei Minuten länger
Ferner wurde das Thema Schlaganfall behandelt. Würden alle Patienten nach einem Schlaganfall in einem Krankenhaus mit Stroke-Unit behandelt werden, könnten zusätzlich rund 5.000 Menschen den Schlaganfall im ersten Jahr überleben, hebt die Analyse hervor. Und würden Schlaganfall-Patienten nur noch in Kliniken mit Stroke-Units gebracht, würde sich die durchschnittliche Fahrzeit insgesamt um nicht einmal zwei Minuten verlängern.
Die Grundlage der Studie bildeten Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung, Daten aus den Qualitätsberichten der Krankenhäuser sowie Daten von medizinischen Registern und Fachgesellschaften. Die Analysen wurden unterstützt durch eine Kooperation mit dem GKV-Spitzenverband (GKV-SV), dem AOK Bundesverband und dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO). Berücksichtigt wurden bei der Analyse die Strukturqualität und die Erreichbarkeit der Häuser.
Krankenhausgesellschaft hält Auswertung für unwissenschaftlich
In ihrer Reaktion bezeichnete die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) die Analyse als wissenschaftlich zweifelhaft. Der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß erklärte dazu: Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bestellte Auswertung von Abrechnungsdaten zur Qualitätsbewertung markiere einen neuen Tiefpunkt in der politischen Debatte um die Zukunft der Krankenhausversorgung in Deutschland.
Krankenhäuser beteiligten sich seit vielen Jahren freiwillig und trotz fehlender Refinanzierung gerade im Bereich der Krebstherapie mit großem Engagement an Qualitätssicherungsmaßnahmen und Zertifizierungen. Aus unwissenschaftlichen Analysen abgeleitete plakative Aussagen über vermeidbare Todesfälle bei Krebspatienten und Schlaganfällen seien kein konstruktiver Beitrag zu einer sachlichen politischen Debatte, sagte Gaß weiter. Die Analyse bezeichnete er als „zu schlicht und fernab jeder wissenschaftlichen medizinischen Erkenntnis.“
Für Donnerstag, den 28. Juni, ist eine weitere Bund-Länder-Runde zur Klinikreform angesetzt, bei der die Eckpunkte der Reform noch vor der Sommerpause festgezurrt werden sollen.