Kein Deutsch, kein Herz?
Darf man einem Menschen wegen mangelnder Sprachkenntnisse eine lebensrettende Herztransplantation verweigern? Die Ärzte des Herz- und Diabeteszentrums in Bad Oeynhausen (HDZ) haben diese Frage zumindest teilweise bejaht und Hassan Rashow-Hussein im Frühjahr 2010 nicht auf die Warteliste für Spenderorgane gesetzt.
Zweifel an Umsetzung der Behandlung
Wegen gravierender Verständigungsprobleme sei zweifelhaft, ob der Patient aus dem Irak die ärztlichen Vorgaben für die Vor- und Nachbehandlung verstehen und konsequent umsetzen würde, hieß es. Nach den einschlägigen Richtlinien kann eine solche Compliance erwartet werden. Der 62-Jährige erfülle damit nicht die nötigen Voraussetzungen für eine Transplantation, begründeten die Mediziner ihre Entscheidung.
"Falsche Hoffnungen"
Doch Rashow-Hussein wollte diese Entscheidung nicht akzeptieren. Der Iraker verklagte die Klinik. Er verlangt ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro. Nun muss das Landgericht Bielefeld entscheiden. "Sie haben mir Hoffnungen gemacht und mich am Ende fallen lassen. Ich finde, dass ich von dem Krankenhaus menschlich und gesundheitlich im Stich gelassen worden bin", teilt Rashow-Hussein schriftlich über seinen Anwalt mit.
In 13 Jahren kein Deutsch gelernt
Interviews gibt er angesichts des gerichtlichen Verfahrens im Moment keine. Am 20. Dezember beginnt der Prozess. Vor über 13 Jahren ist Hassan Rashow-Hussein aus dem Irak nach Deutschland geflohen. Er ist Jeside, also Mitglied einer Religionsgemeinschaft, die im Irak bis heute immer wieder Gewalt und Verfolgung ausgesetzt ist. Inzwischen lebt er mit seiner Familie im niedersächsischen Peine. Die deutsche Sprache hat er in dieser langen Zeit allerdings nicht gelernt.
Tödliche Missverständnisse
"Es muss sichergestellt sein, dass der Patient nach der Transplantation jederzeit Anweisungen, Ratschläge und Aufklärung von Ärzten und Pflegepersonal in die Tat umsetzen kann", sagt der Leiter der Herzchirurgie am Herz- und Diabeteszentrums HDZ, Jan Gummert. Denn Missverständnisse könnten im schlimmsten Fall tödliche Konsequenzen haben. Die HDZ-Ärzte berufen sich auf Richtlinien der Bundesärztekammer.
Dort heißt es, dass auch sprachliche Schwierigkeiten eine mangelnde Compliance und damit eine Nichtaufnahme auf die Warteliste bedeuten können. Der 36-jährige Anwalt Cahit Tolan vertritt Rashow-Hussein vor Gericht. "Die Voraussetzungen der Compliance dürfen überhaupt nicht auf sprachliche Schwierigkeiten zurückgeführt werden", sagt er. Im Februar dieses Jahres erstritten er und sein Mandant vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Prozesskostenhilfe. Denn für eine Klage hatte Rashow-Hussein nicht genug Geld.
Inzwischen in Behandlung
Um den Platz auf der Warteliste geht es bei der Verhandlung in Bielefeld allerdings nicht mehr. Wenige Wochen nach der Ablehnung aus Bad Oeynhausen nehmen die Ärzte der Uniklinik Münster Rashow-Hussein auf die Liste und behandeln ihn seither. Warum sie die Lage anders als ihre Kollegen in Bad Oeynhausen einschätzen und wie sie die Sprachprobleme überwinden wollen, dazu will die Klinik in Münster nichts sagen und verweist auf das schwebende Verfahren.