Vergessen wir nicht, allen Patienten zu dienen
Aus Ausgabe 15/2016 zum Leserbrief von Dr. Michael Weiss „Bohrst Du noch oder kratzt du schon?“ , zm 11/2016, S. 6
Ich habe schon lange auf diesen „Aufschrei“ eines erfahrenen älteren Kollegen in den zm gewartet. High Tech Dentistry, 3-D-Röntgen und digitale Workflows sind nur einige Stichworte, an denen sich der Kollege Weiss abarbeitet. Ein wenig erinnert das auch an die immer wieder aufflammende Diskussion „Generalisten und Spezialisten“. Die Mitgliederversammlung der DGET in München 2015 war ein gutes Beispiel für ein Neudenken in der Zahnmedizin.
In der Veranstaltung wurde eine heile Welt präsentiert mit immer perfekteren Ausbildungsgängen und Gruppenbildungen der Spezialisten in vielen großen deutschen Städten. Kontakte zu Generalisten schienen nicht erwünscht. Die Vortragenden kreisten um ihr Spezialistentum selbst und ließen einen Zusammenhang zu anderen Feldern der Zahnheilkunde vermissen. Am darauf folgenden Festabend im großzügigen Franziskanerbräu, der natürlich von der Industrie in bekannter Weise perfekt gesponsert war, kam ich ins Gespräch mit den jungen Spezialisten und kam mir verloren und fremd in der Zahnmedizin vor.
Meine gute alte Lupenbrille aus der Mitte der 70er Jahre, die ich anfangs nur für die Endodontie gekauft hatte und die mir später auch für alle anderen zahnärztlichen Tätigkeiten unentbehrlich wurde, wurde beiseite gewischt und das Mikroskop war als Nonplusultra gefordert. Ohne Mikroskop fange man mit einer Wurzelkanalbehandlung gar nicht erst an und die wissenschaftlich bewährte laterale Kondensation bei der Wurzelfüllung sei nun ganz und gar out. Ich hatte das verzweifelte Gefühl, dass Spezialisten über unsere bewährten Behandlungsweisen in der Endodontie einen Mantel legen wollten. Es war Ihnen einfach nicht bewusst, dass es auch ärmere Bevölkerungsschichten gibt, etwa Studenten, alleinerziehende Mütter und Väter, Rentner am Existenzminimum und viele andere mehr. Sie haben anscheinend nur eine Klientel, welche ihre inzwischen horrenden Endorechnungen ohne Widerspruch zu zahlen bereit ist.
Die Zahnerhaltung als Klammer des Faches scheint immer mehr in attraktive Teilgebiete bewusst ausgeweitet zu werden. An der Heimatuniversität unseres schon damals bekennenden Zahnerhalters Prof. Dr. Alfred Kantorowicz steht inzwischen die Parodontologie an erster Stelle des Klinikschildes. Mit einem Federstrich hat der international anerkannte Parodontologe sein Teilgebiet an die erste Stelle gesetzt und natürlich sind die Akzente im Unterricht anders gesetzt worden! Auch an der alten Universität Greifswald pfeifen es inzwischen die Spatzen vom Dach, dass die Stelle des international anerkannten Zahnerhalters zu Gunsten eines Teilgebietes ausgeschrieben werden soll.
In unserem Studium in den 60er Jahren hatte die Zahnerhaltung als Klammerfach noch absolute Priorität. In Bonn sorgten damals die sozusagen letzten Schüler von Kantorowicz, Prof. Dr. Ernst Sauerwein (der blaue Thiemeband Zahnerhaltung, bekannt unter den Studenten als „Der kleine Sauerwein“) und der damalige Priv.-Doz. Dr. Heinz- Friedrich Overdieck, der später Direktor der Zahnerhaltung in Heidelberg wurde, für das Motto „Einmal Zahnerhalter, immer Zahnerhalter“. Die Industrie kreiert heute in beängstigendem Wechsel immer neuere Therapiemethoden, die bewährte Konzepte ersetzen sollen. Viele der neuen „Erfindungen“ sind völlig überflüssig.
Nicht wenige Zahnärzte sind inzwischen Abrechnungskünstler geworden, wenn sie z. B. mit einem aufwendigen Lasergerät Therapien anbieten, die konservativ behandelt, gleiche oder bessere Ergebnisse erzielen. Das mag sich eine kleine, wohlverdienende Schicht noch leisten können, nicht aber die angestiegene Zahl ärmerer Mitbürger. Ich vermisse einen Dialog, der genau über dieses Thema von Zahnärztekammer, Hochschulen und Gesellschaften der DGZMK geführt werden sollte. Eine bessere Aus- und Fortbildung der Generalisten in neuen Teilgebieten (wie z. B. die Behandlung der steigenden Zahl von behandlungsbedürftigen Senioren) ist unumgänglich.
Dies kann auch nur die Gesamtheit der Zahnärzte leisten. Spezialisten sind hier fehl am Platze. Mir fehlt bei der Ausrichtung der heutigen Zahnmedizin der Grundgedanke, dass wir Zahnärzte angetreten sind, unseren Patienten zu dienen! Wir Zahnärzte leben alle inzwischen in einem vertretbaren Luxus, den wir uns allerdings auch selber erarbeitet haben. Umso mehr müssten wir als Stärkere die Schwächeren unserer Gesellschaft wieder in unser Behandlungskonzept einbeziehen und für einen Ausgleich sorgen.