"Patientensicherheit kann man lernen"
Hardy Müller: In der gesundheitspolitischen Diskussion und in der konkreten Gesundheitsversorgung ist das Thema angekommen und platziert. Über unerwünschte Ereignisse in der Medizin und über Behandlungsfehler lässt sich heute einfacher und konstruktiver sprechen. Patientensicherheit gilt heute als ein wichtiger Outcome-Indikator. Die Gründung des APS und die darauf folgenden Aktivitäten haben einen wesentlichen Anteil an dieser sehr erfreulichen Entwicklung und den erzielten Fortschritten.
Was war aus Ihrer Sicht rückblickend am schwierigsten zu etablieren?
Der Aufbau einer Plattform und der Betrieb eines Bündnisses erfordert das Vertrauen aller Beteiligten und nicht zuletzt schlicht Ressourcen. Das Aktionsbündnis als „Basisbewegung" musste sich die dafür notwendigen Voraussetzungen selbst erarbeiten. Konkret heisst das, dass die Mittel für den Betrieb einer Geschäftsstelle oder aber auch für den Betrieb eines Institute für Patientensicherheit ausschließlich über Mitgliedsbeiträge, Spenden oder Projektförderungen aufgebracht werden mussten.
Von APS-Seite waren mehrjährige Verpflichtungen einzugehen auf der Basis temporärer Projektförderungen oder einzelner Spendenzusagen. Dieser Aufbau einer tragfähigen Struktur auf der Basis einer prekären Finanzierung war und ist auch heute noch - zehn Jahre nach dem Start des APS - schwierig. Das APS fordert daher eine öffentliche Basisfinanzierung von Grundanliegen der Patientensicherheit. Die Investitionen in Patientensicherheit sind für alle profitabel.
Häufig kommen Fehler oder Beinahe-Fehler auch nach wie vor dadurch zustande, dass Arzt und Patient sich nicht verstehen oder aneinander vorbeireden. Gibt es Anregungen vom APS, wie die Kommunikation verbessert werden könnte?
Die Kommunikation ist Ursache und Lösung zugleich von vielen Sicherheitsproblemen. Eine Anregung des APS zur Bewältigung von Sicherheitsproblemen lautet „Reden ist Gold“. So auch der Titel einerAPS-Broschürezur Kommunikation nach einem Zwischenfall. Hierfür gibt es auch eine mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayers entwickelte Version, die sich auf unerwünschte Ereignisse in der Zahnarztpraxis konzentriert. Dort finden sich Empfehlungen und eine Checkliste wie gravierende Zwischenfälle gut aufgearbeitet werden können.
Generell engagiert sich das APS dafür, Patienten bei der Prävention von Behandlungsfehlern stärker einzubinden. Im APS gibt es hierzu eine Arbeitsgruppe zum Thema “Informieren - Beraten - Entscheiden“. In den letzten Jahren veranstalten wir Patienten-Workshops, um den Einbezug von Patienten in die Patientensicherheitsthematik zu fördern. Die stärkere Einbeziehung von Patienten birgt in Deutschland noch große Potenziale für den Ausbau der Patientensicherheit. Diese wollen wir nutzen.
Nach wie vor ist die Datenlage zum Vorkommen von (Beinahe-)Fehlern recht mau, national wie international. Wie könnte das verbessert werden? Konnten Fehlermeldesysteme an Kliniken die Datenlage stärken? Oder sind sie nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?
Die Datenlage lässt sich durch eine Harmonisierung der Datenerhebungen und einen verstärkten Austausch der an verschiedenen Stellen gewonnenen Erkenntnisse erheblich verbessern. Das APS hat dazu Basis-Datensätze vorgeschlagen und steht für den Austausch, für die Sammlung und die Verbreitung der Erkenntnisse zur Verfügung. Im APS arbeitet dazu die Arbeitsgruppe „Behandlungsfehler-Register“. Die Fehlermelde- und Lernsysteme an den Kliniken sind nicht geeignet, um die Häufigkeit von Fehlern zu dokumentieren. Ihr Sinn und Zweck besteht vielmehr in der Beförderung des „Aus Fehlern lernen“.
Im stationären Bereich scheint sich - auch durch die Aktivitäten des APS - mehr in Richtung Fehlermanagement entwickelt zu haben. Es gibt die besagten Meldesysteme. Checklisten zur Vermeidung von Fehlern. Aber auch Anleitungen zur Infektionsprävention. Was wurde im ambulanten Bereich unternommen, um Fehler zu vermeiden?
Der stationäre Bereich hatte bei der Entwicklung und Einführung eine Vorreiter-Rolle inne. Das besagt aber nicht, dass diese Systeme nicht auch im ambulanten Bereich eingesetzt werden können und auch eingesetzt werden. Seit über 10 Jahren ist das vom APS mit unterstützte Fehlermelde- und Lernsystem für Hausarztpraxen „ Jeder-Fehler-zaehlt.de“ im Einsatz. Wir begrüßen daher, dass die im April 2014 geänderte Qualitätsmanagement-Richtlinie des G-BA für den ambulanten Bereich nun auch zu den Instrumenten eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements zählt.
Im ambulanten Bereich wurden die gemachten Erfahrungen übernommen und auf die Bedürfnisse angepasst. So hat zum Beispiel die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe mit dem APS Handlungsempfehlungen für den ambulanten Sektor überarbeitet, etwa zur sicheren Patientenversorgung oder zur Vermeidung von Eingriffsverwechslungen beim ambulanten Operieren.
In welchen Bereichen kommt Patientensicherheit Ihrer Ansicht nach wie vor zu kurz?
Patientensicherheit kann man lernen. Sie ist Ausdruck technologischer Performanz. Aber sie ist eben auch ein Resultat der Rahmenbedingungen, unter denen medizinische Leistungen erbracht werden. Der Einfluss etwa der Vergütungssystematiken oder auch der Personalausstattungen auf die Patientensicherheit wird intensiver und ehrlicher behandelt werden müssen.
Wenn Sie zehn Jahre weiter schauen - wo sollte das deutsche Gesundheitswesen bis 2025 in puncto Patientensicherheit stehen?
Die Förderung der Patientensicherheit und ihrer Einrichtungen sollte weiter systematisch im System der Gesundheitsversorgung integriert und etabliert werden. Einrichtungen zum Ausbau der Patientensicherheit und deren Aktivitäten benötigen eine nachhaltige stabile finanzielle Förderung. Die Patientinnen und Patienten verdienen mehr beherzte Investitionen in die Anliegen der Patientensicherheit. Neben diesen strukturellen Verankerung werden in den nächsten zehn Jahren Patientensicherheitsforschung und Evaluation an Bedeutung gewinnen.
Die Fragen stellte Martina Merten,Fachjournalistin für Gesundheitspolitik /healthcare journalist.