Mundhöhlenkarzinome erforschen mit Stipendium
Seit 2005 vergibt die Walter und Anna Körner-Stiftung jährlich ein Stipendium an wissenschaftliche Mitarbeiter des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZZMK) des Universitätsklinkums Tübingen. Es ermöglicht den Stipendiaten, eigene Forschungsarbeiten mit weltweiten Partnern zu intensivieren und fortzusetzen. Im Jahr 2013 wurde das Stipendium an den wissenschaftlichen Mitarbeiter der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, PD Dr. Dr. Martin Grimm, vergeben.
Jährlich 153 Millionen Dollar für die Forschung
Mit dem Stipendium konnte er ein Forschungsprojekt an dem Sanford-Burnham Medical Research Institute (SBMRI) in San Diego, Kalifornien, durchführen. Dieses Institut erhält vom National Institutes of Health (NIH) in den USA jährlich die drittgrößte Fördersumme und verfügt damit über ein jährliches Budget von 153 Millionen Dollar. Aktuell sind dort etwa 1.000 Wissenschaftler beschäftigt.
Das Krebsforschungsinstitut SBMRI wurde 1974 gegründet und gilt in den USA als eine der größten Forschungseinrichtungen für biologisch-medizinische und translationale Forschung.
Neue Therapien aus dem Labor in die Praxis
Dabei steht der translationale Aspekt der Forschung im Vordergrund, das heißt, neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Labor sollen möglichst schnell „from bench to bedside“ ihren Weg in die klinische Anwendung finden. Bisher konnten so mindestens zehn Medikamente für die Krebsbehandlung etabliert werden. Im Jahr 2012 veröffentlichte das Institut über 366 wissenschaftliche Arbeiten.
Der Projektentwurf: "Mundhöhlenkarzinomerkrankungen"
Grimm stimmte seine Projektskizze - die Grundlage für die erfolgreiche Bewerbung um das Stipendium - mit Prof. Nicholas Cosford ab, dem Leiter der Sektion „Apoptosis and Cell Death Research“ am SBMRI. Cosford und das Team der Sektion für Tumorbiologie widmen sich seit vielen Jahren präklinischer und klinischer Forschung, aber auch der Grundlagenforschung zur Verbesserung der Prävention sowie und der Diagnostik und Therapie von Tumorerkrankungen.
Das Mundhöhlenkarzinom gilt mit einer jährlichen globalen Inzidenz von 7,1 Prozent aller malignen Erkrankungen als sechsthäufigste Tumorentität. Deutschlandweit erkrankten 2008 insgesamt 13.010 Menschen an einem Mundhöhlenkarzinom mit zunehmender Inzidenz. In den vergangenen Jahren wurde den humanen Papillomaviren (HPV), vor allem HPV-16, eine zunehmende Rolle in der Entstehung von präkanzerösen und kanzerösen Veränderungen der Mundhöhle zugeschrieben.
Chronisch einwirkende Noxen, wie regelmäßiger Tabak- und Alkoholkonsum gelten als die wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung eines Mundhöhlenkarzinoms. Das relative Risiko, an einem Mundhöhlenkarzinom zu erkranken, ist bei Rauchern im Vergleich zu der Normalbevölkerung bis zu 38-fach erhöht und steht in direkter Verbindung zu Dauer und Quantität des Tabakkonsums.
Konventionelle Chemotherapeutika bringen relativ wenig Erfolg
Trotz deutlicher Fortschritte in der Prävention, Diagnostik und Therapie verbesserte sich die Fünfjahresüberlebensrate betroffener Patienten in den letzten Jahren nur unwesentlich und liegt mitungefähr 50 Prozent deutlich unterhalb den Überlebensraten anderer Krebserkrankungen wie Kolon-, Brust- oder Zervixkarzinom.
Das liegt daran, dass sich ein relativ großer Anteil der Patienten bei Diagnosestellung bereits in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung befindet, dass keine validen Marker für eine Früherkennung verfügbar sind und dass Mundhöhlenkarzinome im Allgemeinen relativ schlecht auf Bestrahlung und konventionelle Chemotherapeutika ansprechen.
Krebszellen sind "unsterblich"
Die genauen molekularen Zusammenhänge der Entstehung des Mundhöhlenkarzinoms sind darüber hinaus nur unzureichend bekannt. Neue Erkenntnisse in der Krebsforschung zeigen, dass die Mehrheit der Krebszellen aus der klonalen Expansion einer einzelnen Krebsstammzelle oder auch einiger weniger Tumor-initiierenden Zellen (sogenannte „Tumorstammzellen“) entstehen kann.
Im Gegensatz zu normalen, gesunden Zellen zeichnen sich Krebszellen durch ein unkontrolliertes Wachstum und die Fähigkeit aus, dem normalen Zellalterungsprozess und dem programmiertem Zelltod (Apoptose) zu entkommen. Darüber hinaus besitzen sie die Fähigkeit, die Bildung neuer Blutgefässe zu induzieren (Angiogenese) und damit die eigene Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen zu gewährleisten.
Tumorprogression in situ
Außerdem können sich Tumorzellen invasiv in benachbartes Gewebe ausbreiten und damit letztendlich in entfernte Organe metastasieren. Wie bei anderen Karzinomen geht man beim Mundhöhlenkarzinom dabei von einem Mehrstufen-Prozess aus, bei dem die Tumorprogression von normalen Epithelzellen über dysplastisches Epithel bis zum Carcinoma in situ abläuft und schließlich im invasiven Karzinom endet.
Diese maligne Transformation gesunder Zellen ist die Folge einer Anhäufung genetischer und epigenetischer Veränderungen einer relativ kleinen Anzahl bestimmter Gene. Diese lassen sich in die beiden Gruppen der Onkogene und der Tumor-Suppressor-Gene einteilen, wobei genetische oder epigenetische Veränderungen des Erbguts zu einer Aktivierung der Onkogene und/oder zu Inaktivierung der Tumor-Suppressor-Gene führen.
Die Signalwege beim Mundhöhlenkarzinom aufdecken
Als Folge dieser veränderten Genexpression zeigt sich, dass beim Mundhöhlenkarzinom bestimmte zelluläre Signalwege eine gesteigerte Aktivität im Vergleich zu gesunden Epithelzellen aufweisen. Dieses komplizierte Netzwerk sich gegenseitig beeinflussender Signalwege beim Mundhöhlenkarzinom aufzudecken, ist Gegenstand der aktuellen Forschung.
Dabei sollen diese Erkenntnisse zum einem dazu dienen, die molekularen Mechanismen der Pathogenese von Mundhöhlenkarzinomen besser zu verstehen und eventuell Erklärungen zu liefern, warum sich diese Tumore teilweise klinisch sehr unterschiedlich verhalten. Darüber hinaus aber kann dieses Wissen möglicherweise dazu beitragen, neue Diagnose- und Therapiemöglichkeiten zu entwickeln, die gezielt gegen die molekularen Veränderungen der Tumorzellen gerichtet sind, ohne dabei eine unerwünschte Wirkung auf das gesunde Gewebe zu entfalten („targeted therapies“).
Auf diesem Forschungsgebiet spielt das Labor von Prof. N. Cosford eine wichtige Rolle, wo „molecular probes“ (sogenannte small molecules) computer-assistiert entworfen und in der Grundlagenforschung analysiert werden.
Ein hochsensitiver Tumormarker
Grimm wählte für seine Projekte die Erforschung von zwei Enzymen aus, die für den Tumorstoffwechsel und die Apoptose von Tumorzellen von entscheidender Bedeutung sind: DNaseX und Transketolase-like-1.
DNaseX markiert gutartige oder bösartige Tumorzellen mit Proliferationsstörung und gilt als hochsensitiver Tumormarker verschiedenster Tumorentitäten. Im Tumorgewebe ist die Funktion der DNaseX - eine Endonuklease, die normalerweise die nukleäre DNA zerschneidet - durch ein Protein (Proteinkinase B, Akt) geblockt, wodurch verhindert wird, dass die Tumorzelle durch Apoptose abstirbt (Apoptoseresistenz).
Das Transketolase-like 1 (TKTL1) Enzym markiert hingegen invasive Tumorzellen mit einem aggressiven biologischen Phänotyp, die aufgrund ihres Sauerstoff-unabhängigen Metabolismus auch unter hypoxischen Bedingungen wachsen können.
Enzym verstärkt die Resistenz gegenüber Strahlenthearpien
Das TKTL1-Enzym verkörpert eine während der Evolution der Säugetiere mutierte Form des ursprünglichen Transketolaseproteins, das besondere Enzymeigenschaften aufweist und nicht nur für die Bereitstellung von Ribose-5-P für Nukleinsäuresynthese sowie für eine erhöhte Laktatproduktion verantwortlich ist, sondern auch Acetyl-CoA generiert, das zur Bildung von Fettsäuren genutzt wird.
Das TKTL1-Enzym stellt damit eine bisher nicht identifzierte neue direkte Verbindung des Zucker- mit dem Fettstoffwechsel dar. Hierdurch werden die Radikalproduktion und die Apoptoseauslösung gehemmt, wodurch diese metabolische Veränderung zur verstärkten Resistenz gegenüber Strahlen- und Chemotherapie und somit zu einer schlechten Prognose führt.
Das Risiko einer Metastasierung eingrenzen
Grimms Projekt umfasste die Erforschung der molekularen Auswirkung des TKTL1-Stoffwechsels, dessen Aktivierung beim Mundhöhlenkarzinom vermutlich das Risiko einer Metastasierung erhöht und somit ein wichtiges Ziel für die „targeted therapies“ darstellt.
Die ersten Projektergebnisse stellte Grimm auf der 44. Jahrestagung des Deutsch-Österreichisch-Schweizerischer Arbeitskreises für Tumoren im Kiefer- und Gesichtsbereich in München vor. Sie wurden in der angesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift „BMC Cancer“ publiziert:
Martin Grimm, Steffen Schmitt, Peter Teriete, Thorsten Biegner, Arnulf Stenzl, Jörg Hennenlotter, Hans-Joachim Muhs, Adelheid Munz, Tatjana Nadtotschi, Klemens König, Jörg Sänger, Oliver Feyen, Heiko Hofmann, Siegmar Reinert and Johannes F Coy, A biomarker based detection and characterization of carcinomas exploiting two fundamental biophysical mechanisms in mammalian cells.