Kolumne

Wie VW eine Gingivitistherapie plante und scheiterte

mg
Nachrichten
Vor ein paar Wochen habe ich meine Verfolger abgeschüttelt: Jetzt surfe ich auch auf dem Handy nur noch mit Werbeblocker. Für diese private Banner-Abschaltautomatik ernte ich oft Anerkennung – witzigerweise auch von Leuten, die Dieselgate für eine Riesenschweinerei halten.

Dabei hatte die Abgastrickserei der Autoriesen einen misantropen Hintergrund. Geheime, jüngst auf einem Bierdeckel gefundene Notizen belegen, dass VW als erstes Unternehmen eine großflächig angelegte Gingivitistherapie für die Stadtbevölkerung geplant hat. Zusammen mit der STEAG Power Minerals GmbH wollte der Konzern über den filigran gesteuerten Stickstoffausstoß ihrer Fahrzeugflotte den Nitratgehalt im Trinkwasser regeln. Das Dinslakener Unternehmen mischte dazu den Zahnpasta-Farbstoff Titandioxid in Straßenpflastersteine.

Die Idee: Einmal der Sonne ausgesetzt, wandeln sich die Stickoxide photokatalytisch mithilfe von Stadtluft in Nitrat um, das bei Regen mit Feinstaub und gelöstem Gummiabrieb ins Trinkwasser sickert.

Ein Glas hiervon ist garantiert fast so gut wie nitrathaltiger Salatsaftextrakt, für das Würzburger Wissenschaftler nachwiesen, dass er die klinischen Zeichen einer Gingivitis bei parodontalen Nachsorgepatienten verringert. Da dachten sich die Wolfburger Verantwortlichen sicher, „das können wir besser“, übersahen aber – beseelt von so viel Gutmenschentum – die Regularien der US-Umweltbehörden.
Die Kehrseite meiner privaten Abschaltautomatik erlebe ich täglich im öffentlichen Raum. Einmal gewöhnt daran, dass mir nicht mehr ständig und ungefragt Sofagarnituren, Laufschuhe und Schnäppchentickets zum griechischen Festland mit Getöse ins Blickfeld fliegen, würde ich gern auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit das beklebte U-Bahn-Innere, die schreiend bunten Treppenstufen der Station Berlin-Friedrichstraße samt Litfaßsäulen und Leuchtreklamen einfach wegwischen oder blocken. Wie schön sähe wohl eine Welt ohne Werbung aus?, sinniere ich oft auf dem Heimweg aufs Land, wo die Güllepfützen direkt an meinem Haus stehen – neben dem alten Hanomag ohne Abschaltautomatik.

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