Übertragung der Tuberkulose hängt von Erreger-Wirt-Kombination ab
Tuberkulose zählt mit mehr als 1,4 Millionen Todesfällen pro Jahr immer noch zu den gefährlichsten Infektionskrankheiten weltweit. Insgesamt kommen auf der Welt zehn unterschiedliche genetische Linien des Erregers, dem Bakterium aus dem Mycobacterium tuberculosis-Komplex (Mtbc), vor: In Europa und Nordamerika sind Stämme der Linie L4 am häufigsten verbreitet, während im Asiatischen Raum Stämme der Linie L2 vorherrschend sind. Afrika ist der einzige Ort, wo regelmäßig Stämme der Linien 5 und 6 gefunden werden. Während Stämme der Linien L2 und L4 weit verbreitet sind und häufig vorkommen, wurden Stämme einiger Linien des afrikanischen Raums nur selten außerhalb des Kontinents isoliert und weisen eine begrenzte geografische Verbreitung auf.
Geografisch begrenzte Mtbc-Linien sind weniger übertragbar
Es wird daher angenommen, dass sich geografisch begrenzte Linien des Mtbc effektiver unter sympatrischen (passenden) Wirten verbreiten, das heißt solchen, die sich im selben geografischen Gebiet aufhalten. Gleichzeitig weisen sie und eine geringere Übertragbarkeit bei allopatrischen (nicht passenden) Wirten auf, also Menschen aus unterschiedlichen geographischen Regionen. Bislang konnte diese Annahme jedoch nicht bewiesen werden, da es keine großen Datensätze mit klinischen Tuberkulosedaten und hochauflösenden Pathogensequenzen gab.
Nun ist es einem internationalen Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Forschungszentrums Borstel, Leibniz Lungenzentrum, der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Harvard Medical School in Boston erstmals gelungen, diese Hypothese zu belegen: Anhand von Erregergenom- und Kontaktverfolgungsdaten von 2.279 Tuberkulosefällen, die mit 12.749 sozialen Kontakten aus drei Städten mit geringer Inzidenz verbunden sind, konnten die Forschenden zeigen, dass Stämme geografisch begrenzter Mtbc-Linien weniger übertragbar sind als Stämme von Linien, die eine weite globale Verbreitung aufweisen.
Allopatrische Erreger-Wirt-Exposition senkt das Infektionsrisiko um 38 Prozent
Die Daten stammen aus Hamburg, New York und Amsterdam und wurden in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Gesundheitsämtern zusammengestellt. Das Team konnte zeigen, dass bei allopatrischer Erreger-Wirt-Exposition, bei der der Erreger und der Wirt aus sich nicht überschneidenden Gebieten stammen, die Wahrscheinlichkeit einer Infektion bei den Kontaktpersonen um 38 Prozent geringer war als bei sympatrischer Exposition.
Diese epidemiologischen Beobachtungen wurden durch Laborexperimente unterstützt. Mit Hilfe eines Makrophagen-Infektionsmodells konnte gezeigt werden, dass eine geringere Aufnahme und ein geringeres Wachstum von Mtbc in allopatrischen Makrophagen nach der ersten Exposition festgestellt werden konnte. Diese Untersuchungen unterstützen die Resultate der epidemiologischen Analysen und werden in zukünftigen Projekten noch um weitere Wirts-Stamm Kombinationen erweitert.
Folgestudien sollen pathobiologische Mechanismen untersuchen
Die Forscherinnen und Forscher kommen zu dem Schluss, dass die langfristige Koexistenz von Mtbc-Stämmen und Menschen zu einer unterschiedlichen Übertragbarkeit von Mtbc-Stämmen geführt hat und diese je nach menschlicher Population unterschiedlich ist. „Diese Unterschiede in der Übertragbarkeit führen dazu, dass Stämme geografisch begrenzter Mtbc-Linien eine Barriere für ihre Fähigkeit haben, sich in andere geografische Regionen auszubreiten“, erklärt Dr. Dr. Matthias Gröschel, Erstautor der Studie und Arzt im Fächerverbund Infektiologie, Pneumologie und Intensivmedizin der Charité. „Wir wollen in anschließenden Arbeiten nun darauf abzielen, die molekularen Grundlagen allopatrischer und sympatrischer Wirt-Pathogen-Interaktion zu verstehen.“
Diese Informationen können in Zukunft hilfreich sein, um Umgebungsuntersuchungen zu personalisieren und beispielsweise Hochrisiko-Kontakte wie sympatrische Wirts-Pathogen-Kontakte mit höherer Priorität nachzuverfolgen. Auch bei der Entwicklung von Medikamenten könnten diese spezifische Virulenzmechanismen von Bedeutung sein. „Die Arbeiten erlauben erstmals ein genaueres Verständnis der Wirt-Pathogen-Interaktion bei der Tuberkulose auf globalem Niveau“, sagt Prof. Stefan Niemann, Leiter der Studie am Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die pathobiologischen Mechanismen aufzuklären“.
Matthias I. Gröschel, Francy J. Pérez-Llanos, Roland Diel et al. Differential rates of Mycobacterium tuberculosis transmission associate with host–pathogen sympatry. Nature Microbiology 2024 DOI: 10.1038/s41564-024-01758-y