Kaum Aussicht auf Anerkennung einer Berufskrankheit wegen Quecksilber
Die 1948 geborene Klägerin hatte von 1965 bis 1967 den Beruf der Zahnarzthelferin erlernt. Danach arbeitete sie mit einer nur kurzen Unterbrechung bis 1995 bei verschiedenen Zahnarztpraxen in Brandenburg. Seit 2010 bezieht sie eine Altersrente für Schwerbehinderte. Grund sind zahlreiche Erkrankungen, darunter eine Polyneuropathie. Hierfür macht die ZFA ihren beruflichen Kontakt mit quecksilberhaltigem Amalgam verantwortlich. Ein Bluttest ergab einen Quecksilbergehalt von 0,1 Mikrogramm je Liter. 2012 zeigte sie bei der Berufsgenossenschaft eine Berufskrankheit an. Doch die Berufsgenossenschaft erkannte dies nicht an.
Referenzwert für Quecksilbergehalt im Blut nicht überschritten
Es sei nicht nachgewiesen, dass die Polyneuropathie durch den beruflichen Kontakt mit Quecksilber ausgelöst wurde. Der Blutwert liege klar unter dem „Referenzwert“ von zwei Mikrogramm je Liter und sei daher „normgerecht“, argumentierte die Berufsgenossenschaft. Nachdem auch ein späterer Überprüfungsantrag ohne Erfolg blieb, zog die ZFA vor Gericht. Doch wie schon das Sozialgericht wies nun auch das LSG Potsdam die Klage ab.
Zwar seien „Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen“ in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden. Dies führe aber nicht zu einem Automatismus. Die Aufnahme in die Liste bedeute nur, dass eine Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt werden kann, wenn Arbeitnehmer nachweisen, dass sie einer besonders hohen Quecksilberbelastung ausgesetzt waren. Die berufliche Quecksilberbelastung müsse „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ als Ursache für die Erkrankung feststehen.
Arbeitsbedingungen aus den 70er Jahren können nicht mehr ermittelt werden
Zwar habe die ZFA seit 1965 Kontakt mit Amalgam und damit auch mit Quecksilber gehabt. Die Belastung sei aber nicht so hoch gewesen, dass dies zweifelsfrei als Ursache für die Polyneuropathie gelten kann. Denn ab 1970 habe sich die Verarbeitungstechnik in den Praxen erheblich verbessert. Der Schichtmittelwert und auch die anzunehmenden Kurzzeitbelastungen hätten daher unter den für Gefahrstoffe geltenden Grenzen gelegen. In den 1980er Jahren seien in Deutschland, Schweden und der Schweiz Quecksilberbelastungen von höchstens drei Mikrogramm je Kubikmeter Luft gemessen worden. Unfälle mit verschüttetem Quecksilber seien dabei schon berücksichtigt.
Dass die Belastung der Klägerin höher war als in Zahnarztpraxen üblich, sei nicht feststellbar. Messungen seien nachträglich nicht möglich, so das LSG. Und auch ihre konkreten Arbeitsbedingungen seien nicht mehr zu ermitteln. Auch die heutigen Messwerte im Blut und Urin der Klägerin deuteten nicht auf eine besonders hohe Belastung hin. Das LSG räumte ein, dass es für die Zeit von 1965 bis 1970 keine Messungen der Quecksilberbelastung in Zahnarztpraxen gibt. Auch dies lasse sich nun aber nicht mehr nachholen und gehe daher zulasten der beweispflichtigen Klägerin.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 21. Januar 2022
Az.: L 21 U 69/16