Wenn Kieferhöhlen als Zysten diagnostiziert werden
zm-online: Frau Dr. Lösser, wer als ausländischer Zahnarzt in Deutschland arbeiten möchte, muss die Fachsprachprüfung bestehen. Wie läuft so ein Test konkret ab?
Dr. Martina Lösser:
Die Prüfung dauert bei uns insgesamt rund 60 Minuten und besteht aus drei Teilen. Der erste Teil ist die Patientenbefragung. Hier wird ein Gespräch mit einem Schauspiel-Patienten simuliert. Der Schauspieler bekommt von uns vorgegeben, welche Beschwerden er äußern soll. Zudem gibt es zu jedem Fall ein Röntgenbild und einen ausgefüllten Anamnesebogen. Aus dem Gespräch heraus soll der Prüfungskandidat dann eine Therapieempfehlung ableiten und Behandlungsvorschläge mit alternativen Möglichkeiten formulieren. Dafür hat er insgesamt 20 Minuten Zeit.
Im Anschluss folgt die schriftliche Prüfung. Hier hat der Kandidat wieder 20 Minuten Zeit, um einem nachbehandelnden Kollegen zu schildern, welche Befunde er beim Patienten erhoben hat und welche Verdachtsdiagnose er stellt. Er kann auch differenzialdiagnostische Anmerkungen notieren. Außerdem soll er schriftlich festhalten, was er dem Patienten als Therapiemöglichkeiten vorgeschlagen hat, welche Risiken benannt und welche Vor- und Nachteile sowie Behandlungsalternativen angesprochen wurden.
Wenn der Kandidat das Patientengespräch und die schriftliche Prüfung bestanden hat, kommt der letzte Prüfungsteil: das kollegiale Gespräch. Hier simulieren wir häufig, dass der Nachbehandler Rückfragen zum Patientenfall hat - oder dass ein Gutachter um Stellungnahme bittet. Hier kommt es wirklich auf die Fachsprache an. Auch dieses Gespräch dauert wieder rund 20 Minuten. Als letztes folgt ein Vokabeltest. Hier muss der Prüfungskandidat Fachbegriffe ins Deutsche übersetzen.
Wie werden die einzelnen Prüfungsteile bewertet?
Die Prüfungskommission besteht immer aus drei Personen: einem Hochschullehrer und zwei niedergelassenen Zahnärzten. Wir haben Bewertungsgrundlagen, anhand derer wir genau die Patientenkommunikation sowie die Deutschkenntnisse im Allgemeinen beurteilen können. Dies geschieht alles nach festgelegten Regeln - daraus wiederum ergibt sich eine Punktzahl. In jedem einzelnen Prüfungsteil muss eine Mindestpunktzahl erzielt werden. Kann diese nicht erreicht werden, wird die gesamte Prüfung abgebrochen.
Im schriftlichen Teil werden zudem Rechtschreibung und Grammatik bewertet. Die entscheidende Frage, die wir uns dabei stellen, ist 'Würde ein Kollege, der den Patienten nicht gesehen hat, wirklich verstehen, was im Patientengespräch besprochen und was als Therapiemaßnahme vorgeschlagen wurde?'. Rechtschreibung und Grammatik dürfen also auf keinen Fall sinnentstellend sein!
Seit Mai 2014 wurden über 240 Fachsprachprüfungen in Westfalen-Lippe durchgeführt. Wie schneiden Bewerber durchschnittlich ab?
Insgesamt wurden über 60 Prozent der Prüfungen nicht bestanden. Die Bewerber kommen aus einer Vielzahl verschiedener Länder, die größten Anteile stellen dabei Syrien und Libyen - viele sind geflohen. Meiner Erfahrung nach fallen die meisten tatsächlich in den ersten beiden Prüfungsteilen durch. Denn auch Kandidaten, die sehr gut Deutsch sprechen, haben im schriftlichen Teil dennoch häufig Probleme, sich verständlich und nicht sinnentstellend auszudrücken. Dass ein Prüfungskandidat die ersten beiden Teile besteht und im dritten Teil durchfällt, kommt sehr selten vor.
Wie sieht es mit der fachlichen Qualifikation der Bewerber aus?
Unser Auftrag lautet, ausschließlich die Fachsprache der Bewerber zu prüfen. Das Problem ist natürlich, dass wir die Fachsprache nur prüfen können, wenn wir auch über fachliche Dinge sprechen - und hier fallen bei einigen Bewerbern tatsächlich fachliche Mängel auf.
Was für fachliche Mängel sind das?
Wir stellen häufig fest, dass die Erhaltungswürdigkeit von Zähnen völlig falsch eingeschätzt wird. Dass bei obsoleten Zähnen noch große prothetische Konstruktionen geplant werden – obwohl eigentlich auf den ersten Blick klar erkennbar ist, dass diese nach sechs Monaten wieder raus müssen oder dass der Patient massive Beschwerden bekommen wird. Teilweise haben wir aber auch große Defizite in der Anatomie feststellen können, also bei der Diagnostik bei Röntgenbilder.
Das Schlimmste, was wir einmal hatten - und das werde ich nie wieder vergessen können -, war ein Prüfungskandidat, der im Oberkiefer zwei sehr große Zysten diagnostizierte und daraufhin empfahl, alle Zähne zu extrahieren. Der Prüfling sprach ausgezeichnet Deutsch und hatte keine Probleme im Patientengespräch und im schriftlichen Prüfungsteil. Im kollegialen Gespräch stellte sich dann heraus, dass er die Kieferhöhlen als Zysten diagnostiziert hatte und die Augenhöhlen wiederum als Kieferhöhlen. Das war erschreckend! Sogar in der Vorklinik würde den Unterschied jeder Student sehen. Nichtsdestotrotz hat dieser Bewerber die Prüfung bestanden!
Ein Bewerber, der Kieferhöhlen als Zysten diagnostizierte und damit erhebliche fachliche Mängel aufweist, hat die Fachsprachprüfung erfolgreich bestanden, ist das korrekt?
Korrekt. Und das ist, was uns riesige Bauchschmerzen bereitet! Denn selbst wenn wir, wie in diesem Fall, erhebliche fachliche Mängel feststellen, dürfen diese nicht in die Bewertung einfließen. Schlicht und einfach, weil es in dieser Phase des Verwaltungsverfahrens nicht unsere Aufgabe ist, dies zu überprüfen. Der Überprüfungskommission obliegt es, festzustellen, ob die Bewerber über die für die Berufsausübung notwendigen Deutschkenntnisse verfügen. In der Prüfung werden vor allem das Hörverstehen sowie der mündliche und schriftliche Ausdruck überprüft - das Fachwissen darf in diesem Zusammenhang nicht überprüft werden!
Wir wurden von der Bezirksregierung ausdrücklich darauf hingewiesen keine entsprechenden Aktennotizen zu machen, um die Objektivität des Prüfungsverfahrens nicht zu gefährden. Wir können nur sagen, ob jemand über die für die Berufsausübung notwendige Fachsprache verfügt.
Bei wie viel Bewerbern kommt es vor, dass Sie solch erhebliche Zweifel haben?
Glücklicherweise sind das nicht allzu viele, aber geschätzt würde ich sagen: fünf bis zehn Prozent. Dies ist natürlich eine gefühlte Zahl, wir haben keine Statistiken dazu.
Was könnten mögliche Ursachen für diese gravierenden fachlichen Mängel sein?
Hier kann man natürlich nur mutmaßen und daran möchte ich mich auch eigentlich gar nicht beteiligen. Letztlich wird man in Einzelfällen unterstellen müssen, dass die ausländische Ausbildung möglicherweise nicht auf dem selben Niveau erfolgt, wie bei uns. Aus diesem Grund fordern wir die Kenntnisprüfung für alle!
Inwiefern unterscheidet sich eine Kenntnisprüfung von der Fachsprachprüfung?
Die Kenntnisprüfung ist genau wie die Fachsprachprüfung dreigeteilt. Zu Beginn steht hier eine schriftliche Prüfung. Dann folgt die praktische Prüfung, das heißt, vier Stunden am Phantomkopf verschiedene Aufgaben absolvieren, wie Füllungen präparieren und legen, Kronen präparieren mit Abdrucknahme ect. Wenn der praktische Teil bestanden wurde, kommt im Anschluss noch einmal eine mündliche Prüfung . Im Prinzip ist die Kenntnisprüfung wie ein kleines Staatsexamen. Und hier bekommt man natürlich einen deutlich besseren Eindruck, ob der Kandidat tatsächlich schon einmal einen Bohrer in der Hand gehalten hat.
Sie fordern, dass jeder Bewerber seine Kenntnisse unter Beweis stellen muss. Warum?
In Deutschland ist es bisher so: Zahnärzte aus dem Nicht-EU-Ausland, die hier arbeiten wollen, müssen sich für die Erteilung der deutschen Approbation einer Gleichwertigkeitsprüfung nach Aktenlage bei der Bezirksregierung unterziehen. Um eine vorläufige Berufserlaubnis zu bekommen, reicht aber allein der bestandene Fachsprachtest aus.
Insgesamt ist das System extrem kompliziert und komplex - und es gibt viele Einschränkungen. Es ist zum Beispiel gesetzlich vorgeschrieben, dass die Berufserfahrung immer mit in die Gleichwertigkeitsprüfung einbezogen wird. Aber ich sage einmal sehr plakativ: Fachliche Mängel können nicht allein durch Berufserfahrung wettgemacht werden. Wenn zum Beispiel jemand in Burkina Faso sein Examen absolviert und dort auf dem Niveau dieser Ausbildung zehn Jahre lang gearbeitet hat, dann hat er - trotz zehnjähriger Berufserfahrung - mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht den gleichen Wissensstand wie unsere Studenten in Deutschland.
Uns ist daher wichtig, dass jeder Zahnarzt aus dem Nicht-EU-Ausland, unabhängig davon, wo er herkommt, was er hier machen will, wie viel Berufserfahrung er hat, eine Kenntnisprüfung absolviert. In den USA ist dies übrigens ganz normal. Wenn unsere Hochschulprofessoren in die USA gehen, müssen sie dort alle einen Test durchlaufen. In Deutschland war es dagegen eine politische Entscheidung, um die Integration von ausländischen Berufstätigen voranzutreiben. Aber das geht unserer Meinung nach nicht im zahnärztlichen Bereich.
Wie versuchen Sie Ihre Forderungen nun umzusetzen?
Wir versuchen in erster Linie die Politik für das Thema zu sensibilisieren. Wir waren im Landesministerium und im Bundesgesundheitsministerium in Bonn und haben dort die Thematik unterbreitet. Für uns steht fest: Der Patientenschutz muss in den Vordergrund gerückt werden!