Weine im Wartezimmer
"Es ist ein gewisses Extra, das dir hilft, ein bisschen weniger Angst vor dem Zahnarzt zu haben", sagt eine 29-jährige New Yorkerin, die ihren Namen nicht in den Medien lesen will. "Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, warum das nicht mehr Praxen machen!" Deshalb geht die Frau zu Marini und Manci's in Manhattan. Die Praxis ist spezialisiert auf Implantologie und ästhetische Zahnheilkunde. Hier können sich Patienten vor dem Eingriff aus einem Weiß- und Rotweinsortiment selbst bedienen. Die meisten schwärmen von dem Ansatz.
Es ist keine Bar oder ein Restaurant. Es ist eine Zahnarztpraxis.
Dr. David Janash von Park South Dentistry betrachtet den Service ebenfalls als Bereicherung, wie er der DNAinfo New York erzählte: "Wir bieten alkoholische Getränke als Teil unserer Bemühungen an, eine einladende, Boutique- beziehungsweise Spa-ähnliche Umgebung in unserer Praxis zu schaffen, mit dem Ziel, dass sich unsere Patienten wohler fühlen.“ Kuschelige Decken, warme duftende Handtücher zur Erfrischung gehören - wie das Glas Wein - zum Komfort. "Unsere Patienten lieben es", fährt Janash fort. Patienten, die keinen Alkohol trinken möchten, erhalten kostenloses Kokoswasser oder Säfte und Tee.
Ein Problem: die fehlende Lizenz
Mit ihrem Gratis-Weinangebot für Patienten sehen sich Park South Dentistry und Marini und Manci's in New York City als Trendsetter. Allerdings kann dieser "Service" schon bald ein jähes Ende finden. Wie ein Sprecher der New York State Liquor Authority (SLA) mitteilte, verfügt keine der Zahnarztpraxen über eine entsprechende Lizenz, um Alkohol auszuschenken. Und ohne Lizenz keine Berechtigung - auch nicht für eine Flasche Bier aufs Haus. Zahnarztpraxen, die diesen Service anbieten wollen, müssen eine Schankgenehmigung beantragen.
Nicht nur in New York City, auch in Houston, Texas, lässt sich der Trend zur "Bar-Praxis" beobachten. Bereits 2011 berichtete ABC 13, wie die Zahnarztpraxis Floss Dental der Zahnärzteschaft einen Aufreger bescherte, weil sie Alkohol an Patienten ausgab. Firmenchef Dr. Clint Herzog, der unter diesem Label mehrere Praxen in Dallas, Austin, Miami und Houston führt, wollte nach eigener Aussage den Zahnarztbesuch für seine Patienten angenehmer gestalten. "Hey, wir sind nervös, warum gibt es kein kaltes Bier oder ein Glas Wein im Wartezimmer? Also haben wir uns gesagt, warum nicht, ein Versuch ist es wert", sagte er damals zu ABC 13.
Herzog zufolge trinkt etwa einer von von vier Patienten ein Glas - je später der Tag, desto größer die Akzeptanz. Der Alkohol sei Teil einer entspannten Atmosphäre, Teil einer Zahnmedizin, die bewusst auf weiße Kittel verzichtet. "Wir versuchen, den Patienten zu lieben, von dem Moment, in dem er die Praxis betritt bis zu dem Zeitpunkt, wo er sie wieder verlässt", sagte er. Und das schließe eben ein Glas Wein am Behandlungsstuhl ein.
"Ich finde, wenn du dir schon den Nachmittag frei nehmen musst, um zum Zahnarzt zu gehen, könnte der dir auch ein Glas Wein spendieren, während du wartest", sagt Patientin Darsey Post. Eben dieses Glas Wein hat sie von Floss Dental überzeugt.
Floss Dental kontrolliere vorher das Alter der Patienten und stehe damit im Einklang mit der Texas Alcoholic Beverage Commission (TABC). Und obwohl das Personal im Umgang mit Leuten geschult wird, die ihre Grenze nicht kennen, sei das noch nie vorgekommen.
Nur ein "Marketing-Gag"?
Dr. Greg Condrey, Präsident der Greater Houston Dental Society, hält die Maßnahmen dagegen für einen "Marketing-Gag": "Es ist ein Gimmick. Und ist es unethisch? Sicherlich nicht. Ist es illegal? Überhaupt nicht."
Kritischere Stimmen kommen aus der Politik: Patienten alkoholische Getränke anzubieten, während sie auf ihre Behandlung warten oder darüber aufgeklärt werden, sei eine zugleich "schreckliche" und "unverantwortliche" Praxis, hieß es seitens des texanischen Senatsausschusses für Wirtschaft und Handel. Dessen Staatsvertreter prüfen gerade eine neue Gesetzesvorlage, die den Gesundheitsdienstleistern unter Strafe verbietet, Patienten alkoholische Getränke anzubieten.
Eingereicht wurde die Vorlage von Lois Kolkhorst aus Brenham. Die republikanische Senatorin aus Texas lehnt kategorisch ab, dass Ärzte Wein, Bier und andere alkoholische Getränke anbieten dürfen, um ihre ängstlichen Patienten zu beruhigen. "Es gibt kein Gesetz, das dich daran hindert, dies zu tun, aber ich denke, es gibt eine Grenze, die wir nicht überqueren sollten", sagte Kolkhorst bei einer öffentlichen Anhörung und führte aus, dass diese unregulierte Praxis schlimme Folgen mit sich bringen könne. Keiner der zahnärztlichen Einrichtungen, die Patienten Alkohol anbieten, kam den US-Medien zufolge übrigens zu dem öffentlichen Termin.
Sollte die Vorlage das gesetzliche Procedere passieren, wäre keine öffentliche Gesundheitseinrichtung in Texas länger befugt, Alkohol an Patienten oder ihre Begleitpersonen auszuschenken - mit Ausnahme von Alkohol, der als Arzneimittel zur Diagnose oder Therapie eingesetzt wird.
Eine Frage der Patientensicherheit!
Die American Dental Association (ADA) unterstützt die vorgeschlagene Gesetzgebung. "Die Patientensicherheit muss immer an erster Stelle stehen", sagte ADA-Mitglied Dr. Matthew Roberts, zuständig für Gesetzgebung und Regulierung. Alkoholkonsum vor einem zahnmedizinischen Termin könne potenziell zu medizinischen Komplikationen führen und die Fähigkeit des Patienten, wissentlich der Behandlung zuzustimmen, beeinträchtigen, stellte er fest.
Auch Greg Condrey von der Greater Houston Dental Society warnt vor Alkohol während der Behandlung: Wenngleich Alkohol den Patienten die Angst vor zahnärztlichen Besuchen nehmen kann, sollten diese zweimal überlegen, ob sie sich ein Glas genehmigen. Alkoholkonsum vor einem zahnärztlichen Termin könne das Blutgerinnungssystem beeinflussen und das zentrale Nervensystem schwächen. Alkohol könne laut National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism zudem dazu führen, dass das Herz zu schnell oder unregelmäßig schlägt, sowie Arrhythmien wie Vorhofflimmern hervorrufen, bis hin zu Blutgerinnseln, die im schlimmsten Fall in einen Schlaganfall münden.
Wenn sie unter Zahnarztangst leiden, sollten Patienten besser mit ihrem Behandler sprechen, um auf nicht-alkoholische Ansätze zu setzen. Zahnärzte können Lachgas verwenden oder auf Valium-Pillen und sogar IV-Sedierung zurückgreifen.