Öffentlicher Gesundheitsdienst ist wichtiger Pfeiler in der Krise
Die Pandemie hat laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gezeigt, wozu das Land in der Krise fähig sei, wenn die Gesellschaft zusammenhält. Spahn sagte, ein Ziel des Gesetzentwurfs sei die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD). Es werde künftig darum gehen, bei Neuinfektionen eine zügige Nachverfolgung von Kontaktpersonen sowie Meldewege zu organisieren. Dazu werde der ÖGD auch digital besser ausgerüstet. Der ÖGD sei ein wichtiger Pfeiler in der Krise. Die ausgeweiteten Tests seien notwendig, um schnell reagieren zu können bei Infektionsherden, wie sie etwa schon bei Pflegeheimen beobachtet worden seien.
Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) unterstützt die geplanten Weiterentwicklung der bestehenden Regelungen. Grundsätzlich regt er an, in diesem Gesetz eine bundesweite Statistik zur Personalausstattung des ÖGD einzuführen. Diese werde auch schon seit Jahren von Seiten der Länder gefordert, zuletzt in einem Schwerpunktbeschluss der Gesundheitsministerkonferenz 2016, führt der Verband in seiner Stellungnahme an. Bis heute sei unklar, wie viele Menschen im ÖGD arbeiten und zur Bekämpfung einer Pandemie zur Verfügung stehen.
BVÖGD: Qualifiziertes Fachpersonal auf kommunaler Ebene
Gleichzeitig macht der Verband darauf aufmerksam, dass eine gute Funktionsfähigkeit der Landesgesundheitsämter mit adäquater personeller Besetzung sichergestellt werden müsse. Nur sie hätten die föderale Komponente, um die zugehörigen Kommunen gezielt unterstützen und die obersten Behörden landesspezifisch fachlich beraten zu können. Am dringendsten sei eine langfristige Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes auf kommunaler Ebene notwendig, der mit qualifiziertem Fachpersonal ausgestattet werden sollte, zum Beispiel mit Fachärzten, meint der Verband.
Ganz anderer Auffassung ist beispielsweise die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Die Rolle des ÖGD passe nicht zum derzeitigen Versorgungsgeschehen, das weitgehend über die KVen abgebildet und gewährleistet werde. Kooperationen könnten dabei sinnvoll sein, Auftragserteilungen seitens des ÖGD nicht. Insgesamt hegt die KBV Zweifel am Erfolg einer breiteren Aufstellung des ÖGD und verweist auf die Erfolge der Tätigkeit der Vertragsärzte in der gegenwärtigen Krise.
KBV: Die Rolle des ÖGD passt nicht ins Versorgungsgeschehen
Ausdrücklich begrüßt die KBV, dass die Testungen wie auch die Schutzimpfungen laut den Gesetzesplänen nicht in den Sicherstellungsauftrag der KVen fallen sollen. Es wäre sachgerecht, hierfür dem GKV-Spitzenverband und der KBV eine Regelungskompetenz zu übertragen. Beide könnten in diesem Fall bundeseinheitlich festlegen, nach welchen Bedingungen die Testungen durch die Vertragsärzte erbracht werden sollen.
Im Sinne einer schnellen Lösung befürwortet die KBV, die Leistungen zunächst durch die gesetzlichen Krankenkassen extrabudgetär über die EBM-Systematik zu vergüten. Laut KBV müsse aber eine nachgelagerte Refinanzierung der GKV über eine Zuführung von Steuermitteln in den Gesundheitsfonds als versicherungsfremde Leistungen vorgesehen werden. Auch eine entsprechende Regelung für die Privatkassen sei erforderlich. Im Vorfeld der Bundestagsdebatte hatten KBV und der GKV-Spitzenverband in einem gemeinsamen Brief an die Bundestagsabgeordneten davor gewarnt, die Kosten für die erweiterten Tests bei Menschen ohne Symptome aus Mitteln der GKV zu finanzieren.
AOK-Bundesverband: Tests über Steuern finanzieren
Die Tests seien aus Steuermitteln zu finanzieren, forderte auch der AOK-Bundesverband in seiner Stellungnahme. Es handele sich seiner Auffassung nach um eine Maßnahme zum allgemeinen Bevölkerungsschutz. Vor allem der öffentliche Gesundheitsdienst müsse anders aufgestellt werden, um seinem Auftrag für eine gute Bevölkerungsgesundheit nachkommen zu können. „Das bedeutet, dass er auch finanziell so auszustatten ist, damit er selbstständig handlungsfähig ist“, betont die AOK in der Stellungnahme.
MB: Das Personal wird nur unzureichend gestestet
Der Marburger Bund (MB) begrüßt die vorgesehene Ausweitung von Coronavirus-Tests, sieht aber noch zusätzlichen Handlungsbedarf. „Es gibt keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wie hoch die Infektionsrate unter Ärzten und Pflegenden ist. Das liegt einerseits an der bundesweit unsystematischen Erfassung, andererseits aber auch an der unzureichenden Testung des medizinischen und pflegerischen Personals“, heißt es in der MB-Stellungnahme.
„Nach den jetzt bereits verfügten oder geplanten Lockerungen von Kontaktbeschränkungen muss der Fokus noch stärker darauf gerichtet sein, Infektionsketten zu erkennen und zu durchbrechen. Deswegen sollten auch alle Patienten, die in ein Krankenhaus aufgenommen werden, auf das Coronavirus getestet werden. Das wird nur gelingen, wenn die vorhandenen Testkapazitäten genutzt und bei Bedarf weiter ausgebaut werden“, betonte Dr. Susanne Johna, 1. MB-Vorsitzende.
Die Diskrepanz zwischen den verfügbaren und genutzten Testkapazitäten sei exorbitant. Möglich wären derzeit etwa 860.000 Labortests pro Woche, tatsächlich würden davon aber weniger als die Hälfte genutzt.
Als ein positives Signal im Gesetzentwurf sieht der MB die Bereitschaft des Bundes, sich am Aufbau der Strukturen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes mit rund 50 Millionen Euro zu beteiligen und für jedes der 375 Gesundheitsämter einen Finanzierungsanteil von ca. 100.000 bis 150.000 Euro für Investitionen der Länder bereitzustellen.
Kontroverse Stimmen kommen aus der Politik
Kontroverse Stimmen kommen aus der Politik. Hilde Mattheis (SPD) forderte eine Stärkung des ÖGD. Nachdem der Bund mit dem Gesetz die den Ländern und Kommunen zugeordneten Gesundheitsämter stark unterstütze, müsse eine Debatte geführt werden, wie die Verantwortung für die Gesundheitsvorsorge zwischen Bund und Ländern neu austariert werden könne.
Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP) wandte sich dagegen, die Kosten allein den Beitragszahlern zu überlassen. Die Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes dürfe zudem nicht zulasten des Bundes gehen, dies sei Ländersache.
Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen warnte davor, mit den jüngsten Lockerungen das Ende der Krise herbeizureden. Maria Klein-Schmeink erklärte, bisher sei es lediglich gelungen, die Pandemie zu begrenzen. Es müsse jedoch damit gerechnet werden, dass viele Menschen an dem Virus sterben. Sie betonte: „Es wäre fatal, davon auszugehen, dass die Probleme der Pandemie nicht mehr bestehen.“ Ferner erklärte sie, mit dem Gesetzentwurf würden wichtige Dinge angeschoben, dies reiche aber nicht aus. Auch Klein-Schmeink warnte davor, die künftigen Reihentests nur von der gesetzlichen Krankenversicherung zahlen zu lassen. Das Testen werde sehr viel Geld kosten und sei eine gesellschaftliche Aufgabe.
Im Anschluss an die Debatte wurde der Entwurf zur weiteren Beratung an den federführenden Gesundheitsausschuss überwiesen.
Stichwort ObergrenzeBVÖGD: „Das ist nicht zu schaffen“
Stichwort ObergrenzeBVÖGD: „Das ist nicht zu schaffen“
www.bvoegd.de _blank