Rekordzahl von Briten geht zur medizinischen Versorgung ins Ausland
Die Warteliste des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS umfasst mittlerweile 7,4 Millionen Patienten, trotz einer Geldspritze von umgerechnet 28,5 Milliarden Euro durch Finanzministerin Rachel Reeves, berichtet die Zeitung The Telegraph. Eben diese Wartezeiten drängen demnach immer mehr Patienten dazu, Behandlungen im Ausland vornehmen zu lassen.
Die beliebtesten Reiseziele waren dem Bericht zufolge Portugal, Polen, Rumänien, die Türkei, Italien und Indien, wobei Hüft- und Kniegelenkersatz sowie Kataraktoperationen neben Zahnbehandlungen und Schönheitsoperationen zu den häufigsten Eingriffen zählten.
Gesundheitsminister Wes Streeting sagte der britischen Zeitung: „Es ist erschreckend, dass hunderttausende Steuerzahler gezwungen sind, für medizinische Behandlungen, die sie beim NHS kostenlos erhalten sollten, ins Ausland zu gehen. Wir reformieren den NHS, um dem grob unfairen Zweiklassensystem, das wir geerbt haben, ein Ende zu setzen, in dem Menschen, die sich keine private medizinische Versorgung leisten können, zurückgelassen werden.“
Es sei jedoch noch ein langer Weg, so Streeting, obwohl die Labour-Regierung allein im ersten Jahr der aktuellen Legislatur mehr als fünf Millionen zusätzliche Termine geschaffen habe und die Wartelisten so um 206.000 Patienten reduziert werden konnten.
2024 gingen 523.000 Briten für eine Behandlung ins Ausland
„Zu viele Menschen lassen sich zu billigen Schönheitsoperationen ins Ausland locken, nur um dann mit lebensverändernden Komplikationen nach Hause zurückzukehren, die letztendlich zulasten des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS gehen“, mahnte Streeting. Aus diesem Grund hatte die Regierung eine Kampagne gestartet, um das Bewusstsein für die Risiken zu schärfen und gegen gefährlichen Medizintourismus vorzugehen.
Laut Statistikbehörde haben im Jahr 2024 rund 523.000 Menschen das Vereinigte Königreich verlassen, um sich im Ausland behandeln zu lassen, 2023 waren es noch 431.000 und 2022 lediglich 348.000. Gleichzeitig sei in diesem Zeitraum die Zahl der Patienten auf Wartelisten des NHS allein in England von 6,1 Millionen auf 7,4 Millionen gestiegen, meldet The Telegraph.
Wartezeiten sind die Hauptmotivation der Patienten
Diese Wartezeiten macht der Bericht als Hauptmotivation der Patienten aus: Viele, die sich zur Behandlung ins Ausland begeben, seien Migranten, die auf der Suche nach Arbeit nach Großbritannien gekommen sind, aber für Operationen in ihre Heimatländer wie Polen, Rumänien und Litauen zurückkehren, weil die Wartezeiten dort kürzer sind.
Andere entscheiden sich demzufolge aufgrund der langen Wartelisten zu Privatbehandlungen, die im Ausland günstiger sind. Als Beispiel: Eine Hüftprothese kostet in der Türkei in der Regel umgerechnet 6.800 bis 9.100 Euro – und damit etwa die Hälfte einer privaten OP in Großbritannien. Ähnliche Preisunterschiede motivieren laut Bericht Briten zum Zahntourismus und zu kosmetischen Eingriffen im Ausland.
Anfang dieses Jahres ergab eine Recherche von The Telegraph, dass der NHS – wenn auch auf geringem Niveau – eine wachsende Zahl von Patienten zur Behandlung ins Ausland schickt und dafür bezahlt. Die Zahl dieser Behandlungen stieg laut Bericht innerhalb von nur zwei Jahren um 42 Prozent. Insgesamt waren dem Blatt 352 solcher Fälle aus den vergangenen drei Jahren bekannt geworden.
„Dies ist eine tragische Situation, die durch Verzweiflung ausgelöst wird“, sagte Dennis Reed von der Wohltätigkeitsorganisation Silver Voices, die sich für ältere Menschen einsetzt, der Zeitung. „Die Menschen geben ihre gesamten Ersparnisse aus, um Behandlungen zu erhalten, die sie über das staatliche Gesundheitssystem NHS nicht bekommen können.“ Für manche liege das an den langen Wartezeiten für Hüft- und Kniegelenkersatzoperationen, für andere daran, dass sie überhaupt keinen Zugang zu einem Zahnarzt hätten.
Menschen mit geringem Einkommen suchten zunehmend nach günstigen Alternativen, wenn sie mit langen Wartezeiten konfrontiert sind, vielleicht Schmerzen haben und sich keine private Behandlung leisten können, so Reed weiter. Dabei gingen sie notgedrungen Risiken ein.






