Robert Koch-Institut reagiert auf Medienvorwürfe
Wie das RKI anführt, wird derzeit in mehreren deutschen Medien behauptet, das Institut habe frühe Beobachtungen aus München ignoriert, wonach Menschen bereits ohne Symptome das Coronavirus verbreiten können. Dazu hat sich das RKI jetzt in einer Stellungnahme geäußert. Als Grundlage der Medienvorwürfe führt das RKI einen Artikel an, der am 27. Juni 2020 in der New York Times veröffentlicht wurde. Auch deutsche Medien, so etwa der Focus, berichteten dazu („RKI und WHO missachteten Studie. Warnung ignoriert: Entscheidender Fehler im Kampf gegen Corona unterlief uns im Januar“, 30.Juni 2020).
Das RKI hatte nach eigener Aussage mehr Informationen als seine Kritiker
Die Medienberichte hatten dazu unter anderem einen Artikel aus dem New England Journal of Medicine (NEJM) vom 30. Januar angeführt. Dort wurde der Fall einer chinesischen Corona-Indexpatientin beschrieben, die nach Bayern kam und dort eine Ansteckungswelle auslöste.
Das RKI verfolge alle wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu COVID-19 sehr genau, heißt es in der Stellungnahme des Instituts dazu. Auch der Artikel im NEJM sei den RKI-Experten bekannt gewesen. Allerdings hätten ihnen zu dem dort beschriebenen Fall mehr Informationen vorgelegen als den Autoren des Artikels.
Diskussion um unspezifische Symptome der Patientin Null in Bayern
Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) hatten die RKI-Experten mit der im Artikel beschriebenen chinesischen Indexpatientin gesprochen. Dabei handelte es sich um eine Mitarbeiterin eines bayerischen Unternehmens, die aus beruflichen Gründen nach Deutschland gekommen war. Anders als in dem Artikel im NEJM beschrieben, hatte sie während ihres Aufenthalts in Deutschland bereits wahrscheinlich milde, unspezifische Symptome, und sie hatte fiebersenkende Mittel genommen.
Das RKI argumentiert in seiner Stellungnahme so: Am 30. und 31. Januar fanden Gespräche zwischen der chinesischen Indexpatientin und Vertretern des (federführenden) Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und des RKI statt. Im Gegensatz zu ersten Berichten und den Angaben im NEJM-Artikel, wonach die chinesische Indexpatientin während ihres Kontakts mit den deutschen Fällen als nicht symptomatisch eingestuft wurde, hatten diese Gespräche auf Chinesisch jedoch ergeben, dass sie während des Kontakts wahrscheinlich milde, unspezifische Symptome wie Rückenschmerzen hatte. Diese Symptome waren jedoch schwer zu bewerten, da die Patientin ein fieber- und schmerzsenkendes Medikament eingenommen hatte.
Die Informationen wurden stets weiter kommuniziert
Wie das RKI weiter anführt, wurden die Ergebnisse der Befragung am 30. und 31. Januar an die WHO, das European Centre for Disease Control (ECDC) und die Europäische Kommission weitergegeben und die Umstände, unter denen die Ansteckungen stattgefunden hatten, wurden präzisiert. Am 7. Februar hatten die Autoren des NEJM-Artikels Material ergänzt, in dem in einem detaillierten Krankheitsverlauf auf die chinesische Patientin und ihre frühe Symptomatik eingegangen wird.
Wie das RKI in seiner Stellungnahme weiter betont, ergibt sich aus Einzelfällen wie diesen nicht automatisch eine Änderung der Einschätzung. Relevant ist immer, wie häufig bestimmte Phänomene stattfinden. Wichtiger für die Einschätzung des RKI waren daher die Untersuchungsergebnisse des Ausbruchs bei der Firma Webasto. Aus diesen ging laut RKI zweifelsfrei hervor, dass bei mehreren Fällen eine frühe Übertragung, das heißt, am Tag des Symptombeginns oder vielleicht schon davor, festgestellt werden konnte. Zusätzlich wurde klar, dass es eine so genannte prodromale Phase mit unspezifischer Symptomatik geben kann, während der aber eine Übertragung schon möglich scheint. Dies stand im Einklang mit dem im NEJM beschriebenen Fall. Die Untersuchungsergebnisse wurden laut RKI in Fachmedien beschrieben und am 4. März an WHO und ECDC kommuniziert.
Insgesamt haben diese Fälle laut RKI gezeigt, dass COVID-19-Patienten schon anfangs sehr unspezifische Symptome zeigen können und erst etwas später Atemwegsbeschwerden und Fieber entwickeln. Für das RKI bedeutete das, dass bei der Nachverfolgung von Kontaktpersonen auch die Personen mit einbezogen werden müssen, die mit dem bestätigten Fall bis zu zwei Tage vor Auftreten seiner/ihrer Symptome Kontakt hatten. Das RKI betont, dass die Empfehlungen für das Kontaktpersonenmanagement bereits am 30. Januar entsprechend angepasst wurden.
Fazit des RKI
Das RKI hatte die Möglichkeit von symptomlosen Übertragungen von Anfang an in Betracht gezogen und unter anderem in den FAQ kommuniziert. Es hatte auch vor dem NEJM-Artikel und der Webasto-Untersuchung schon eine Veröffentlichung aus China gegeben, die eine Übertragung durch eine präsymptomatische beziehungsweise asymptomatische Person vermuten ließ. Das RKI wörtlich: „Zu Beginn der Pandemie war jedoch nicht klar, in welchem Ausmaß solche Übertragungen stattfinden. Das Wissen dazu füllte sich erst in den kommenden Monaten durch Publikation weiterer epidemiologischer Analysen von Ausbrüchen oder anderen dafür auswertbaren Ereignissen, zum Beispiel so genannte Infector-Infectee-Paare.“