Medizin

Roboteranzug hilft Gelähmten

ck/pm
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Wieder gehen zu können, bleibt für Querschnittgelähmte meist ein Traum. Ein Roboteranzug verhilft Betroffenen zumindest zu mehr Mobilität und Aktivität. Seit 2011 erproben Experten in Bochum das Exoskelett.

Seit 2011 testet ein Expertenteam um Prof. Dr. Thomas Schildhauer, Ärztlicher Direktor des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil, den Roboteranzug HAL, der in Japan entwickelt wurde. HAL steht für „Hybrid Assistive Limb“, auf deutsch „hybride unterstützende Gliedmaße“. Er soll querschnittsgelähmten Menschen zu mehr Mobilität und Aktivität zu verhelfen. Die klinischen Studien führt das Team am Zentrum für Neurorobotales Bewegungstraining (ZNB) in Bochum durch, das eigens für diesen Zweck gegründet wurde.

Schwache Signale im Muskel

Damit der Roboteranzug funktioniert, braucht er einen Träger, der eine willentliche Bewegung ausführen möchte. Das läuft normalerweise so ab: Das Gehirn schickt ein Signal über das Rückenmark und die umliegenden Nerven in einen Muskel - zum Beispiel in einen Arm oder ein Bein.

Einem gelähmten Patienten stehen aber nur abgeschwächte Signale im Muskel zur Verfügung, die in Konsequenz dazu führen, dass er nicht mehr laufen kann. Hier kommt HAL ins Spiel: Er nimmt die Signale über Sensoren auf, die auf der Haut des Patienten befestigt sind, und setzt so seine Motoren im Hüft- und Kniegelenksbereich in Aktion.

Der Anzug übernimmt die Bewegung

Der Anzug übernimmt also für den Patienten die Bewegung: durch die direkte Ankopplung an das eigene Nervensystem. „Wir möchten so die Muskelrestfunktionen aktivieren, ausbauen und die Patienten auf ein besseres Aktivitätsniveau bringen“, erklärt Schildhauer.

Inwieweit ein gelähmter Patient nach der Therapie mit HAL wieder selbstständig laufen kann, hängt ganz von der Art seiner Verletzung ab. „Der Roboter repariert ja nicht die verletzten Nervenstrukturen im Rücken, sondern er hilft, dass die abgeschwächten Signale wieder im Bein ankommen“, erläutert Schildhauer. „Es geht darum, diesen Kreislauf zu optimieren. Die Restfunktionen, die der Patient besitzt, sollen ausgebaut werden.“ Das bedeutet aber nicht, dass der Patient nach der Therapie wieder ganz normal gehen kann.

Am Anfang jeder Trainingseinheit stehen krankengymnastische Übungen, um den Patienten beweglicher zu machen. Dann verkabelt der Therapeut die Person und legt ihr den Roboteranzug an. Auf dem Laufband wird anfangs meist nur für fünf bis zehn Minuten trainiert, später kann es bis zu einer Stunde sein, abhängig davon, wie stabil der Kreislauf und wie kräftig die Muskeln sind oder welche Verletzungen beziehungsweise Erkrankungen vorliegen - der Roboter kann individuell auf den Patienten eingestellt werden. Er kann ihm sehr viel Unterstützung in seinen Bewegungen geben - oder eben weniger. Über eine Computereinheit lässt sich die Trainingsintensität regulieren.

In den klinischen Studien am ZNB wollen die Forscher unter anderem herausfinden, wie viel die Patienten idealerweise trainieren müssen und wie lange der Trainingseffekt anhält. Sie führen einen Trainingszyklus von drei Monaten durch, mit fünf Trainingseinheiten in der Woche. Eine Vergleichsgruppe in Japan absolviert nur acht Trainingseinheiten - auch diese führen zu einer Verbesserung der Funktionen.

Im direkten Vergleich führt das intensivere Training über drei Monate zu deutlich positiveren Ergebnissen. „Unsere Patienten erreichen ein Aktivitätsniveau, mit dem sie besser in ihrem Alltag und in ihrem Umfeld agieren können. Und dadurch trainieren sie Bewegungsabläufe jeden Tag weiter“, berichtet Schildhauer.

Mit Training zu Mobilität

War ein Patient dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen, kann er nach der dreimonatigen Trainingsphase beispielsweise kurze Strecken am Rollator gehen. Zudem scheinen diese Patienten auf demselben Aktivitätsniveau zu bleiben, wenn sie nach der dreimonatigen Therapiephase mit HAL einmal wöchentlich oder alle zwei Wochen eine Trainingseinheit beibehalten.

Da bislang erst 14 Patienten aller Altersgruppen ihr Training am ZNB beendet haben, muss das Expertenteam noch weitere Studien durchführen. „Wir sind in verschiedener Hinsicht zu sehr überraschenden Ergebnissen gekommen“, sagt Schildhauer. „Aber das sind noch Einzelergebnisse - wir möchten nicht zu früh zu viele Hoffnungen wecken.“ Was aber bereits jetzt feststeht: Bei allen Patienten hat sich durch das Training mit dem Roboteranzug die Muskelaktivität und damit die Beweglichkeit verbessert.

Aufgrund seiner Ergebnisse hat das ZNB umfangreiche Finanzförderungen erhalten, unter anderem vom Land NRW und vom japanischen Wirtschaftsministerium. Mit diesen Mitteln wird nun das Zentrum weiter ausgebaut: Zum einen werden neue Roboter angeschafft, zum anderen steht eine Ausweitung in weitere Bereiche an. Stand bislang der Roboter für die kompletten unteren Extremitäten im Fokus, werden sich folgende Studien mit Anwendungen für ein einzelnes Bein oder einen einzelnen Arm beschäftigen.

Diese speziellen Roboteranzüge sind für Patienten gedacht, die beispielsweise einen Schlaganfall erlitten haben oder an Multipler Sklerose erkrankt sind. Gerade führt das ZNB in Zusammenarbeit mit der Neurologischen Klinik am Bergmannsheil eine Studie mit Schlaganfallpatienten durch.

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