Hilfseinsatz in Myanmar

Unterwegs mit den Swimming Doctors (3)

Dieter Buhtz
GesellschaftSoziales Engagement
An Bord der MS Futura sind die mitgebrachten Materialien und Instrumente aus Deutschland verstaut, das Team ist eingespielt, der Arbeitsalltag hat begonnen. Doch jeden Tag kommen mehr Patienten.

Wecksignal ist jeden Morgen um 6 Uhr, um 8 Uhr pünktlicher Behandlungsbeginn. Die Chefin kümmert sich schon vorher persönlich um das Einräumen des sterilisierten Instrumentariums. Khein lässt, wie er das einmal früher von mir gezeigt bekommen hat, über dem Speibecken für zwei Minuten Wasser aus den Übertragungsinstrumenten ablaufen.

Improvement bei der Händehygiene: Khein legt ab sofort Uhr und Ehering während der Arbeit ab.

Respekt, dass er diese hygienische Wartungsmaßnahme beibehalten hat, von der ich mir nicht einmal sicher bin, dass sie zuhause in allen Praxen konsequent angewandt wird. Improvement bei der Händehygiene: Khein legt ab sofort Uhr und Ehering während der Arbeit ab.

Gegen Mittag wird das Patientenaufkommen geringer, um nachmittags bis auf zwei sechs- beziehungsweise dreijährige Mädchen mit völlig desolaten Zähnen zurückzugehen. Außerdem zieht am Spätnachmittag ein Gewitter auf. Wir nutzen die ungewohnte freie Zeit für Fortbildung.

Ich habe Muyar das notwendige Instrumentarium mitgebracht, damit sie zukünftig bei Wurzelbehandlungen Kofferdam anlegen kann, um komfortabler arbeiten zu können und für Patienten die Gefahr des versehentlichen Verschluckens oder einer Aspiration von Wurzelkanalinstrumenten auszuschließen.

Übungs-Opfer ist bereitwillig Nay Tu

Übungs-Opfer ist bereitwillig Nay Tu, auch wenn es ein bisschen am Zahnfleisch kneift. Noch gibt es an Bord keine Möglichkeit für Röntgenaufnahmen bei einer Wurzelbehandlung, aber eine Längenmessung mittels Apex Locator ist für Muyar längst Routine.

Kleine Ratschläge: Karies möglichst vollständig exkavieren bevor mit der Kanalaufbereitung begonnen wird, Feilen und Reamer nicht zwischendurch auf dem behandschuhten Handrücken abstreifen und säubern, sondern im dafür vorgesehenen Interimsstand.

Auch den Composites wenden wir uns noch einmal zu, sprechen das Schrumpfungsverhalten bei verschiedenen Schichttechniken an. Da sich bei Kindern die häufig schon sehr ausgedehnten kariösen Defekte nicht immer noch gut mit einer Füllung versorgen lassen, erwähne ich als Alternative konfektionierte Stahlkronen für Milchzähne und gehe mit Muyar zumindest schon einmal theoretisch die Arbeitsschritte dieser sehr einfachen Hall-Technik durch.

Von zuhause werde ich ihr ein Sortiment solcher Stahlkronen zukommen lassen, die in meiner ehemaligen Praxis seit Jahren nur noch ein Mauerblümchendasein in einem Schrank fristen. Hier werden sie noch von Nutzen sein.

Der Nasen-Blas-Versuch zum Ausschluss einer nach Extraktionen von Oberkiefer-Seitenzähnen doch gelegentlich möglichen Verbindung zur Kieferhöhle wird wieder eingeführt und Muyar lässt sich auch das operative Vorgehen im Falle einer solchen Mund-Antrum-Verbindung beschreiben. Ein weiteres Thema ist die Einlage von Jodoformstreifen anstelle von Watte zur Drainage nach Abszessspaltung. Und anhand zweier von ihr unlängst angefertigter Gipsmodelle diskutieren wir auch über eine mögliche kieferorthopädische Behandlung eines Mädchens aus einem der villages.

Händehygiene und Instrumentenaufbereitung im Zahnarztbereich sind für burmesische Verhältnisse vorbildlich. In den übrigen Behandlungsräumen mussten allerdings kürzlich die no-touch Desinfektionsmittelspender erst wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt werden, nachdem sie eine Zeit lang als Seifenspender dienten. Auch der geringe Verbrauch an Händedesinfektionsmitteln durch das übrige medical team lässt nicht gerade auf eine konsequente Nutzung schließen.

Bis dato wurden Instrumente nur abgespült und unverpackt in einen fragwürdigen Sterilisator einsortiert

Auf früheren Einsätzen musste ich eine Desinfektion von Instrumenten überhaupt erst einführen, bis dato wurden Instrumente nur abgespült, nass und unverpackt in einen fragwürdigen Sterilisator einsortiert und dieser auch noch konsequent überladen.

Auf der MS Futura muss erfreulicherweise nur Grundsätzliches wieder aufgefrischt werden: In der Aufbereitungs-„Ecke“ stehen drei Instrumentenwannen mit Desinfektionsmitteln, je eine für Trays, für mit Blut kontaminierte Instrumente und für nicht verschmutzte Instrumente. Das entspricht natürlich nicht der verbindlichen Reihenfolge 'Reinigung – Desinfektion – Sterilisation' und wird geändert: Verschmutzte Instrumente müssen erst gereinigt werden bevor sie in eine Desinfektionslösung eingelegt werden, weil nur gereinigte Instrumente sicher zu desinfizieren und zu sterilisieren sind.

Eine Schlussspülung der Instrumente vor dem Sterilisieren mit demineralisiertem Wasser statt mit Wasser aus dem Wasserhahn kann ich während dieses Einsatzes leider noch nicht durchsetzen, das ist Muyar für ihre Assistenten zu aufwendig, wäre jedoch wichtig, um den Autoklaven langfristig vor technischen Schäden zu bewahren.

Dann beschäftigen wir uns mit der Planung des vorgesehenen zweiten Behandlungsraums: Infrage kommt nur der weitgehend ungenutzte recovery room neben dem OP-Raum. Hier könnte sogar auch später ein Röntgengerät Platz finden.

Von den beiden Möglichkeiten - entweder eine fest installierte Behandlungseinheit oder ein mobilen Behandlungskoffer mit transportabler Patientenliege - favorisiert Muyar zunächst die erste, lässt sich aber von den Vorteilen einer portable unit überzeugen: Sollte sich die Lösung mit einem zweiten Zahnarzt nicht bewähren oder nicht zustande kommen, ist eine portable unit auch als weiterer Behandlungsplatz und Ausweichmöglichkeit für Muyar immer noch ideal, der zweite Raum gegebenenfalls schnell und einfach für andere Zwecke wieder umrüstbar.

Muyar arbeitet auch jetzt schon "an mehreren Behandlungsstühlen", das heißt, wenn sie zum Beispiel bei einem Patienten auf den Eintritt einer Leitungsanästhesie warten muss oder auf eine Rückmeldung der GPs bezüglich erhöhtem Blutdruck bei einem Patienten, platziert sie diese Patienten von der Behandlungsliege einfach um auf einen Hocker im Behandlungsraum und nimmt sich den nächsten vor.

Eine portable unit wäre im täglichen Einsatz nahezu vollwertig, kostengünstig und gegebenenfalls auch unabhängig vom Schiff an Land einsetzbar: Untersuchungen, Extraktionen, Füllungstherapie, Zahnsteinentfernung sind damit möglich. Ein Curing Lite zur Lichthärtung von Füllungsmaterialien ist als Reserve schon vorhanden, auch zwei Mikromotoren für die portable unit.

Drei Turbinen, ein Winkelstück zur Kariesentfernung und einen Airscaler habe ich mitgebracht, es bräuchte also zunächst nicht einmal die Anschaffung eines zusätzlichen Zahnsteinentfernungsgeräts. Als Absauganlage kann die Anlage aus dem OP genutzt werden.

Die Öffnung einer Verbindung zwischen dentist room und recovery room ist Muyars Idee und ergonomisch zwingend. Die Stahlwand ist dünn, ein Durchbruch sollte kein Problem sein. Da Muyar zugesagt hat einen neuen Vertrag zu unterschreiben, beschließen Ludger und ich, die notwendigen Umbauten nach Möglichkeit schon während der anstehenden Werftliegezeit in Auftrag zu geben. Bei dieser Gelegenheit soll auch der Hochschrank im Zahnarztraum in der Höhe gekürzt und mehr Arbeitsfläche geschaffen werden.

Die abendliche Teambesprechung ist kurz, es gibt eine harmonische Diskussion zwischen Muyar und den Ärzten. Ich hatte sie ermuntert, ihren Wunsch vorzutragen, in die Patientenhefte einen Medikationsplan einzufügen, auf dem die aktuell vom jeweiligen Patienten einzunehmenden Medikamenten vermerkt werden sollten, wobei auf der Rückseite Hinweise für das Verhalten nach Zahnextraktionen aufgeführt werden könnten.

Der Vorschlag wird von den GPs positiv aufgenommen und geteilt. Also werden wir ein solches Einlegeblatt bei Naing Tun Aung bzw. Dr. Min Naing in Auftrag gegeben. Dr. Nay wiederholt am Ende des team meetings seinen inniglichen Wunsch, dass es doch am letzten Abend zu einer unvergesslichen Abschiedsparty kommen möge.

Patienten, Patienten, Patienten - und Zeitdruck

Der Samstag wird ein Hammertag: 32 dental patients, dazu 93 Patienten bei den GPs. Behandlungsbeginn wie üblich um 8 Uhr. Allein für die beiden ersten Patienten lässt sich Muyar aber eineinhalb Stunden Zeit und beschränkt dabei nicht einmal die Therapie auf ultimativ Notwendiges, obwohl schon 12 weitere Patienten warten.

Völlig okay, dass sie sich nicht unter Druck setzt, andererseits offenbart dieser Tag aber auch ein verbesserungsbedürftiges Zeitmanagement: Eine Zahnverbreiterung der oberen mittleren Schneidezähne eines jungen Mannes bei bestehendem Diastema ist kosmetisch zwar vielleicht wünschenswert, passt aber nicht in das Programm eines Tages mit derartigem Patientenaufkommen. Einige Male wird erst Zahnstein entfernt oder auch die eine oder andere Füllung gelegt, dann aber erst die Injektion für eine Extraktion gegeben und ohne ausreichendes Zuwarten extrahiert, für die Patienten nicht immer schmerzfrei.

Inneren Beifall findet bei mir, dass Muyar bei einer Patientin, die sich eigentlich wohl mehr aus kosmetischen Gründen mit zwei Löchern in ihren mittleren oberen Schneidezähnen vorstellt, den Wunsch nach einer Füllung erst erfüllt, nachdem sie gegen deren anfänglichen Widerstand einen viel dringlicheren unteren Molaren versorgt hat.

Nach kurzer Mittagspause geraten wir endgültig in Verzug, als Muyar am späteren Nachmittag einen 17 nicht aus der vollen Zahnreihe extrahiert bekommt, kurz entschlossen die Wurzeln teilt und dann leider noch weiter zerlegt. Es dauert lange, bis sie die Wurzelreste dann doch noch herausgehebelt hat (für mich keine Sicht, aber - Respekt - auch keine Bitte um Rat oder Hilfe).

Nach unserem gestrigen Austausch denkt sie an den Nasenblasversuch zum Ausschluss einer Mund-Antrum-Verbindung. In die unterdosierte postoperative Antibiotika-Prophylaxe mische ich mich aber dann doch korrigierend ein.

Der Einsatz von Antibiotika wird auch bei der geplanten Fortbildungsveranstaltung nach unserer Rückkehr nach Yangon noch ein Thema sein; aus den daily reports gingen bisher keine Dosierungsangaben hervor, auch wurde bisweilen ohne echte Indikation eine Kombination von Amoxicillin und Metronidazol verordnet, sogar bei Kindern.

Unter Zeitdruck spielt Muyar anschließend mit den Patienten Reise nach Jerusalem. Bis zu vier Patienten sind gleichzeitig im Behandlungsraum, wechseln zwischen Patientenliege und Hockern, weil entweder noch erst Blutdruck und Blutzucker gemessen wird, die Patienten zwischendurch doch auch noch mal eben zum GP sollen, wegen des langen Wartens noch einen Snack zu sich nehmen sollen oder noch auf den Eintritt einer Anästhesie warten müssen. Alles durchdacht, aber unnötig hektisch.

Unter Zeitdruck spielt Muyar mit den Patienten Reise nach Jerusalem.

Einer Patientin, die Antikoagulantien verordnet bekommen hat, erklärt sie, dass sie diese fünf Tage vor dem Zahnarzttermin absetzen soll. Auch hier greife ich korrigierend ein, da in aller Regel eine Antikoagulantienmedikation nicht für zahnärztliche Eingriffe unterbrochen werden muss (zumindest nicht für Eingriffe hiesiger Größenordnung).

Das Risiko, dass ein Notfall (etwa ein Schlaganfall, Thrombosen, eine Lungenembolie oder ein Myokardinfarkt) eintreten könnte, was ja gerade durch die Antikoagulantien verhindert werden soll, ist größer als die Gefahr, bei einem zahnärztlichen Eingriff eine Blutung nicht durch lokale Maßnahmen zum Stehen zu bringen. Die Information ist für Muyar neu (aber selbst nicht allen deutschen Medizinern geläufig). Wir werden darüber auch noch bei der Fortbildungsveranstaltung in Yangon sprechen, da das Thema auch für die GPs relevant ist.

Und dann ist da noch der kleine Junge, der vom Krankenhaus mit der Diagnose beidseitige Lymphadenopathie überwiesen wird. Hier bittet sie mich um Rat, weil sie das mit der Lymphadenopathie "nicht so auf dem Schirm habe". Die Inspektion ergibt zwei klopfempfindliche devitale Zähne 36 und 46, die trepaniert werden müssen und eine medikamentöse Einlage bekommen. Wenn es dem Jungen morgen besser geht, können die Zähne bis zur nächsten Mission mit einer Einlage versorgt und provisorisch verschlossen werden, um dann extrahiert zu werden.

Bei etwas Glück kippen die gerade im Durchbruch in die Mundhöhle befindlichen Siebener nicht allzu sehr nach mesial. Um 19 Uhr ist der Arbeitstag dann doch vorüber. Ich schaffe vor der abendlichen Teambesprechung gerade noch das Duschen, Ingrid, Ludger und Joe haben schon vor über einer Stunde gegessen. Nach dem team meeting sitze ich mit Muyar, Khein, Nay Tun und dem Koch noch in der galley bei einem (oder waren es doch zwei?) Myanmar-Bier.

Khein will wissen, wann ich nächstes Jahr wieder komme. Ich äußere meine Bedenken: das Alter, die eigene Gesundheit und die meiner Frau und dass ich eben gerne möglichst viel von der uns noch verbleibenden Zeit gemeinsam mit ihr verbringen möchte. Auch dass Muyar nach meiner Meinung gut alleine klar kommt und dass außerdem ja auch noch Heike da sei, die das nächste Jahr zwei Einsätze plant.

Khein übt das An- und Ausziehen eines Kindes an Alex, unserer Prophylaxepuppe

Zählt aber wohl alles nicht, denn auch Muyar äußert den Wunsch, nächstes Jahr wieder auf Ratschläge zählen zu dürfen. Wir einigen uns schließlich darauf, dass ich nächstes Jahr wieder komme, wenn Khein endlich Englisch lernt und auch dann immer noch an Bord ist (was Muyars uneingeschränkten Beifall findet). Er wird ja nächstes Jahr Vater, hat letzter Tage verdächtig oft an "Alex", unserer Prophylaxepuppe, das An- und Ausziehen eines Kindes geübt. Aber Khein könnte ja wirklich mal endlich mit dem Englischen in die Gänge kommen, schon auf der MS Zawgyi war mir seinerzeit klar, dass der Junge mehr drauf hat als nur Seemann.

Muyar ist ungewohnt zugänglich, scheint an Bord auch durchaus neben den beiden dental assistants noch mit anderen gut auszukommen. Natürlich ist es für sie als Frau schwer, dazu noch als in ihrem Beruf sehr fähige, sich in einer Männergesellschaft an Bord zu behaupten und das erklärt vielleicht auch zum Teil, dass sie sich meist eher zurückzieht.

Aber das geht den nurses natürlich ähnlich, nur sind die zu dritt und dann doch wieder auch nur unter sich. Jedenfalls entwickelt sich zwischen uns ein durchaus intensiveres Gespräch, in dem ich nicht nur ihre Leistung(-sbereitschaft) und Können herausstelle, sondern sie ermuntere, eben genau aus dieser Position der ihr sehr wohl bewussten eigenen Werte und Stärke heraus auch auf andere zuzugehen anstatt von vorneherein eher die Konfrontation zu suchen.

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