Therapie des dentalen Traumas bleibender Zähne
Die 2015 erstmals veröffentlichte S2k-Leitlinie zur Therapie dentaler Traumata bleibender Zähne wurde nach den Regularien der AWMF aktualisiert. Federführend durch die DGMKG und die DGZMK wurde in Zusammenarbeit mit 21 weiteren beteiligten Fachgesellschaften und Institutionen eine breit konsentierte Orientierungshilfe im Hinblick auf die Erst- und Weiterversorgung dentaler Traumata vorgelegt.
Das Update der Leitlinie soll als „Entscheidungshilfe zu einer angemessenen Indikationsstellung für die kieferorthopädische, prothetische oder implantologische Versorgung sowie zu endodontischen Maßnahmen oder zur Zahntransplantation“ beitragen [AWMF].
Prävention mittels Sportmundschutz
Erstmalig wurden Risikofaktoren und Präventionsmaßnahmen in der Leitlinie thematisiert und das Tragen eines Sportmundschutzes bei Kontaktsportarten wurde als neue Empfehlung mit aufgenommen. Neu ist auch die Empfehlung einer Foto-Dokumentation vor Beginn einer Behandlung am Unfalltag. Diese gebe nicht nur einen Hinweis auf das Ausmaß einer Dislokation, sondern sei auch aus forensischen Gründen sinnvoll, erklären die Verfasser [DGMKG, DGZMK, 2022].
Aktualisiert wurde auch die Vorgehensweise bei der Erstversorgung von Kronenfrakturen mit Pulpabeteiligung. Oberstes Ziel ist die Vitalerhaltung der Pulpa, das in Abhängigkeit von der Fraktur und der klinischen Situation, durch verschiedene Behandlungsmaßnahmen erreicht werden kann. Neben Modifikationen der alten Empfehlungen wurde hierzu zudem eine Neuerung aufgenommen: Intraoperativ kann von einer partiellen Pulpotomie auf eine vollständige Pulpotomie umgeschwenkt werden, wenn sich während der Behandlung Hinweise darauf ergeben, „dass die Pulpa im Zuge der partiellen Pulpotomie nicht bis auf ein gesundes Level reduziert wurde (anhaltende Blutung länger als 5 Minuten)". [DGMKG, DGZMK, 2022]. Hinzu kommt die neue Empfehlung zur Revitalisierung als regenerative Therapiemöglichkeit bei Pulpaverlust an Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum.
Neu ist eine Tabelle zur Schienungsdauer
Weitere Aktualisierungen betreffen unter anderem spezifische Empfehlungen zur Primärversorgung sowie zu langfristigen Restauration von Kronen- Wurzel-Frakturen. Das Update umfasst überdies ausführliche Erläuterungen und Empfehlungen zu Dislokationsverletzungen und Alveolarfortsatzfrakturen.
Neu ist auch eine Tabelle mit Richtwerten zur Schienungsart und -dauer. Aktualisierte Empfehlungen gibt es auch in puncto Intrusionsverletzungen: Es wird ein differenziertes Vorgehen bei der Versorgung in Abhängigkeit vom Wurzelwachstum erörtert.
Behandlungsoptionen bei Ankylose
Um die Bewertung der Prognose von avulsierten Zähnen zu erleichtern, gibt es ab sofort vereinfachte Empfehlungen. Erstmalig wurde auch eine ausführliche Darstellung der Behandlungsoptionen der posttraumatischen Ankylose und des Zahnverlustes in Anhängigkeit des therapeutischen Zeitfensters mit in die Leitlinie aufgenommen.
Weitere Änderungen umfassen unter anderem eine Spezifizierung der Nomenklatur der Dislokationsverletzungen und ein aktualisiertes Glossar zu Heilungsvorgängen und Heilungsstörungen.
DGMKG, DGZMK: „Therapie des dentalen Traumas bleibender Zähne“, Langversion 2.0, 2022, AWMF-Registriernummer: 083-004, www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/083-004.html
Die wichtigsten Empfehlungen im Wortlaut:
• Eine frühzeitige kieferorthopädische Behandlung im Alter von 7 bis 12 Jahren bei Patienten mitRisikofaktoren sowie das Tragen eines Sportmundschutzes können Zahntraumata vorbeugen.• Die Vitalerhaltung der Zahnpulpa ist oberstes Ziel, insbesondere bei Zähnen mit nichtabgeschlossenem Wurzelwachstum.• Die partielle Pulpotomie sollte die favorisierte Therapieoption bei Kronenfrakturen mitPulpabeteiligung sein.• Bei Zähnen mit offenem Wurzelwachstum wird die Revitalisierung als Alternativtherapie zurApexifikation eingeführt.• Eine Restauration subgingivaler Zahnfrakturen kann durch Fragmentwiederbefestigung,subgingivale Restauration, chirurgische Kronenverlängerung sowie kieferorthopädische oderchirurgische Extrusion erfolgen.• Bei Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum und starker Dislokation (≥ 2 mm) sollte dieendodontische Behandlung bereits in der Schienungsphase eingeleitet werden.• Die flexible Schienung dient der Stabilisierung dislozierter Zähne in der ursprünglichen Position,wodurch eine Heilung von Pulpa und parodontalen Strukturen ermöglicht wird.• Eine Austrocknung oder mechanische Schädigung der Wurzeloberfläche avulsierter Zähne sollvermieden werden und die Replantation zeitnah erfolgen. Bei einer Trockenlagerung von über 60Minuten sind die PDL-Zellen des avulsierten Zahnes sehr wahrscheinlich nicht mehr vital.• Werden aufgrund einer starken Dislokationsverletzung weitreichende Resorptionen erwartet,sollte ein bioresorbierbares Material wie Kalziumhydroxid in den Wurzelkanal eingebracht werden,das bei längerer Liegedauer ausgetauscht werden kann.• Die regelmäßige Nachsorge nach dem Abschluss der Primärtherapie ist essentiell, um potentielleKomplikationen frühzeitig zu erkennen. Die Wahrscheinlichkeit pulpaler und parodontaler Schädenist dabei eng mit Art und Schweregrad des Zahntraumas verknüpft.• Der ankylosierte und in Infraposition geratene traumatisierte Zahn sollte eher durch Dekoronationals durch Osteotomie entfernt werden.• Die verschiedenen Therapieoptionen zur Behandlung der posttraumatischen Ankylose sollten dembehandelnden Arzt/Zahnarzt in Abhängigkeit vom Patientenalter bekannt sein (siehe Tabelle 5, Kap.7.4).• Bei Zahnverlust des im Wachstum befindlichen jugendlichen Gebisses ist die Interimsprothese/Kinderprothese ein probates Mittel zur Primärversorgung einer Frontzahnlücke. Zur langfristigenRehabilitation sollen der kieferorthopädische Lückenschluss, Adhäsivbrücken sowie die autogeneZahntransplantation als therapeutische Lösung bedacht werden.• Die Milchzahn-Transplantation kann als eine legitime Behandlungsmöglichkeit nach Avulsion undZahnverlust im Milch- und frühen Wechselgebiss gelten. Im späten Wechselgebiss ist neben denetablierten Methoden (Lückenschluss, Adhäsivbrücke, Prothese) die Prämolaren-Transplantationals gleichwertige Therapiealternative anzusehen. Dabei kann auf eine Milchzahn-Transplantationim späten Wechselgebiss eine Prämolaren-Transplantation folgen (sog. Zwei-Phasen-Transplantationskonzept).“
Auszug aus der Leitlinie „Therapie des dentalen Traumas bleibender Zähne“ der DGMKG und DGZMK, 2022